Claude Debussy kennen wir alle von seinen großen Orchesterwerken wie "La Mer" oder der "Prélude à l'après-midi d'un faune", und auch von seiner großartigen Klaviermusik. Dass der Franzose auch ein Opernkomponist war, ist weniger bekannt. Genau genommen hat er sogar nur eine einzige Oper komplett fertiggestellt, und die läuft momentan in der Lütticher Oper.
Die Oper "Pelléas et Mélisande" aus dem Jahr 1902 basiert auf einem Schauspiel des belgischen Dichters Maurice Maeterlinck. Der war ein Vertreter des Symbolismus, also einer Stilrichtung, die das Gegenteil von Realismus und Naturalismus darstellt; nichts ist genauso, wie man es sieht, sondern alles ist nur stellvertretend und symbolisch zu verstehen. Und vor diesem Hintergrund hat auch Debussy seine Oper komponiert, mit einer Handlung, die er selbst als "Lyrisches Drama" bezeichnet.
Wer auf der Bühne allzu viel Action und große Theatralik erwartet, der wird enttäuscht - alles geht langsam und gedehnt vonstatten, ohne große Pausen, sozusagen in einem Rutsch durch. Dadurch wirkt die Oper von Zeit zu Zeit etwas langatmig, wobei das mit Sicherheit nicht an der Musik liegt, mit den für Debussy typischen wunderbaren Klangfarben.
Was das Ganze etwas in die Länge zieht, ist vor allem der Text. Debussy hat mit "Pelléas et Mélisande" neue Wege beschritten und benutzt die Musik sozusagen, um einen durchlaufenden Text zu untermalen, wie Filmmusik die Dialoge im Kino unterstützt und im Zuschauer die gewünschten Gefühle und Emotionen weckt. Dabei sind die Gesangsmelodien für die damalige Zeit schon sehr modern gehalten.
Die Handlung ist im Endeffekt sehr schlicht: Ein Prinz begegnet einem jungen, unglücklichen Mädchen und verliebt sich in sie. Er nimmt sie mit in sein Schloss und heiratet sie, ohne irgendetwas von ihr zu wissen. Das Mädchen verliebt sich in den Halbbruder des Prinzen, wobei diese Liebe rein platonisch bleibt. Natürlich ist der Prinz eifersüchtig, und schließlich tötet er seinen Bruder. Daraufhin stirbt auch das Mädchen aus lauter Trauer.
In Lüttich wird Pelléas von unserem Landsmann Lionel Lhote gespielt, und in der Rolle der Mélisande hören wir die Armenierin Nina Minasyan. Der Brite Simon Keenlyside ist der eifersüchtige Prinz Golaud. Diese drei und die wenigen anderen Gesangssolisten bringen hervorragende Leistungen, aber weil es in "Pelléas et Mélisande" keine wirklichen Arien oder stimmlich herausragende Momente gibt, ist der Star der Vorstellung ganz klar das Orchester, das unter der Leitung des französischen Dirigenten Pierre Dumoussaud eine Atmosphäre zaubert, die einen vergessen lässt, dass man in einem Opernhaus sitzt und die Musik live aus dem Orchestergraben kommt.
Das Bühnenbild von dem Regisseurs-Duo André Barbe und Renaud Doucet ist impressionistisch, fast märchenhaft, also sehr passend für Debussys Musik, allerdings ist die Inszenierung sehr auf Langsamkeit und Symbolik ausgelegt - ganz im Sinne des Komponisten, aber für ein Publikum, das die Geschwindigkeit des Lebens im 21. Jahrhundert gewohnt ist, vielleicht doch ein wenig zu behäbig. Andererseits ist die Lütticher Oper in dieser Woche durchaus ein Ort des Innehaltens im täglichen Alltagsstress, und so ist Debussys wunderbare Musik der perfekte Grund, diesem Stress einmal für ein paar Stunden zu entkommen.
Patrick Lemmens