Eigentlich ist es ein perfektes Kartoffeljahr, erzählt die Kartoffelhändlerin Nancy Bonni. "Die Saison war sehr gut, also die Kartoffeln konnten früh gepflanzt werden, es gab einen guten Ertrag in den Frühkartoffeln und wir erwarten auch einen guten Ertrag in der Haupternte Ende August."
Wer die Kartoffelindustrie verstehen will, sollte eines wissen: Es gibt zwei Modelle, nach denen Kartoffeln angebaut werden. Ein Teil der Knollen wird per Vertrag verkauft, das heißt, dass die Bauern vor dem Pflanzen einen Preis mit dem Abnehmer aushandeln, der garantiert ist. Der Teil, der nicht durch Verträge abgedeckt ist, landet auf dem freien Weltmarkt, der Preise je nach Angebot und Nachfrage festlegt.
Das hat einen riesigen Einfluss auf den Preis der Knollen: "Die Verträge werden von Ende November bis März abgeschlossen. Für die Industriekartoffeln ist der Preis festgelegt. Das bedeutet auch, dass Fritüren- und Restaurantbetreiber (und damit auch deren Kunden, AdR) im Moment nicht von den niedrigen Preisen profitieren."
Kurzum: Industrieware, vor allem die ikonische, belgische Bintje-Frittenkartoffel, hat es in diesem relativ Jahr gut. Als die Verträge geschlossen wurden, waren die Preise noch viel besser als jetzt. Diese Bauern können einen guten Teil ihrer Ernte also zu einem vernünftigen Preis verkaufen und ihre Produktionskosten decken.
Weil aber die Ernte so gut war, steht auf den Feldern mehr, als die Verträge abdecken. Dieser Überschuss landet teilweise auf dem freien Markt und drückt die Preise noch weiter nach unten. Und es gibt noch mehr, erklärt Bonni: "Bisher war Belgien der Hauptexporteur für Tiefkühlware. Heute ist dieser Bedarf enorm gesunken. Die Bauern hatten sich darauf eingestellt und mehr Flächen bepflanzt, aber mittlerweile gibt es zahlreiche Produktionslinien für Tiefkühlwaren in China und Indien. Früher war es so, dass in Dubais Restaurants eine belgische Fritte auf dem Teller war und heute kommt die aus China. Das interessiert in Dubai niemanden, aber macht für uns Belgier doch einen enormen Unterschied."
Hinzu kommen die Turbulenzen auf dem Weltmarkt. Durch Trumps Zölle bricht zum Beispiel auch der amerikanische Markt ein. Das war bisher auch ein klassischer Absatzmarkt für belgische Tiefkühlfritten. "Die Bauern haben dadurch natürlich ein großes Problem. Viele entscheiden sich auch dafür, ihre Ware im Feld zu lassen, weil die auf dem freien Markt so niedrig gehandelt wird, dass für die Bauern mehr Kosten entstehen, wenn sie die Ware ernten und zur Fabrik bringen, als wenn sie sie auf dem Feld lassen. Das ist leider die traurige Konsequenz daraus", erklärt Nancy Bonni.
Zu viel Angebot, zu wenig Nachfrage. Der Glaubenssatz, dass der freie Markt alles regelt, gilt zumindest für die belgische Kartoffelindustrie in diesem Jahr nicht. Darunter leiden Bauern, Frittenbudenbetreiber und Händler. Die belgische Kartoffelindustrie wird neue Wege finden müssen, um sich weiterhin zu halten. Dabei hat sie die wichtigsten Faktoren, die den Weltmarkt beeinflussen, noch nicht mal selbst in der Hand.
Anne Kelleter