Ob sich der Schlag mit der Keule gegen die richten wird, gegen die die Keule geschwungen wurde, oder ob sich der Schwung gegen den Keulenschwinger selbst richtet, darüber kann sich jeder Bürger eigene Gedanken machen, - oder auch nicht: Denn gute Argumente gibt es sowohl für als auch gegen das Berufspolitikertum. Ebenso gibt es gute Argumente für und gegen die Forderung des Heinz Keul: In die Politik gehörten Frauen und Männer mit Erfahrungen aus der Erwerbswirtschaft. Kattrin Jadin hat als Parteipräsidentin die Vorwürfe ihres bisherigen Parteikollegen zurück gewiesen.
Nein, die Frage ist zu allgemein, um sie auf den coup de théatre in der PFF zu beschränken. In den 1980er Jahren zwang die Kelmiser Frauenärztin Gisela De Ridder das Monument Willy Schyns im Kelmiser Gemeinderat in die Knie. Ohne ihre berufliche Unabhängigkeit hätte sie es nicht tun können. Und Fred Evers hätte wohl auch kaum im Parlament in Brüssel treuherzig erklären können, die 70.000 Ostbelgier trügen sich nicht mit der Absicht, knapp vier Millionen Wallonen zu umzingeln. Ein reiner Berufspolitiker hätte sich diese schelmische Unbefangenheit wohl so nicht getraut.
Aber: Die Welt hat sich weiter gedreht: Berufspolitiker haben das Sagen, in allen Parteien, und alle suchen sich den Nachwuchs recht jung. Manche wachsen gar so im Elternhaus auf: Besonders in Flandern bilden sich wahre Familiendynastien, von de Croo über de Gucht zu Schiltz junior, die Tobbacks nicht zu vergessen, und andere mehr. So wie es früher mal Industriedynastien gab.
Vielleicht hatte man sich auch bei der PFF an die Formel erinnert, derzufolge sich Bernd Gentges bewusst für zwei Ämter für seine Partei entschieden hatte und Karl-Heinz Lambertz den Vorsitz der Regierung überließ. Da wollte es die nächste Generation vielleicht anders machen und sich beizeiten ein Reservoir junger Berufspolitiker schaffen.
Nun hat man sie also, die Berufspolitiker allenthalben, und überall. Und weil sie vielleicht gerade deshalb wie aus der gleichen Gussform kommen - Politische Wissenschaften, Kabinettserfahrung, Rhetorikseminar - klingen sie so gleichförmig. Und vielleicht gerade deshalb geben sie so viele Studien in Auftrag bei so vielen Beratungsfirmen.
Doch vielleicht erleben wir gerade, wie sich diese Formeln überleben: wie anders kann man sich erklären, dass im Vorfeld der Superwahlen der eine sich damit profiliert, auf dem Flughafen zwei lebende Riesenpandas zu begrüßen, und sein Herausforderer im flämischen TV-Sender Vier als Panda verkleidet auf die Bühne stolpert, wo er sich aus dem Kostüm schält und vor johlendem Publikum kalauert.
Inhalte kommunizieren über Emotionen mittels Symbolen. Auf Facebook heißt es dann "I like". Dann ist die Überlegung eines alten Kämpen wie Richard Miller von der MR gar nicht mal so abwegig, einige Bürger per Losentscheid als stimmberechtigte Abgeordnete in die Parlamente zu entsenden. Er machte diese Überlegung bei einer Veranstaltung, die den Namen trug "Die Demokratie neu erfinden", veranstaltet von dem Denkkreis benannt nach dem früheren Politiker Jean Gol. "Demokratie ist nicht in ihrer Entwicklung erstarrt", erklärt er seine überraschende Überlegung. Aber, ist sie so überraschend?
Ein gewisse Anzahl "Berufspolitiker" muss und soll es geben. Allerdings nicht nur. Es ist schlecht für die Demokratie, wenn nur noch Leute die obersten Spitzen des Staates besetzen, die von "klein an" in Ministerkabinetten oder Abgeordnetenbüros gearbeitet haben ohne mal im Erwebsleben gestanden zu haben, sei es als Selbständer oder Abhängigbeschäftigter. Ein solche Erfahrung ist immer gut.
Besonders gut sieht man das an der EU, wo man Voklsabstimmungen nicht sehr gerne sieht wie z.B. in der Schweiz oder der Ukraine. Die EU scheut Volkesstimme wie der Teufel das Weihwasser.
Bin dafür, dass Politische Ämter ehrenamtlich zu besetzen sind, dann würde sich mal was ändern!
Die Idee kommt ursprünglich nicht von der MR oder von Herrn Miller/MR, sondern von dem flämischen Autor und Initiator der G1000-Bewegung, David Van Reybrouck.
An und für sich ist kaum was das dagegen spricht. Ich würde aber vorschlagen allen bezahlten Volksvertretern in jeder Legislaturperiode im ersten Jahr derselben den Minimex oder die Arbeitslosenzulage zuzugestehen, hinterher könnten deren Bezügen auf den heutigen Stand gebracht werden. Aber die würden wenigstens mal spüren wie das ist wenn man so rund um den 20ten eines jeden Monats bereits das Monatsende im Portemonnaie hat.
Sehr geehrter Herr Bosch,
vielen Dank für Ihr Interesse. Ihre stimmige Anmerkung ist eine willkommene Ergänzung zum Thema. Der Fokus war auf Miller, weil dieser einen Vorschlag aus alternativer Ecke auf eine parteipolitische Ebene brachte - wenn auch nur als Denkmodell. Ausgerechnet in der Keul-PFF-Woche und innerhalb der gleichen Partei, was nicht ohne Pikanterie ist. Die Urheberschaft ist in der Tat alternativ.
Zwei Bemerkungen zu dem Kommentar und den Kommentaren:
1. Die Idee, Bürger per Losentscheid in die Parlamente zu entsenden, ist viel älter: sie war wesentlicher Bestandteil der Reform des Kleisthenes (509-507 v. Chr.) im alten Athen, dort, wo die Demokratie (und nicht nur der Name) entstand.
2. Helmut Schmidt schrieb: alle, die in die Politik gehen wollen, sollen zuvor einen ehrbaren Beruf abschließend erlernt und wirklich ausgeübt haben. Und zwar um das wirkliche Leben zu kennen und vor allem (finanziell) unabhängig von der Politik und den Parteiapparaten zu sein und zu bleiben.
Gerhard Palm
1. Sie haben Recht, Herr Palm, das war der Ursprung der Demokratie überhaupt. Unsere Beispiele hiervor beziehen sich auf die aktuelle politische Szene.
2. Die jungen Politiker sollten in der Tat etwas mehr an Lebenserfahrung mitbringen. In der Politik erhält man ein (Volksvertreter-) Mandat auf Zeit (die finanziell abgesichert sein sollte). Die zunehmende Berufspolitik ist m.E. aber eine "Verwässerung" dieser demokratischen Spielregel.
Geehrte Herren, bitte erlauben Sie mir, mich im obigen diesem und Ihrem Sinne, empfehlen zu dürfen. Demokratisch, pragmatisch, frei und unabhängig.
Willkommen im Ring, Herr Hanf! Aber warum eigentlich nur auf einem aussichtslosem Platz für Europa? Oder tauchen Sie auch auf der Liste fürs PDG auf? Am besten anstelle Ihrer professionellen EU-Spitzenkandidatin...
Auch der französische Mittelschullehrer Etienne Chouard schlägt das Losverfahren vor, seit 2005 im Rahmen seines Einsatzes für ein demokratisches Europa, und vor dem Hintergrund einer progressiven politischen Machtübernahme durch die Banken und Konzerne mit Hilfe des Verfassungsvertrages für Europa bzw. dann des Vertrags von Lissabon (gleicher Text!).
Der Text dieses Vertrages wurde von den Anwaltskanzleien des Europäischen Unternehmerverbandes geschrieben.
Herr Chouard führt die Machtlosigkeit der BürgerInnen / WählerInnen weltweit auf die Verfassungen zurück. Hören Sie selbst auf der Webseite von etienne.chouard.fr
Herr Hanf, wie können Sie sich als Mitglied einer Partei mit Satzungen und Programminhalten als frei und unabhängig bezeichnen ? Das können Sie Ihren alten Schuhen erzählen.