Auch mit 86 Jahren brennt Leo Wintgens förmlich für seine Sprache. Oder besser gesagt: seine Sprachen! Allen voran die Mundart, die er von klein auf in seinem Heimatdorf Hergenrath erfahren hat und in der er unter anderem ein Lied über das "Glück" geschrieben hat.
Aber noch in anderer Hinsicht sei er "irgendwie sprachlich vorbelastet", sagt Leo Wintgens. Die Sprachenvielfalt sei ihm jedenfalls schon auf dem Schulhof in Hergenrath aufgefallen: "Da lebten drei Sprachen nebeneinander und miteinander und manchmal auch ineinander oder durcheinander. Die Jungs 'kallten' Hergenrather Platt. Die Mädchen versuchten sich im Hochdeutschen. Und die Lehrpersonen sprachen immer nur Französisch untereinander."
Neben den Unterschieden waren es gerade die Ähnlichkeiten, die ihn fasziniert haben, in diesem vielsprachigen Raum, der sich heute Euregio Maas-Rhein nennt und den Leo Wintgens noch etwas weiter fasst bis hinunter ins Luxemburgische, und den er sprachhistorisch ergründet bis in die Zeit Karls des Großen: "In diesem Buch wollte ich den Wert und die Wichtigkeit des Karolingisch-Fränkischen betonen und habe die vier Sprachen, die sich in der Großregion Luxemburg und in der Euregio begegnen, unterstreichen wollen. Und die Thematik ist wichtig genug, dass man dann auch diese verschiedenen Idiome dazu nutzt, die geschichtliche Entwicklung unserer Volkssprache unter die Leute zu bringen."
Das geschieht äußerst gründlich. Und, wie sollte es bei Leo Wintgens anders sein, in mehreren Sprachen. Jeder seiner vier Schlüssel zum Karolingisch-Fränkischen ist in einer anderen Sprache verfasst: auf Englisch für die historischen Wurzeln, auf Niederländisch für die Lautlehre, auf Deutsch für die Wortlehre und auf Französisch für die Morphologie oder Formenlehre. Wintgens begreift die aus dem Karolingisch-Fränkischen hervorgegangene Regionalsprache in ihren verschiedenen Ausprägungen dabei "als Brücke in der Euregio".
Das Buch ist alles andere als gemeinverständlich und leicht lesbar. Wer aber in einzelne Aspekte eintauchen will, wie etwa die Herkunft von Orts- oder Familiennamen in unserer Region, wird reichlich belohnt. Ein schönes Alltagsbeispiel ist die von Wintgens auch kartographisch belegte Grenze zwischen dem mundartlichen Gebrauch der zentralen Wörtchen "kalle" und "schwätze": "Also das Wort 'kalle' ist mir seit jeher ans Herz gewachsen. Es ist nicht nur in unserem Raum wichtig, weil es genau wie 'schwätzen' übrigens den Kern der Aktivität der menschlichen Aktivität ausdrückt. 'Kalle' wie auch 'schwätzen' bedeutet einfach: sich mündlich ausdrücken, miteinander korrespondieren."
Damit der Leser sich von den zitierten Sprachen und Dialekten eine genaue Vorstellung machen kann, bedient sich Leo Wintgens der Lautschrift: "Durch diese phonetische Graphie habe ich versucht, unsere Sprache irgendwie am Leben zu erhalten. Wer diese Graphie noch spricht, wer sich an die Regeln hält, die da festgelegt werden, der kann unsere Sprache nachsprechen, auch wenn er in Vietnam oder gleichwo lebt."
Und im Zweifel gibt es mittlerweile die Möglichkeit, ihren Klang selbst aufzuzeichnen und aufzubewahren.
Ausführliches Radio-Interview mit Leo Wintgens im Player:
Zu bekommen ist das Buch "Vier Schlüssel zum Karolingisch-Fränkischen" von Leo Wintgens in der Buchhandlung IDEA in Eupen, im Staatsarchiv Eupen, bei Electro Bauens in Kelmis, im Read shop in Vaals und in der Buchhandlung Schmetz am Dom in Aachen.
Stephan Pesch