Bevor es morgen in die Alpen geht, haben die Fahrer der Tour de France heute ihren ersten Ruhetag eingelegt. Nach einem Drittel der Distanz scheint die Entscheidung über den Gesamtsieg gefallen zu sein.
Mit einem komfortablen Vorsprung von zwei Minuten steht der Brite Bradley Wiggins an der Spitze der Gesamtwertung. Die Konkurrenz ist angeschlagen oder bereits ausgeschieden.
Wenn nichts Außergewöhnliches mehr passiert, dann ist Bradley Wiggins der Gesamtsieg bei der Tour de France nicht mehr zu nehmen. Mit dem Sieg beim Zeitfahren verschaffte der Brite sich an der Spitze der Gesamtwertung ein Polster von zwei Minuten. Zwei weitere Minuten hat er mit dem Zeitfahren nach Chartres am vorletzten Tourtag noch in petto.
Kaum zu glauben, dass ein angezählter Cadel Evans es noch einmal schafft, Wiggins in Gefahr zu bringen, zumal der nicht nur über die beste Mannschaft, sondern auch über den Teamkollegen Christopher Froome verfügt, der als Dritter noch in Lauerstellung liegt und jederzeit in die Bresche springen kann. Wiggins und sein Skytrain, das erinnert schon sehr an Lance Armstrog und sein US Postal-Team.
Viele Opfer
Nicht nur Cadel Evans musste bislang machtlos mit ansehen, wie Wiggins und sein Team die Konkurrenz beherrschen. Im Gegensatz zu einigen anderen ist Evans aber zumindest noch im Rennen. Denn die Tour 2012 hat bislang ungewöhnlich viele Opfer gefordert. Fahrer, die bei Stürzen oder Defekten Zeit verloren haben oder sich gar so arg verletzten, dass sie das größte Radrennen der Welt jetzt vom Krankensessel aus beobachten müssen, wie beispielsweise Giro-Sieger Ryder Hesjedal oder Olympiasieger Samuel Sanchez, um nur die beiden prominensten Namen von bislang 20 Ausfällen zu erwähnen.
Immer verrückter geht es zu, wenn beim Finale der Tour-Etappen alle Fahrer gleichzeitig über Kopfhörer von ihren Rennleitern das Kommando bekommen, sich an die Spitze des Feldes zu setzen, um sich eine gute Position für die letzten Kilometer zu sichern und - das ist das Paradoxe an der Geschichte - in der ersten Reihe den Stürzen zu entgehen. In dem Fall ist das die Medizin, die krank macht. Den französischen Renndirektor Marc Madiot veranlasste das nach dem bislang heftigsten Sturz auf dem Weg nach Metz zu der Frage, ob es denn erst noch Tote geben müsse, bevor dieser Irrsinn ein Ende nehme.
Und die Belgier?
Die belgischen Spitzenfahrer Philippe Gilbert, Jelle Vanendert und Jurgen Van den Brouck haben die Hektik der ersten Tourwoche zwar ohne größere Blessuren überstanden, dennoch wurden sie bei der Verwirklichung ihrer Ziele ausgebremst. Ausgrechnet bei der Etappe, die er sich ausgeguckt hatte (auf dem Weg nach Boulogne-sur-Mer), musste Philippe Gilbert mit defektem Schuh zum Mannschaftswagen. Als der Schuh gewechselt war, hatte Peter Sagan die Etappe schon für sich entschieden.
Der 22-jährige Slowake ist eine der Entdeckungen dieser Tour. In Seraing, Boulogne-sur-Mer und in Metz fuhr der Träger des Grünen Trikots gleich drei Etappensiege heraus. Die zweitbeste Bilanz weist André Greipel aus dem Team Lotto-Belisol mit zwei Tageserfolgen auf. Nur einmal konnte der Übersprinter Marc Cavendish zuschlagen. Auch er wurde beim Anlauf zum Ziel mehr als einmal von Stürzen zurückgeschlagen.
Ein dummer technischer Defekt hat den Traum von Jurgen Van den Broeck zerstört. Eine abgesprungene Kette ausgerechnet beim Schlussanstieg der Vogesen-Etappe verursachte für den Profi aus Antwerpen einen Rückstand von zwei Minuten. Das Podium in Paris war damit außer Reichweite gekommen, definitiv ist dies seit dem Zeitfahren nach Besançon der Fall, sagt Van den Brouck selbst. Es bleibt ein nicht zu verachtender neunter Platz in der Gesamtwertung, mit der Perspektive, die fast einjährige Vorbereitung auf die Tour zu einem guten Abschneiden in den Alpen und Pyrenäen zu nutzen.
Für eine positive Überraschung aus belgischer Sicht sorgte Maxime Monfort. Der Profi aus Bastogne brachte die erste Tourwoche aufmerksam und fast unbeschadet hinter sich und konnte seinen siebten Platz in der Gesamtwertung durch ein starkes Zeitfahren verteidigen. Die Bilanz der belgischen Tourfahrer ist somit mittelprächtig, denn auch Kris Boeckmans und Jan Ghyslinck hatten großes Pech mit einem Kettenriss und einem nur knapp gescheiterten Fluchtversuch. Während Wiggins und Froome um den Sieg fahren, sieht es so aus, als müssten die Belgier sich bei der Tour 2012 wohl mit Trostpreisen begnügen müssen. Mit diesem Problem befinden sie sich in guter Gesellschaft.
Bild: Nicolas Bouvy (afp)