Bei der Team-Präsentation in Utrecht wagten sich die Radprofis auf ungewohntes Terrain: Stilecht in kleinen Booten wurden sie über die Gracht geschippert - so viel vorweg: ertrunken ist keiner!
Die Bootsfahrt dürfte auch die kleinste Sorge gewesen sein für die 198 Teilnehmer: Bis zur Zielankunft auf den "Champs Elysées" warten auf sie fast dreieinhalbtausend Kilometer, ein paar davon auch über das gefürchtete Kopfsteinpflaster und vor allem sieben Hochgebirgsetappen - mit einer Ankunft in L'Alpe D'Huez am vorletzten Tag!
Aber der Reihe nach: Zum Auftakt winkt dem dreimaligen Zeitfahrweltmeister Tony Martin das erste Gelbe Trikot - vielleicht macht es ihm aber auch (vor eigenem Publikum) Tom Dumoulin aus Maastricht streitig.
Am Sonntag, auf dem Weg nach Zeeland, weht den Fahrern dann der Wind ordentlich ins Gesicht - oder von der Seite, was das Feld auseinander ziehen könnte.
Die Augen der belgischen Radsportfans richten sich aber vor allem auf Anfang der kommenden Woche: Am Montag geht es zunächst von Antwerpen nach Huy, mit dem berühmten Schlussanstieg der "Flèche Wallonne".
Und am Dienstagmittag gibt König Philipp (wie im Vorjahr in Ypern) nun in Seraing den Startschuss zur vierten Etappe, die im nordfranzösischen Cambrai endet - mit 223,5 Kilometern das längste Teilstück und die Fahrer werden froh sein, wenn sie unbeschadet die gut elf Kilometer Kopfsteinpflaster überstanden haben - erinnern wir uns nur an das Sturzpech von Chris Froome im vergangenen Jahr.
Froome einer von vier großen Favoriten
Der britische Tour-Sieger von 2013 ist einer von vier großen Favoriten auf den Gesamterfolg, neben Titelverteidiger Vincenzo Nibali aus Italien, dem Giro-Gewinner Albert Contador aus Spanien und dem Kletterspezialisten Nairo Quintana aus Kolumbien. Denn die "Mauer von Huy" oder ihre bretonische Entsprechung im allerdings anders geschriebenen "Mûr-de-Bretagne" in allen Ehren: der Gesamtsieger wird in den Pyrenäen und Alpen gemacht.
Es heißt, wer als Erster auf dem Plateau de Beille abkommt (diesmal Schlusspunkt der zwölften Etappe), gewinnt auch die Tour. Bei der letzten Ankunft 2011, als Jelle Vanendert hier siegte, hat das sich aber nicht bewahrheitet.
Oder fällt die Entscheidung erst am vorletzten Tag bei der Gipfelankunft am L'Alpe D'Huez? Man kann den Organisatoren nicht vorwerfen, dass sie das Drehbuch nach dem Langweiler im Vorjahr nicht entsprechend angepasst hätten.
Bleibt der ständige Verdacht des Dopings. Nach dreijähriger Sendepause gibt selbst die ARD der Tour de France eine Bewährungschance. Skandale sind zuletzt ausgeblieben, doch bleiben die Experten skeptisch: Viele Mittel seien nicht nachweisbar und es werde verstärkt mit Mikrodosierungen gedopt. Dass der Radsport nach wie vor nicht den besten Ruf hat, liegt auch an Teams wie Astana. Nach fünf Dopingfällen Ende 2014 wollte der Weltverband einen Lizenzentzug für die Mannschaft um Toursieger Vincenzo Nibali erwirken - ohne Erfolg...
So oder so werden wir wieder gebannt vor den Fernsehgeräten sitzen - oder vielleicht sogar irgendwo an der Strecke stehen.
Stephan Pesch - Bild: Yorick Jansens (belga)