In dieser Woche schauen wir besonders auf das Thema Grenzen, Grenzkontrollen, auf die Freizügigkeit in Europa. Anlass ist 40 Jahre Schengen. Michael Dejozé, Geschäftsführer der Euregio Maas-Rhein, das Schengen-Abkommen war auch eine Voraussetzung für das, was Sie tagtäglich leisten, nämlich die Zusammenarbeit in der Euregio Maas Rhein...
Ganz genau. Tatsächlich sind wir durch das Schengen-Abkommen zusammengewachsen. Die Grenze passieren ist weitaus natürlicher geworden, als das früher der Fall war. Dementsprechend aber auch die Herausforderungen, die Challenges, denen wir uns jetzt im Alltag stellen müssen. Beispielsweise gibt es viel mehr Bus- und Bahnverbindungen, und wir sagen oft scherzhaft im Kontakt zu anderen Grenzräumen: Unsere Schwierigkeit ist gar nicht, einen Bus über die Grenze zu bekommen, wir haben ganz viele Probleme, die gerade dadurch entstehen: Tarife, Ticketing, Fahrgastinformation. Das heißt, die offenen Grenzen sind einerseits eine riesengroße Chance, sie bringen aber auch sehr viele neue Herausforderungen mit sich.
Nun ist genau dieser Alltag ja das, was mit "Schengen" beabsichtigt war: dass die Menschen ganz selbstverständlich miteinander umgehen können, dass auch Dienstleistungen grenzüberschreitend in Anspruch genommen werden können. Manchmal habe ich den Eindruck, solange alles gut läuft, merken das die Leute gar nicht mehr.
Das ist richtig. Wir stellen fest, dass wir ein Stück weit auch verwöhnt sind im Grenzraum und den Anspruch darauf zu Recht meiner Meinung nach haben. Wir haben viele Dienstleistungen, die wir grenzüberschreitend nutzen können. Es ist relativ normal, dass eine Ambulanz oder eine Feuerwehr grenzüberschreitend ausrückt. Das passiert übrigens im Schnitt ungefähr dreimal pro Tag. Das sind Dinge, die für uns gelebter Alltag sind. Ins Krankenhaus im Nachbarstaat gehen zu können, das ist trotzdem kein europäischer Standard, dass das überall so von sich aus passiert. Das sind Dinge, die müssen geplant werden, die müssen im Beispiel der Ambulanzen auch geübt werden. Und da wird sehr viel Arbeitsleistung eingebracht, um dafür Sorge zu tragen, dass das in der Praxis dann in unserem Alltag eigentlich kaum noch bemerkt wird.
Wir sprachen vorhin vom normalen Alltag. Man bemerkt eigentlich erst diese Fortschritte dann, wenn es nicht mehr läuft. Diese Erfahrung haben wir alle gemacht während der Corona-Pandemie. Da war gerade auch Ihr Büro sehr stark beansprucht, um zu ermöglichen, dass Menschen doch über die Grenze durften. Wie ist es jetzt mit den deutschen Grenzkontrollen? Wie sind da Ihre Erfahrungen? Wie sind vor allen Dingen die Rückmeldungen von Menschen, die sich an die Euregio Maas-Rhein wenden?
Die sind durchaus durchwachsen. Einerseits wünscht man sich - zumindest bekommen wir diese Feedbacks - ein erhöhtes Sicherheitsgefühl, was wohl mit Grenzkontrollen hier und da einherzugehen scheint. Andererseits ist das ein erheblicher Eingriff in den Alltag. Es ist für uns völlig normal, in Belgien zu leben, in Deutschland zu arbeiten und in Maastricht einkaufen zu gehen. Da sind Grenzkontrollen ein Einschnitt. Die Staus, die Rückstaus, die gelegentlich entstehen, sind für Menschen ein Erschwernis, um grenzüberschreitend zu leben. Und wir merken, dass nach Corona oder auch wegen Corona die Grenzen immer wieder als Hebel benutzt werden. Es gibt ein Problem - welche Reaktion hat man? Man geht an die Grenze, obwohl das im Endeffekt kein Problem löst.
Jetzt ist in den Niederlanden die Regierung sogar darüber gekippt, dass die Partei von Geert Wilders sagt: Für uns ist genau diese Kontrolle nicht vorhanden. Hat die Regierung zu wenig unternommen, um illegale Einreise zu verhindern und will auch Grenzkontrollen einführen? Wie stellen Sie sich das innerhalb der Euregio Maas-Rhein vor?
Also erst mal ist es für uns wichtig zu erwähnen, dass wir eine sehr enge und gute Polizeizusammenarbeit haben. Man kennt einander, man tauscht Daten aus. Das heißt, die Grenzkontrollen werden auch grenzüberschreitend, soweit möglich, abgestimmt. Das sorgt dafür, dass wir es schaffen, an allzu problematischen Orten beispielsweise Grenzkontrollen dann doch etwas entspannter organisieren zu können, als das anderweitig stattfinden würde. Das Zweite ist: Wenn Menschen an der Grenze abgewiesen werden, ist es auch wichtig, dass das Nachbarland davon weiß. Auch da greift die Zusammenarbeit der Polizei. Denn es ist auch da wichtig, dass man weiß, dass man diese Person dann in dem Land, in dem sie dann stehengeblieben ist, annehmen kann. Wir haben durchaus eine gute Zusammenarbeit, die es ermöglicht, dass das etwas besser verläuft, als wir das anderweitig in Europa sehen. Jedoch stellen wir auch fest, wenn jedes Land anfängt, unkoordiniert Grenzkontrollen in die Wege zu leiten, dann wird das Leben im Grenzraum schwieriger. Und das ist etwas, was wir seit Corona sehr gut erleben. Während Corona ist Homeoffice normal geworden und jetzt plötzlich hieß es für Grenzgänger: Ihr dürft nicht einfach so Homeoffice machen. Und das sorgt für ein Gespür, dass man immer auf die Grenze geht, wenn es Probleme gibt und man dort eine Symptombehandlung vornehmen möchte. Und wir glauben, dass das sich manchmal um eine Art Symbolpolitik handelt, die doch weitaus schwerwiegend für die Menschen im Grenzraum ist, die die Grenzen im Alltag oftmals gar nicht mehr so wahrnehmen bzw. vorab wahrnehmen konnten.
Als jemand, der tagtäglich mit dieser Zusammenarbeit in diesen drei Ländern hier in diesem Grenzraum beschäftigt ist, wie sind da Ihre Erwartungen? Dass das sich nach einer gewissen Zeit wieder beruhigen könnte? Dass Grenzkontrollen auch aus innenpolitischen Gründen eine Zeit lang angewandt werden, aber dass wir dann zur Normalität zurückkehren? Oder glauben Sie, dass es eher in die andere Richtung geht, dass wir uns von dem Schengen-Abkommen entfernen und wieder zu mehr geschlossenen Grenzen kommen?
Ich habe zumindest die Hoffnung, dass wir wieder zur Normalität zurückkehren, weil die Regierungen auch zunehmend merken, dass der Grenzraum viel verflochtener ist als angenommen. Viel mehr Menschen passieren die Grenze jeden Tag. Während man während Corona noch versucht hat, das irgendwie zu regulieren und Gründe zu finden, warum der Grenzübertritt wohl genehmigt werden sollte, hat man sehr schnell festgestellt: Das geht gar nicht. Die Menschen leben hier so integriert. Das ist die europäische Integration, wie sie eigentlich angedacht war. Und doch sind Grenzkontrollen eigentlich nicht mehr von dieser Zeit und eigentlich auch nicht mehr tragbar. Ich glaube, dass das durchaus angekommen ist, man zeitgleich aber auch zeigen möchte, dass man etwas tut für die zumindest empfundene Flüchtlingskrise und dass die Politik dort ein Sicherheitsgefühl zurückgeben möchte. Das wird aber meiner Meinung nach nicht ewig so weitergehen können, da die Grenzräume das auch einfach nicht hergeben.
Wird das auch so von den jeweiligen Partnerregionen zurückgemeldet innerhalb der Euregio?
Natürlich sind die Grenzkontrollen ein Thema, was wir im Rahmen unserer Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, aber auch weit darüber hinaus thematisieren. Und von überall, das kann ich hier bestätigen, gehen Signale in Richtung der Hauptstädte: Diese Grenzkontrollen sind der Realität der Menschen im Grenzraum nicht angemessen. Und das ist eben nicht die Art, die wir zu leben haben, wo man doch statt in dem 360-Grad-Winkel leben zu können, plötzlich auf einmal wieder mit Grenzkontrollen konfrontiert ist und dort Zeit verliert, wo man eigentlich normalen Lebensraum haben sollte.
Wir haben diese Woche unseren Blick sehr stark auf Schengen gerichtet, diesen kleinen luxemburgischen Winzerort an der Mosel, im Dreiländereck Luxemburg-Deutschland-Frankreich. Die Euregio Maas-Rhein hat ihren Sitz mittlerweile in Eupen. Kann auch Eupen als Verwaltungssitz dieser Euregio eine besondere Rolle spielen? Kommt vielleicht kleineren Orten eine Rolle zu, die größere Orte im gegenseitigen Konkurrenzkampf nicht so spielen können?
Ich würde es nicht an der Größe des Ortes festmachen wollen. Ich denke vielmehr, dass Regionen, die das Grenzüberschreitende, das Internationale, das Europäische in der eigenen DNA haben, das sind die Orte, die eine besondere Rolle spielen können. Und ich glaube mit Sicherheit sagen zu können, dass sowohl Eupen als auch die Deutschsprachige Gemeinschaft einen solchen Katalysator darstellen können. Und das tun sie auch meiner Wahrnehmung nach. Wir sind in enger Zusammenarbeit mit den deutschen und niederländischen Kollegen und wir merken, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft dort oft eine Rolle als Brückenbauer wahrnimmt und immer wieder daran erinnert: Wir sind in diesem Grenzraum voneinander abhängig. Wir können die Probleme nur dann lösen, wenn wir sie gemeinsam denken und gemeinsam angehen. Ich glaube, dass Orte wie Eupen, aber auch die Deutschsprachige Gemeinschaft an sich dort von überragender Bedeutung sind.
Stephan Pesch