Spa oder Le Mans? Die Entscheidung fällt Dries Vanthoor nicht besonders schwer. "Spa ist für mich ein schönes Heimrennen, wo allerdings auch im GT für mich noch nicht so viel geklappt hat. Aber Le Mans ist noch ein bisschen spezieller. Das Gefühl, wenn du dort ankommst ... Das Rennen ist so alt, da ist schon so viel passiert, das spürt man einfach."
Der Saisonstart in Katar lief mit Platz 14 für Dries Vanthoor im BMW-Hypercar von WRT alles andere als gut. Das Schwesterauto landete auf Platz zehn, das hatte sich die Mannschaft von Vincent Vosse anders vorgestellt. Auch Dries Vanthoor war enttäuscht. "Es war nicht wie erhofft und das ist nicht schön, wenn du vor dem Rennen eigentlich ein gutes Gefühl hattest. Wir müssen aber realistisch sein, wir haben gerade erst angefangen und wissen, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben. Es geht aber in die richtige Richtung."
"Man sagt ja: Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden. Es dauert ein bisschen, aber ich glaube, dass wir bald vorne mitkämpfen können." Für WRT ist es die erste Saison in der Königsklasse der Langstrecken-WM. Das erste Jahr gilt immer als Lehrjahr, das hat auch Bruder Laurens erlebt, der mit Porsche letztes Jahr auch erst einmal Anlaufschwierigkeiten überstehen musste. Dieses Jahr startete Porsche aber mit einem Sieg in die Saison.
"Es dauert immer etwa ein Jahr, auf Pace zu sein", erklärt Dries Vanthoor. "Porsche ist ein gutes Beispiel: Da ist es letztes Jahr auch nicht so gut gelaufen, dieses Jahr schaut es aber gut aus. So gehen wir das jetzt auch an: Ein Jahr zum Lernen und nächstes Jahr müssen wir dann 100 Prozent da sein, dann gibt es keine Ausreden mehr." Neben Dries Vanthoor und Bruder Laurens ist noch ein Belgier in der Königsklasse der Langstrecken-WM am Start: Stoffel Vandoorne (Peugeot), dem am Spa-Wochenende allerdings der Formel-E-Einsatz in Berlin in die Quere kommt.
Drei plus drei Belgier
In der zweiten Liga (LMGT3) sind drei weitere Belgier am Start: Maxime Martin im WRT-BMW mit Valentino Rossi, Sarah Bovy im Lamborghini der Iron Dames und Tom Van Rompuy. Der 35-Jährige aus Antwerpen hat die Corvette TF Sport beim Saisonauftakt in Katar direkt mal auf Startplatz eins gestellt. "Die Pole kam doch ein bisschen unerwartet. Im Training hatten wir zwar gesehen, dass wir die Top fünf anvisieren können, aber Platz eins im Qualifying war dann doch eine Überraschung", erzählt Van Rompuy.
"Es war mein erstes Rennen in der WEC und dann direkt die Pole, das kann man wohl einen guten Start nennen." Im Rennen lief es dann nicht wie gewünscht, im Gegensatz zu den anderen Fahrzeugen der Kategorie fehlte die Rennpace. Dazu kamen dann noch Getriebeprobleme. Aber bei einem neuen Fahrzeug sind Kinderkrankheiten nie auszuschließen.
Van Rompuy fährt seine erste Saison in der Langstrecken-WM – ein Aufstieg, der es in sich hat. "Ich bin zuletzt die European Le Mans Series gefahren, das war schon anderes Niveau als vorher in Belgien. Aber das Level in der WEC ist noch einmal ein ganz anderes. Du bist ganz nah an den ganzen Werksfahrern, lernst viele Menschen kennen. Ich habe als Fahrer eine steile Lernkurve hinlegen müssen. Weil das Niveau so hoch ist durch die ganzen Profis, musst du dich anpassen, die Daten analysieren und dich ständig verbessern. Es ist einfach fantastisch, das erfahren zu dürfen."
"Goldene Zeiten des Langstrecken-Sports"
Nach mehreren Jahren mit nur einem Hersteller in der Königsklasse der WEC sind es inzwischen ganze neun: Alpine, BMW, Cadillac, Ferrari, Isotta Fraschini, Lamborghini, Peugeot, Porsche und Toyota. Zählt man die GT3-Fahrzeuge hinzu, sind es sogar 14 verschiedene Hersteller. Der Generaldirektor der Rennserie, Frédéric Lequien, hat dafür eine Erklärung. "Der Erfolg basiert auf einem guten Regelwerk. Vor knapp drei Jahren haben wir ein technisches Regelwerk präsentiert, das sehr attraktiv für die Hersteller ist, das hat Wirkung gezeigt."
"So viele Hersteller wie jetzt hat es noch nie in einer Weltmeisterschaft gegeben. Das bringt spannende Rennen und erhöhte Sichtbarkeit in den Medien. Außerdem haben die Teams viele Freiheiten, was die Aerodynamik angeht. So können sie mit dem Design ihrer Fahrzeuge das ausdrücken, wofür ihre Marke steht, und ihre Identität zeigen."
"Die Zahl der Hersteller und der Fahrzeuge ist quasi explodiert", sagt auch Rennstrecken-Direktor Amaury Bertholomé. "Wir erleben gerade die goldenen Zeiten des Langstrecken-Sports und für Spa-Francorchamps ist es wichtig, ein Teil davon zu sein. Diese wunderbaren Prototypen, die nur in dieser Meisterschaft zu sehen sind, machen die WEC so besonders. Was die Serie ebenfalls ausmacht, ist der Aspekt Entwicklung und Innovation. Die WEC hat zum Ziel, in ein paar Jahren Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb ins Rennen zu schicken."
Die WEC ist wichtig für Spa – und das gilt auch umgekehrt. "Spa ist einfach eine der schönsten Rennstrecken der Welt, sie darf im Kalender der Langstrecken-WM natürlich nicht fehlen", betont Generaldirektor Lequien. "Die Teams, vor allem die Fahrer freuen sich darauf und das Rennen ist ein Publikumsmagnet. Außerdem gilt Spa als Generalprobe für Le Mans einen Monat später – also die perfekte Gelegenheit, alle Mannschaften in Aktion zu sehen."
Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans, das Saisonhighlight der Langstrecken-WM, ist längst ausverkauft. Auch deshalb hoffen die Veranstalter, dass die Zuschauer, die keine Tickets für Le Mans ergattert haben, nach Spa kommen.
Katrin Margraff