Es scheint so, als ob es um die Straßenbahn in Lüttich bis zum Schluss Zoff geben sollte. Seit 2009 ist das Projekt in der Mache, immer wieder gab es Veränderungen in den Plänen, und seit Donnerstag ist diese Saga um ein neues Kapitel reicher: An beiden Enden der Strecke wird es nämlich doch keine Verlängerung geben. Die Strecken zwischen Sclessin und Seraing im Westen sowie Coronmeuse und Herstal im Nordosten werden nicht gebaut. 5,8 Kilometer Strecke und elf Stationen werden eingespart - aus Kostengründen, wie es heißt. Und das, obwohl die Arbeiten an den Strecken bereits begonnen haben.
Adrien Dolimont, MR-Minsterpräsident der Wallonie, sagt dazu im Fernsehen der RTBF: "Die Wallonie muss sich fragen, was das Ziel ist, wenn man Geld für etwas ausgibt. Das Ziel im vorliegenden Fall ist es, so viele Menschen wie möglich zu transportieren und den öffentlichen Nahverkehr zu fördern. Und da haben wir gesehen, dass es hier bessere Alternativen gibt, die auch noch viel weniger kosten".
Elektrobusse statt Tram
Elektrobusse sollen als Express-Busse künftig die Orte mit der Straßenbahn verbinden, die jetzt doch keinen Anschluss an die Tram bekommen. Dreimal so lang wie die geplante Tram-Strecke soll die Buslinie werden. Damit könne man auch mehr Menschen erreichen, sagt François Desquesnes, wallonischer Verkehrsminister von Les Engagés. Er rechnet vor, dass man mit der Verlängerung der Tram maximal 15.000 Personen erreicht hätte. "Jetzt", also mit den Bussen, "werden wir rund 35.000 Menschen erreichen, die weniger als 500 Meter von der Strecke entfernt wohnen", sagt der Minister.
Gestützt wird diese Entscheidung der Regierung vom wallonischen Verkehrsministerium. Dort hat man ausgerechnet, dass Busse deutlich preisgünstiger sind. Sowohl die Investitionskosten als auch die Nutzungskosten hätten bei der Straßenbahn viel höher gelegen, sagt Martin Duflou, Chef der Abteilung öffentlicher Nahverkehr im Ministerium. Außerdem hätte die Straßenbahn zu einer unnötigen Überkapazität auf den letzten Kilometern geführt. Straßenbahnzüge von 45 Metern Länge, in denen kaum Menschen gefahren wären, sagt Duflou.
Das alles hört sich verständlich an. Weniger verständlich ist jedoch, warum die MR, immerhin Koalitionspartner in der Vorgängerregierung, die Tram-Verlängerung in Lüttich noch ohne Widerworte mitgetragen hatte. Les Engagés ihrerseits hatten noch vor sieben Monaten die Tram-Erweiterung bis nach Seraing als "strukturell wichtig" für die Mobilität in Lüttich bezeichnet. Das berichtet am Freitag die Zeitung La Libre Belgique.
Die RTBF ihrerseits lässt anklingen, dass die Tram-Streichung auch politisch motiviert sein könnte. Die Mitte-Rechts-Regierung von MR und Les Engagés gegen ein Projekt, von dem vor allem der politisch links geprägte Raum Lüttich profitiert hätte.
Bürgermeister verärgert
Der Aufschrei bei den linken Parteien im Großraum Lüttich ist zumindest groß. Allen voran die PS-Bürgermeister der betroffenen Gemeinden zeigen sich verärgert.
"Diese Entscheidung ist ohne Rücksprache mit der Stadt Herstal getroffen worden, auch ohne Rücksprache mit der Bevölkerung", sagt Frédéric Daerden, PS-Bürgermeister von Herstal. "Außerdem hatten die Arbeiten doch schon längst begonnen im vergangenen Oktober. Ich bin von dieser Entscheidung völlig überrascht."
Und in Seraing regt sich PS-Bürgermeisterin Déborah Géradon mit folgenden Worten auf: "Die wallonische Regierung sagt uns, dass sie es vorzieht, Bauunternehmen zu bezahlen, um nichts zu tun. Da geht es anscheinend um Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe. Das macht die Regierung lieber, als die Straßenbahn bis nach Seraing zu bringen. Das ist wirklich eine enorme Geringschätzung der Einwohner von Seraing von Seiten der wallonischen Regierung".
Kay Wagner