Eigentlich ist es so, dass Paketsendungen, die nicht abgeholt werden oder die der Kunde zurückweist - weil er zum Beispiel seine Meinung geändert hat oder den bestellten Artikel in der Zwischenzeit bereits abbestellt hat - vom Zulieferer zurückgenommen werden. Wenn ein Paket an eine Relaisstation, zum Beispiel einen Zeitschriftenladen, geschickt wurde und dort aus welchem Grund auch immer nicht abgeholt wurde, dann gibt der Händler es nach ein paar Wochen an den Paketdienst zurück.
Dieser entscheidet nicht selten, die Sendung samt Inhalt zu vernichten. So spart er sich die Versandkosten und gegebenenfalls auch die Recyclingkosten. "Viel zu schade", hat sich Romain Fiammetti vermutlich gedacht und sein Business darauf aufgebaut. Der 34-Jährige aus Ferrières in der Provinz Lüttich rettet herrenlose Pakete vor den Flammen und kauft sie. Danach bietet er sie im Internet zum Verkauf an.
"Second Box" heißt sein Geschäft. Das Besondere daran: Die Pakete werden so weitergegeben, wie sie angekommen sind: verschlossen und zugeklebt. Nur der Name und die Adresse des Empfängers werden unkenntlich gemacht.
Wer sich für ein Paket interessiert, weiß, dass er die Katze im Sack kauft. Es kann sein, dass man anhand des Kartons einen Hinweis auf den Inhalt findet - wenn da zum Beispiel Mediamarkt drauf steht, ist die Chance groß, dass ein elektronisches Gerät verpackt ist. Ob es aber eine Zahnbürste ist oder ein DAB+-Radio, ist nicht erkennbar. Stammt der Karton sichtbar von Amazon oder Bol, kann alles Mögliche darin sein.
Was kostet ein Los?
Bei "Second Box" werden Lose mit mehreren Paketen zusammengestellt. Der Preis richtet sich nach dem Gewicht. Im Angebot sind verschiedene Volumen: zwei, fünf, zehn, zwanzig oder dreißig Kilo. Der Kunde hat zudem die Wahl zwischen Boxen, die mit weichen Dingen befüllt sind oder mit festen, oder er entscheidet sich für eine gemischte Box. Das Angebot richtet sich natürlich nach dem, was Romain Fiammetti an unzustellbaren Paketen erwerben konnte.
Keine hochwertigen Elektronikartikel
Am Mittwoch zum Beispiel war ein Fünf-Kilo-Los mit weichem Inhalt zu haben, das bestand aus sieben kleinen und größeren Päckchen. Es kostete 62,50 Euro. Da sind vielleicht Textilien drin, Modeaccessoires oder eine Handyhülle. Für 95 Euro bekam man ein Fünf-Kilo-Los mit festem Inhalt, da waren fünf Pakete drin - vielleicht Spielzeug oder Dekoartikel? Es ist ein bisschen ein Lotteriespiel.
Das Einzige, was man nicht bei "Second Box" findet, sind hochwertige Elektronikartikel, weil die entweder nicht zurückgelassen werden oder, falls doch, weil solche Pakete für die Verkäufer zu wertvoll sind und sie sie zurückhaben wollen.
Für wen ist das interessant?
Ein lohnendes Geschäft ist der Kauf einer "Second Box" wohl meistens nicht. Es kann interessant sein für Leute, die gerne auf Verkaufsplattformen wie Vinted oder Ebay unterwegs sind. Denn wenn der Inhalt der Box nicht gefällt, sollte man wissen, wo man die Sachen weiterverkaufen kann. So hat man sein Geld vielleicht schnell wieder raus oder man kann vielleicht noch Geld machen.
Das Los mit den Paketen muss am Lager in Ferrières abgeholt werden. Ferrières liegt etwa 25 Kilometer westlich von Trois-Ponts. Ob es so klimafreundlich ist, dahin zu fahren, um ein Paket abzuholen, das man gekauft hat, um es vor der Vernichtung zu bewahren (und damit das Klima zu schonen) - die Frage sollte jeder für sich beantworten.
Judith Peters