In Aachen haben am Dienstagabend mehr als 1.500 Menschen gegen den Neustart von Tihange 1 und 2 protestiert. Die beiden Reaktoren waren vor kurzer Zeit wieder ans Netz gegangen, gelten aber als marode, weil sich in der Betonverkleidung des Reaktors tausende Haarrisse befinden. Außerdem gibt es immer wieder Pannen in dem Atomkraftwerk. Erst vor ein paar Tagen musste der Reaktor 1 nach einem Brand wieder abgeschaltet werden.
Dementsprechend groß war auch die Resonanz auf die Kundgebung des Aachener Anti-Atombündnis am Dienstagabend vor dem Elisenbrunnen. Viele Bürger in der Euregio befürchten einen Super-GAU in Tihange. Sie fordern, dass das mehr als 40 Jahre alte AKW abgeschaltet wird. "Es gibt viele Gründe gegen Tihange, aber auch gegen Kohle in Deutschland. Ich hoffe, dass endlich mal was erreicht wird. Die deutsche Regierung hat sogar die Pflicht, was zu tun", sagt eine Protest-Teilnehmerin.
In diese Kerbe schlägt auch die stellvertretende Aachener Bürgermeisterin, Hilde Scheidt (Grüne), bei der Kundgebung: "Dieser alte Reaktor ist eine Riesengefahr für die ganze Region. Bei einem Gau macht die Atomwolke nicht halt an irgendeiner Grenze", sagt sie.
Gemeinsam mit weiteren Kommunen, dem Land NRW und der Städteregion fordert Aachen jetzt Unterstützung von der deutschen Bundesministerin für Umwelt. Die sieht allerdings erstmal keine Möglichkeit, auf die Entscheidungen in Belgien Einfluss zu nehmen, denn in Energiefragen sind die Staaten der EU souverän.
Bisher gibt es so gut wie keine Erfolge. Weder der politische Druck, noch die Petition, die immerhin 100.000 Bürger aus der Euregio unterschrieben haben, konnten die Verantwortlichen bewegen. In Belgien scheint das Thema Tihange einfach noch nicht so präsent zu sein, findet der PDG-Abgeordnete Freddy Mockel von Ecolo, der ebenfalls bei der Kundgebung in Aachen dabei war. Bei uns halten sich die Proteste gegen Tihange in Grenzen. Ob das an der Angst vor noch höheren Strompreisen, vor Stromengpässen oder einfach an einer grundsätzlich anderen Einstellung zur Atomkraft liegt, kann niemand sagen.
Hinzu kommt, dass umstritten bleibt, wie gefährlich die Risse im Reaktordruckbehälter wirklich für die Stabilität und damit die Sicherheit von Reaktor 2 sind. Laut Electrabel handelt es sich hier um Materialfehler, die keinen Einfluss auf die Stabilität haben. Das bestätigt auch die Atomaufsichtsbehörde FANK, die die Testergebnisse von Electrabel noch einmal von internationalen Experten überprüfen ließ.
Viele Bürger zweifeln aber an diesen Ergebnissen. Und auch Forscher sehen Probleme. So hat eine Untersuchung des Aachener Kernforschers Hans-Josef Allelein ergeben, dass die Verfügbarkeit von Tihange bei 65 Prozent liegt. Mehr als ein Drittel der Produktionskapazität geht also wegen Ausfällen und Pannen verloren.
Der Betreiber verfolge offensichtlich die Strategie, die Anlage mit einem möglichst geringen Aufwand zu fahren, so Allelein gegenüber dem WDR. Technik werde erst ausgetauscht, wenn ein Ereignis passiert sei. Auch wenn Tihange immer noch die Vorschriften der FANK erfüllt, sprechen solche Aussagen nicht gerade für die Sicherheit des Kraftwerks.
Und solange die Verantwortlichen nicht einlenken, bleibt den Protestlern nur, sich für den Ernstfall so gut wie möglich zu rüsten. Viele Städte und Gemeinden arbeiten an Notfallplänen. Fakt ist, dass, sollte in Tihange tatsächlich ein Super-Gau à la Tschernobyl passieren, unsere Region auf Dauer unbewohnbar wäre. Ganz zu schweigen von den unmittelbaren Risiken für alle Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks hier aufhalten.
Text und Bild: Anne Kelleter