In Berlin feiert die ganze Welt den friedlichen Wegfall der Mauer vor 25 Jahren. Europa beglückwünscht das deutsche Volk für seinen Mut zur Freiheit und Brüderlichkeit.
Und in der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist man stolz auf den besten Minderheitenschutz. Damit das so bleibt, soll das eigene Parlament gestärkt werden: Mehr Geld für mehr Demokratie.
Zur gleichen Zeit stanzt Europa an seinen Außengrenzen Mauern aus dem Boden. Stacheldrähte werden abgerollt und Zäune errichtet. Nach Zahlen der Vereinten Nationen waren im vergangenen Jahr weltweit mehr als 50 Millionen Menschen auf der Flucht. So viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.
Und viele von ihnen wollen nach Europa, wollen die Mauern, Stacheldrähte und Zäune vor Europas Grenzen überwinden. Diese Reise endet für viele tödlich - doch das ist der Preis, den sie bereit sind nur für die Aussicht auf Überleben zu zahlen. Die, die es schaffen, landen auch bei uns. Und sie wollen bleiben.
Der Antrag auf Aufenthaltsrecht wird gestellt und innerhalb von wenigen Monaten fällt die Entscheidung: Geh oder bleib! Für jene, die gehen müssen, beginnt eine neue Höllenfahrt. Erinnern wir uns: Sie sind gekommen und haben alles aufs Spiel gesetzt. Selbst ihr Leben. Und jetzt, hier in Belgien? Sie leben! Sie haben gewonnen. Aufgrund eines einfachen Briefes der föderalen Behörde zurückzukehren, ist für viele mit dem Tod gleichzusetzen. Gehen? Nein. Sie bleiben. Und es werden immer mehr. Die, die es jetzt trotz Verschärfung der europäischen und nationalen Hürden schaffen, lassen sich nicht durch Bescheide auf Papier wieder zurückweisen.
"Kein Mensch ist illegal", steht im Infoasyl-Büro des Roten Kreuzes in Eupen. Und doch: Sie sind es. Es gibt sie nicht. Keine Behörde ist zuständig. Und doch kennt das Rote Kreuz 199 Männer, Frauen und Kinder, die in Eupen leben. Das sind doppelt so viele wie im letzten Jahr.
Viele dieser Kinder gehen hier zur Schule - und doch: Auf Schneeklasse fahren geht nicht. Es gibt sie nicht, diese Kinder! Niemand dieser papierlosen Flüchtlinge erhält bis auf dringende medizinische Versorgung eine öffentliche Unterstützung. Und doch: Sie müssen essen, brauchen Kleidung und ein Dach über dem Kopf.
So entsteht eine Schattenwirtschaft. Mal gibt es ehrliches Geld für ehrliche Leistung, mal gibt es Hungerlöhne für Sklavenarbeit. Mal helfen viele Einheimische im Verborgenen, mal stoßen wir diese Menschen zurück in die Gosse. Es herrscht Willkür und Angst. Bei Hiesigen und bei den Flüchtlingen.
Und während Europa weiterhin Berlins Sieg über die alte Mauer feiert, sterben an Europas neuen Mauern Menschen. Während wir hier im Kleinen zusätzliches Geld aufbringen, um unseren eigenen Minderheitenschutz durch mehr Demokratie zu stärken, fallen hunderte Menschen durchs Raster.
199 papierlose Flüchtlinge - und wahrscheinlich noch viel mehr - sind es alleine in Eupen. 199 Männer, Frauen und Kinder im gesellschaftlichen Niemandsland. Geben wir den Menschen ein Gesicht, fangen wir sie auf und bieten ihnen eine politisch-ethisch korrekte Lösung. Tun wir das nicht, zahlen wir alle zum Schluss die Rechnung: für die humanitären, aber auch für die wirtschaftlichen Folgen.
Das ist genau DIE Art Kommentar, die ich als mündige, kritisch hinterfragende und gesellschaftlich interessierte Bürgerin von "meinem" öffentlich-rechtlichen Sender erwarte... "Food for thought" - elegant, konzeptuell distanziert, beobachtend und feststellend, aber zugleich "mitten ins Herz"... Eine treue Hörerin dankt!
Ein verhältnismäßig kleiner Territorialstaat, wie das Königreich Belgien, kann nicht das Elend anderer Kontinente lösen. Dazu kommt, dass viele Flüchtlinge in ihren Heimatstaaten nicht die Ärmsten der Armen sind. Die Schleuser lassen sich ihr Geschäft gut bezahlen. Das Geld und Knowhow der oft jungen Männern fehlt dann in ihren Heimatstaaten.
Die grausame, menschenverachtende Kolonialpolitik von König Leopold II. war unverantwortlich. Aber ebenso unverantwortlich sind heutiges Gutmenschentum und politische Luftschlösser.
Sehr geehrter Herr Elnakhal, ich lese immer wieder gern ihre Kommentare. Ihr Nachname klingt "fremd"; aber Ihre Einsichten werden von vielen Hiesigen geteilt. "Fremde" wie Sie sind hier wilkommen! Beste Grüße
Niemand kann das Elend anderer Kontinente über seine Asylpolitik aufheben, Herr Elnakhal. Das ist auch nicht Zielsetzung. Eine menschenrechtskonforme Flüchtlingspolitik kann aber Einzelnen eine Perspektive bieten.
Klar, wer sich eine Flucht nach Europa leisten kann, gehört nicht zu den Ärmsten. Aber was hat das mit dem Gastkommentar zu tun? Was sagt es über die Flüchtenden aus? Sie sind offensichtlich nicht nur derart verzweifelt, dass sie ihre Heimat verlassen und ihr gesamtes Erspartes opfern. Sie sind zudem bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen – nicht etwa für eine sichere Zukunft, sondern allenfalls die Hoffnung darauf.
Derartige Argumente aber mit Leopold zu vergleichen, ist schon gewagt. Wer für faire Asylverfahren, Seenotrettung, humanitäre Visa oder Resettlement eintritt – der baut keine politischen Luftschlösser und bewegt sich schon gar nicht auf dem Niveau eines royalen Massenmörders. Er fordert die Einhaltung geltenden Rechts. Bleibt zu hoffen, dass Herr von Stammen auch diesen Gedanken höchstoffiziell willkommen heißt.
Danke für diesen Kommentar! Wir können uns nicht vorstellen was Flüchtlinge erleben. Ein kleines Buch im Reisepass-Format von Janne Teller hilft uns dabei auf die Sprünge: "Krieg. Stell dir vor es wäre hier". Sehr empfehlenswert!
Bin auf einer kleinen Bildungsreise in Finnland und lese jetzt erst diesen Artikel. Bravo und danke für diese Zeilen und werden wir gemeinsam aktiv
Das ist leider kein Eupener oder belgisches Problem, sondern ein EU weites. Die Asylpolitik ist falsch und verlogen, daran ändert auch dieser Beitrag nichts. Die meisten afrikanischen Flüchtlige kommen nur nach Europa, weil sie hier glauben, im Wohlstand leben zu können. Es ist auch ein Flüchtlingsstrom innerhalb der EU (aus neue arme Länder zu den reichen Fleischtöpfen). Das ist alles verständlich, aber das Elend der Welt kann nicht auf dem Boden der EU gelöst werden. Dann kommen noch die muslimischen Flüchtlinge hinzu, mit verschiedener Kultur und Religion, die sich hier nicht so richtig integrieren können - aus welchem Grund auch immer. Es geht nicht um 199 Menschen, die wird wohl jede Stadt verkraften können. Wenn die Menschen aus den Armutsgebieten sehen, dass alle aufgenommen werden, werden sie sich weiter für viel Geld Schlepperbanden anvertrauen. Tausende werden das nicht überleben. Diese verlogene Politik lockt noch mehr Menschen in den Tod.
Es ist wie Herr Radermacher angeführt hat - eine verlogene Politik, die beiden Kontinenten schadet! Auf dem Weg zum Mittelmeer und auf den Booten überleben vor allem junge Männer; auf der Strecke bleiben Frauen und Kinder... In meiner Heimat - Deutschland - häufen sich Berichte, dass geflüchtete Christen in den Unterkünften durch Islamisten drangsaliert werden. Aus Asylbewerbern werden somit z.T. selbst Verfolger. Des weiteren häufen sich Diebstähle in Gegenden rund um die Unterkünfte. Mehrere Frauen berichteten mir bereits, dass sie sich abends nicht mehr auf die Straße trauen. Dies kann in einer freien Demokratie nicht angehen!
@ Herr Kreusch, Herr Ramakers, Herr Kalff: Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen! Seien Sie sozial und nehmen Sie Flüchtlinge bei sich zu Hause auf!
@ Herr von Stammen: Dankeschön! Mein Vater ist (legaler) Einwanderer. Ich bin gebürtiger Deutscher, komme aus Nordrhein-Westfalen und bin 2002 vom Islam zum Christentum konvertiert.