Die Kirche steht zwar immer noch im Dorf, aber oft genug wird sie nicht mehr oder nur noch sehr selten genutzt. Gleiches gilt für mehr und mehr Pfarrhäuser, die verwaist sind und es auch bleiben werden. Lange Zeit noch sah es so aus, als würde der deutschsprachige Teil des Bistums Lüttich von immer größer werdenden Seelsorgeeinheiten - in der Fachsprache Pfarrverbände genannt - verschont bleiben.
Ein Blick auf das jüngste Gruppenfoto des ostbelgischen Klerus beim traditionellen Juni-Ausflug der Priester vor rund zehn Tagen lässt aber keinen Zweifel mehr daran, dass deren Zahl dramatisch geschrumpft ist und der weitaus größte Teil längst das Pensionsalter erreicht hat.
Mit den jetzt beschlossenen personellen Verschiebungen zwischen Ouren und Kelmis dürften die allerletzten Trümpfe ausgereizt sein. Definitiv vorbei die Zeiten, in denen die ehrenamtliche Mitarbeit von Laien - je nach Persönlichkeitsstruktur des Priesters - unerwünscht, geduldet oder willkommen war. Der Einsatz von Laien ist fortan schlicht und einfach unentbehrlich - auch in der Leitung der Pfarrverbände.
Gerade im einst besonders priesterreichen Ostbelgien haben sich die kirchlichen Entscheidungsträger seit jeher schwer damit getan, Männern und Frauen im nicht geweihten Stand wirkliche Verantwortung anzuvertrauen. Bloß keine gewagten Experimente mit letztlich unberechenbaren Laien, so die Devise hinter vorgehaltener klerikaler Hand. Offensichtliches Fehlverhalten oder gravierende psychische Störungen bei Geistlichen wurden hingegen stillschweigend hingenommen. Überall im Bistum wurde im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils das Diakonat gefördert. Nur in den deutschsprachigen Dekanaten wollten die tonangebenden Vertreter des Klerus bis vor einigen Jahren davon nichts wissen.
Natürlich hat es in den Reihen der ostbelgischen Geistlichen immer auch die anderen gegeben: die Unkonventionellen und Weitblickenden, für die ein echtes partnerschaftliches Zusammenarbeiten mit Laien eine Selbstverständlichkeit war.
Fakt ist, dass sich die Reihen nun dramatisch gelichtet haben. Viele kluge Theologen-Köpfe haben diesbezüglich fundierte Ursachenforschung betrieben und überzeugende Situationsanalysen vorgenommen. Die Gründe für den allgemeinen Glaubensschwund in Europa sowie den unter anderem damit zusammenhängenden fehlenden Priesternachwuchs sind komplex und vielschichtig. Nur den Pflichtzölibat ins Feld zu führen, wäre eindeutig zu kurz gegriffen, auch wenn die Weigerung der römischen Amtskirche, über dessen Aufhebung auch nur nachzudenken, alles nur noch schlimmer macht.
Die Kirche hat ein gigantisches Imageproblem, und das keineswegs nur bei den Unter-Dreißigjährigen! Quer durch alle Altersklassen und Bevölkerungsschichten hindurch wird Kirche fast ausschließlich assoziiert mit Dogmen und Maßregelung, mit fehlender Dialogbereitschaft und Reformunfähigkeit. Dass bei dem Wort Kirche kaum jemand an die einzigartige und befreiende Lebens- und Liebesbotschaft des Mannes aus Nazareth denkt, ist an Tragik nicht zu überbieten! Statt endlich alle Kraft und Fantasie aufzuwenden, um den vielen spirituell Verhungernden und verzweifelt nach Sinn Suchenden mit Tat und Wort die lebensspendende Zusage Gottes zu verkünden, werden diese abgeschreckt durch Moralpredigten und ein Regelwerk ohne Ende.
Sollten sich die Bischöfe als Ortsvertreter der römischen Kurie nicht endlich eingestehen, dass alles verkrampfte Bemühen in Sachen Berufungspastoral weiter ins Leere laufen wird, wenn sich die Kirche nicht den psychologischen und soziologischen Erkenntnissen der Moderne öffnet? Der Priesterberuf ist ein schöner, ein wertvoller, ein erfüllender Beruf. Warum ist die erste und wichtigste Voraussetzung auch im Jahr 2012 immer noch, dass sich diejenigen, die sich zu einem solchen Dienen berufen fühlen, bis an ihr Lebensende den Gedanken an Partnerschaft und familiäre Geborgenheit versagen müssen?
Gleich dahinter folgt die Vorgabe, dass der künftige Priester uneingeschränkt alle Verlautbarungen des römischen Lehramtes gehorsamst gutzuheißen und zu verteidigen hat in seinem späteren pastoralen Wirken mitten unter den Menschen.
Berufungen gibt es immer noch viele, die Bereitschaft zu großherzigem In-den-Dienst-nehmen-Lassen. Schade nur, dass diese Berufungen als eher von geringem Interesse eingestuft werden, insofern es sich um Männer ohne Bereitschaft zum Zölibatsleben handelt, um Frauen oder Familien. Not macht bekanntlich erfinderisch. In diesem Sinne ist es vielleicht noch nicht zu spät für ein Umdenken, eine größere Offenheit, weniger Ängstlichkeit. Es gibt sie - in Ostbelgien wie anderswo: Jene Priester, die als Menschen und Seelsorger einfach da sind, mit denen, die suchen, mit denen, die verlieren, mit denen, die hoffen und denen, die verzweifeln. Es gibt sie: Gott sei Dank!
Ich wünsch mir einen Joseph Keutgen zurück. Mit ihm konnte man über den Glauben diskutiert. Anscheinend hat seine offene Art und sein Mut die Kirche in Frage zu stellen nicht allen gepasst.
Der Beitrag von Margit Hebertz spricht Klartext. Gottes Geist ist wohl genauso bei chen christlichen "Laien" am Werk wie bei den Priestern. In den Taufgesprächen mit jungen Eltern erfahre ich, wie wichtig ihnen mein Glaubenszeugnis ist.
Dieser Kommentar ist " SPITZE " wie auch andere Berichte und Kommentare von Margit Hebertz.
Lieber Jerome Gennen seid langem wiessen wir das das Problem der Kirche, die Worte Jesu sind - " Liebe deinen Nächsten wie dich selbst " - auch wenn der Andere anderer Meinung ist.
Guter Beitrag, Margit! Aber aufgepasst! Blähen wir nicht die Priesterproblematik zu sehr auf! Jedes Mal, wenn in diesen Reihen etwas geschieht, sind die Medien da! Das vermittelt ein verzerrtes Kirchenbild, das Bild einer klerikalen Kirche. Ob man sie lobt, ob man über sie schimpft, gleich ob, es geht um sie. Wie lautet eine Faustregel in der Werbung: Hauptsache, man spricht von mir oder vom Produkt, egel ob positiv oder negativ. Sprechen wir auch mal von Kirche, wenn Eltern mit ihrem Kind beten, Ehepartner sich gut verstehen und an ihrer Beziehung arbeiten.... Karl Heinz Calles Eupen
Die Kirche erreicht die Leute nicht mehr, daran werden die verbleibenden Priester und die ehrenamtlichen Helfer auch nicht viel ändern. Die Geschichte des Mannes aus Nazareth müsste wohl neu geschrieben werden.
Bei dem Wort Kirche weiß ich nie, was der Sprecher oder Schreiber genau meint: die Steine, die Institution, die Getauften oder die an Christus Glaubenden.
Ob die "Kirche" die Leute erreicht, ist meiner Meinung nach zweitrangig, wichtig ist, dass der Geist Jesu Christi in den Menschen und durch die Menschen wirkt. Dieser Geist ist für mich der Geist der Liebe (Respekt, Fürsorge, Antworten und Verantwortung geben, Geduld), des Vergebens und des Verzeihens.
Ist es denn nicht so, Herr Bongartz, dass die Hauptaufgabe des Personals der Institution Kirche darin besteht, den Geist Jesu Christi zu vermitteln ?
Genau das scheint ja nicht mehr klappen zu wollen, zumindest nicht in den Gemäuern der katholischen Kirche. Daher die Bemerkung "Die Kirche erreicht die Leute nicht mehr".
Der von Ihnen beschriebene Geist ist ja im Grunde nichts anderes als eine gesunde Moralvorstellung, die keines außerirdischen Heiligen bedarf.