Aguascalientes, Mexiko, 11:00 Uhr Ortszeit: Victor Campenaerts tritt in die Pedale. Auftakt zum Weltrekordversuch... Es geht um den Stundenweltrekord. Das Prinzip ist einfach: Ein Radrennfahrer dreht in einem Velodrom seine Runden. Nach exakt einer Stunde schaut man, welche Strecke er zurückgelegt hat. Und damit bekommt man natürlich den Stundendurchschnitt.
Victor Campenaerts legt gleich zu Beginn ein ziemliches Tempo vor. Die VRT-Reporter sind beeindruckt: Der Weltrekord ist in Reichweite. Nach der Hälfte der Zeit hat Campenaerts genau 27,5 Kilometer zurückgelegt: Heißt: Die magische Grenze von 55 Kilometern wäre zu knacken.
55 Kilometer in einer Stunde - das wäre phänomenal. Zur Erinnerung: Als Eddy Merckx am 25. Oktober 1972 den Stundenweltrekord knackte, hatte er knapp 49,5 Kilometer in 60 Minuten zurückgelegt. Der bisherige Rekordhalter, der Brite Bradley Wiggins, hatte die Latte im Jahr 2015 auf knapp 54,5 gelegt. 55 Kilometer - das war also in gewisser Weise die neue Schallmauer, ähnlich wie die magische Zweistundenmarke im Marathonlauf.
Victor Campenaerts dreht weiter seine Runden. Doch seine Beine scheinen schwerer zu werden. Die VRT-Reporter sehen ein bedrohliches Blinken, ein Alarmsignal auf dem Tablet von Coach Kevin De Weert: Blinkt es rot? Nein, es ist nur orange.
Aber Campenaerts gibt nicht auf. "Mann, der hat ja doch noch was im Tank." Nach 50 Minuten ist Victor Campenaerts wieder auf Rekordkurs. Trainer, Betreuer und auch die VRT-Reporter hält es nicht mehr auf den Sitzen. 58, 59,... die Stunde ist voll.
"Wie Gott in Mexiko"
Er hat es geschafft. Victor Campenaerts hat den Weltrekord von Bradley Wiggins gebrochen, 46 Jahre nach Eddy Merckx. "Doch was ist mit der magischen Marke von 55 Kilometern?", fragt Victor Campenaerts. 55,089 Kilometer. "Oh, das habe ich aber gut getimt", sagt glücklich der neue Weltrekordhalter.
Später in der VRT-Fernsehsendung Van Gils & Gasten kann er es immer noch nicht so richtig fassen. "Wenn ich ehrlich bin", sagt Victor Campenaerts: "Ich hab' mich ein bisschen gefühlt wie Gott in Mexiko".
Und dann bestätigt Campenaerts den Eindruck, den auch schon die Reporter gehabt haben: Er sei erstmal Vollgas losgefahren. Nach einer halben Stunde fing das aber an weh zu tun. Und dann habe er eben einen neuen Rhythmus finden müssen. Er habe aber gewusst, dass die 55 Kilometer immer noch in Reichweite lagen. Und in der letzten Viertelstunde habe er dann das Tier rausgelassen, sagt Campenaerts augenzwinkernd. Dann habe er gefightet und die 55 eben geknackt.
Komplimente von Merckx
Komplimente gibt's dann aber gleich mal von Radsportlegende Eddy Merckx: "Wie ein Schweizer Uhrwerk gefahren, total regelmäßig, beeindruckend. Respekt - das muss man erstmal hinkriegen".
Für den 27-jährigen Radprofi aus Hoboken in der Nähe von Antwerpen ist das wohl der Höhepunkt seiner Karriere. Er war wohl nie der talentierteste seiner Generation; das weiß er auch. Er habe sich einfach nur total fokussiert, sich nur auf diesen einen Versuch vorbereitet. Und er sei stolz, dass er als Belgier Eddy Merckx beerben und Bradley Wiggins vom Thron stoßen konnte.
Roger Pint