Herr Lazarus, eine starke Justiz gilt als Garant für die funktionierende Demokratie. Darauf haben Sie jetzt gerade im Vorfeld der Wahl noch einmal besonders hingewiesen. Aber wie ist es denn um eine Demokratie bestellt, die das Justizwesen dermaßen unterfinanziert und die noch dazu Urteile der Justiz gegen den Staat als Staat ignoriert?
Eine solche Situation höhlt die Demokratie schlichtweg aus. Wir haben in diesem Jahr explizit auch in unseren Forderungen den Hinweis darauf, dass der belgische Staat seit einiger Zeit mittlerweile mehr als 7.000 Gerichtsentscheidungen, die insbesondere das Asylrecht betreffen, nicht respektiert, dafür auch regelmäßig durch internationale Instanzen angemahnt wird. Aber für uns ist nicht nachvollziehbar, wenn ein Staat seine eigenen Regeln nicht einhält.
Wir als Justiz wenden ja nur die internationalen und nationalen Normen an und denken, dass hier auch für den Bürger ein sehr schlechtes Beispiel gegeben wird und der Bürger sich die Frage stellen muss: Warum soll ich, wenn ich durch ein Gericht verurteilt werde, dieses Urteil respektieren? Wenn der belgische Staat, der die Gesetze erlässt, dies selbst nicht tut? Und das ist höchst gefährlich.
Mehr Finanzmittel, Selbstverwaltung der Mittel, vor allem mehr Richter. Eine Studie hat ergeben, dass 40 Prozent mehr Richter da sein müssten, um das gleiche Arbeitspensum zu halten, wenn die Richter einfach mal Job nach Vorschrift 38 Stunden machen würden. Aber ich nehme an, auch diese 40 Prozent würden nicht reichen. Wie eklatant ist der Personalmangel?
Zurzeit ist es so, dass noch nicht einmal die vorgesehenen Stellenpläne landesweit besetzt sind. Da sind aus Sparmaßnahmen dann die Stellenpläne nicht vollständig besetzt worden, was zur Folge hat, dass dann viele Familien, die beispielsweise in einer Trennungssituation sind, mehr als ein Jahr auf eine gerichtliche Entscheidung warten müssen, die festlegt, wo die Kinder beherbergt werden, die festlegt, ob und in welcher Höhe Unterhalt gezahlt werden muss.
Wir haben Unternehmen, die berechtigte Forderungen haben, aber dann auch mehr als ein Jahr teilweise auf Entscheidungen warten müssen, was zur Folge haben kann, dass dieses Unternehmen dann selbst in eine finanzielle Schieflage gerät. Also da kann das auch für jeden Bürger dramatische Folgen haben.
Wie würden Sie denn speziell die Situation im deutschsprachigen Gerichtsbezirk beschreiben oder in der Region?
Ich denke, dass ich sowohl für uns als auch für den Gerichtsbezirk Eupen sprechen kann. Wenn ich feststelle, dass wir hier zunächst einmal in Eupen insbesondere das große Glück haben, nach jahrzehntelanger Wartezeit seit einigen Jahren über eine hervorragende Infrastruktur zu verfügen. Dank des großen Einsatzes der Magistrate, der Staatsanwälte, der Mitarbeiter, der Gerichtskanzleien und der Verwaltung an der Staatsanwaltschaft ist es bis jetzt möglich gewesen, trotz personeller Engpässe - die aber dann eher dadurch bedingt sind, dass man nicht immer passende deutschsprachige Kandidaten findet - noch Entscheidungen in einen annehmbaren Rahmen zu treffen.
Was jetzt spezifisch den Appellationshof betrifft, der natürlich dann auch Anlaufstelle für deutschsprachige Rechtssuchende ist, muss man feststellen, dass hier die Infrastruktur alles andere als gut ist und es auch eklatante Sicherheitsmängel gibt, sowohl was den Schutz der Mitarbeitenden betrifft, als auch was den Zustand des Gebäudes betrifft.
In den vergangenen Wochen war in den Medien von einem Klopapier-Mangel bei uns die Rede. Da kann man drüber schmunzeln. Aber ich denke, das ist eigentlich symptomatisch für den Zustand der Justiz im Allgemeinen in diesem Land und den Umgang, den manche Regierungsverantwortliche mit der Justiz pflegen.
Gudrun Hunold
Gutes Interview, das zum Nachdenken anregen sollte.
Es ist doch irgendwie lächerlich und widersprüchlich, dass der belgische Staat zum Beispiel Russland kritisiert für mangelnde Rechtsstaatlichkeit und selbst Gerichtsurteile ignoriert.