Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Einsetzung des RDG und einer eigenen Exekutive blicken wir mit dem frischgebackenen Ruheständler Karl-Heinz Lambertz zurück. Und spannen dabei einen weiten Bogen bis zurück in die 1970er Jahre.
"Ja, das war der Start dieser 50 Jahre, die ich hier in ostbelgischen Politikgefilden verbracht habe. Ich hatte damals gerade mein Abitur und begann mein Studium in Löwen. Wir waren dann 70/71 auch schon ziemlich im Fahrwasser dessen, was sich da so heranbildete als Diskussion über die Autonomie insgesamt. Und so haben wir dann auch aus der Perspektive Jugend heraus die ganze Entwicklung, die ersten Schritte des RdK, dann das lange Kämpfen um ein richtiges Parlament und eine eigene Regierung begleiten können. Das waren so richtige Pionierzeiten."
Als junger Mann, mit 29, ging Karl-Heinz Lambertz den nächsten Schritt: Ende 1981 wurde er zum ersten Mal in den damaligen Rat der deutschen Kulturgemeinschaft gewählt. "Das war auch eine völlig andere Welt. Das war noch so richtig alles holpriges Handwerk. Da musste jeder Hammerschlag wirklich mit der Hand gemacht werden. Und es bestand auch ein ganz besonderes Klima der Zusammenarbeit zwischen den Leuten, auch aus verschiedenen Parteien und vor allem auch zwischen den Leuten, die dann da gewählt waren und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung. Das war so etwas wirklich Einzigartiges ..."
Noch hatte der Rat aber nur beratende Funktion, regiert wurde von Brüsseler Ministerkabinetten aus. Die Forderung nach eigener Dekretbefugnis und einer eigenen Exekutive wurde mit dem Gesetz vom 31. Dezember 1983 umgesetzt. "Und am 30. Januar 1984 wurde ja dann die erste Regierung gewählt, eingesetzt und in einer historischen Feier am Abend auch begangen. Und wenn man über diese Feier was wissen will, dann sollte man in den Memoiren des damaligen Premierministers Wilfried Martens nachlesen."
Die SP entsandte Marcel Lejoly als Minister in diese erste Exekutive, eine klassische Dreierkoalition der traditionellen Parteien. Als CSP und PFF nach den Wahlen 1986 alleine weitermachten, wechselte Karl-Heinz Lambertz als Fraktionsvorsitzender in die Oppositionsrolle. "Ich habe diese Tätigkeit sehr geschätzt und gemocht. Wir hatten da auch eine relativ kohärente Arbeitsweise in der Opposition. Es gab damals ja die PDB und die SP und dann gab es noch SeP und es gab auch einen Ecolo-Vertreter. Und wir haben ein bisschen versucht, in diesen Jahren unsere Vorgehensweise zu koordinieren und das war dann schon manchmal für die Regierung etwas anstrengend."
Für Karl-Heinz Lambertz war aber auch das eine lehrreiche Erfahrung, auf die er später zurückgreifen konnte, als er ab 1990 selbst ein Ministeramt ausüben sollte. Seine Reaktion am Wahlabend:
"Ich bin jemand, der für die Zukunft arbeiten will und der glaubt, heute Abend vom Wähler dafür einen wichtigen Auftrag bekommen zu haben. Wir haben Trümpfe, die wir in unserem Programm sahen und die der Wähler bestätigt hat. Wir haben andere Trümpfe, die wir auch auf den Tisch legen können, wenn es darum geht, Dinge in Ostbelgien zu verwirklichen. Das ist, was wir jetzt mit einbringen und das ist das, worüber wir hoffen, in den nächsten Tagen mit Koalitionspartnern reden zu können. Da bin ich sehr zuversichtlich, denn ich weiß, dass diejenigen, die auch heute noch die stärkste Partei in Ostbelgien sind, wissen werden, was jetzt zu tun ist, damit die Geschicke in Ostbelgien positiv vorangebracht werden können ..."
Lambertz wurde in der neuen Dreierkoalition Minister für unter anderem Medien, Erwachsenenbildung und Behindertenpolitik. "Das war in meinem Leben ein ganz tiefer Einschnitt. Ich hatte 1976 eine berufliche Tätigkeit an der Universität begonnen. Danach war ich dann im Umfeld der Regionalen Investitionsgesellschaft der Wallonie tätig. Und 1990 ergab sich die Gelegenheit, in die Regierung einzusteigen. (...) Das ist etwas, wo man schon darauf hinarbeiten kann. Aber wenn man drin ist, ist es was völlig Neues und dann muss man lernen, mit dem Fällen von Entscheidungen umzugehen, auf Dinge jeden Tag zu reagieren, die man teils vorhersehen, teils nicht vorhersehen kann. Man muss lernen, wie man Lösungen herbeiführt, Kompromisse, und das ist schon ein sehr spezieller Beruf. Den habe ich dann auch 24 Jahre ausgeübt."
Davon immerhin 15 Jahre als Ministerpräsident. Denn 1999 kam es zum Bruch mit dem bisherigen Koalitionspartner CSP, was Karl-Heinz Lambertz den Vorwurf des "Wortbruchs" einbrachte - war man sich vor den Wahlen doch über eine Fortführung einig gewesen, wie Lambertz selbst Ende Juni '99 im BRF bestätigte:
"Wir hatten die feste Absicht vor den Wahlen, die bestehende Zusammenarbeit mit der CSP fortzusetzen, weil wir glaubten, da eine erfolgreiche Arbeit geleistet zu haben. Am Wahltag hat sich die politische Landschaft in Belgien fundamental und auch in Ostbelgien mehr als auf den ersten Blick erkennbar verändert. Unser Problem war nun zu sehen: Wie können wir mit den Zielen, die wir uns gesteckt hatten, in Zukunft weiterfahren. Hauptziel der Zusammenarbeit war die Refinanzierung der Gemeinschaft, die Erweiterung der Autonomie auf neue regionale Kompetenzen, zwei Dinge, wo wir ja erfolgreich in der Vergangenheit mit der Wallonischen Region verhandeln konnten und auch mit dem Föderalstaat. Die Machbarkeit dieser wichtigen Ziele hat sich im Anschluss an die Wahlen vom 13. Juni als sehr schwierig erwiesen in der Konstellation, so wie sie vor den Wahlen als Mehrheit bestand. Wir haben alles abgewogen, gründlichst überlegt, auch Rücksprache mit unseren Parteifreunden in Brüssel und Namur gehalten und wir sind dann schließlich (...) zu der Erkenntnis gekommen, dass der bessere Weg für Ostbelgien aus vielfältiger Sicht die Koalition ist, deren Verwirklichung augenblicklich verhandelt und angestrebt wird."
Heute, fast 25 Jahre später, sagt Karl-Heinz Lambertz: "Sowas ist natürlich immer sehr, sehr unangenehm, wenn man aus einer Partnerschaft, die ja durchaus funktioniert hatte, raus in eine neue Perspektive einsteigt. Und die Umstände damals waren sehr kontrovers, umstritten und da ist ja nun fast schon alles so gesagt worden. Aber eines muss ich ganz deutlich sagen: Von Brüssel oder Namur oder sonst wo aufgezwungen war diese Koalition nicht."
Dahinter stand vielmehr das Bemühen der anderen Parteien, die bis dahin dominierende und etwas selbstherrlich agierende CSP in die Opposition zu drängen, was auf Gemeinschaftsebene bis heute so geblieben ist. Gleichzeitig drückte Lambertz dem "Unternehmen DG" seinen Stempel auf. "Ja, ich will das nicht übertreiben, aber auch nicht kleinreden. Ich glaube schon, dass ich allein schon wegen der langen Jahre, wo ich da tätig war, und wohl auch wegen den sehr klaren Überzeugungen, die ich wohl in Autonomiefragen habe, als auch in den politischen Sachbereichen, für die wir zuständig sind, habe ich immer versucht, etwas in Bewegung zu bringen, die Autonomie voranzutreiben. Ich bin ein ganz großer Verfechter der Vollautonomie, also dieses 'bereit, gewillt und in der Lage' ist nicht nur etwas, was ich als Spruch erfunden habe, sondern das ist meine tiefste Überzeugung. Und das nicht, weil ich glaube, dass wir alles besser machen, wenn wir es selbst machen, sondern weil es ganz einfach eine logische Konsequenz des belgischen Föderalismusmodells ist ..."
Hinzu kamen politische Instrumente wie die langfristige Finanzplanung oder Strategien, wie sie im Regionalen Entwicklungskonzept Ausdruck fanden. "Als eine langfristige Perspektive über drei Legislaturperioden. Das ist ja jetzt zu Ende und man ist jetzt ja dabei, die nächste Phase 'Ostbelgien 2040' vorzubereiten. Das ist aus meiner Sicht für die Positionierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft ein ganz fundamentales Element. Und es gibt ein zweites, das auch nicht unumstritten war. Aber da bin ich auch genauso überzeugt, noch wie von Anfang an, wenn nicht sogar mehr: Gerade eine kleine DG muss vor Ort tief verankert sein in der eigenen Identität, in den Besonderheiten, in den Innereien dieser Gemeinschaft. Und da bleibt noch Arbeit zu tun. Für mich ist die Identifizierung mit der Gemeinschaft innerhalb der Bevölkerung noch ausbaufähig und das zweite Element, damit unlöslich verbunden, ist die Öffnung nach außen und die Vernetzung. Die ist gerade für eine kleine Region überlebensnotwendig und wichtig."
Mittlerweile ist Karl-Heinz Lambertz aber seit fast zehn Jahren nicht mehr in Regierungsverantwortung. 2014 übernahm sein "Zögling" Oliver Paasch mit ProDG das Ruder, die SP blieb mit Antonios Antoniadis als Minister in der Regierung, Lambertz wechselte als Präsident ins Parlament. "Ich habe 2014 selbst beschlossen, aus der Regierung herauszugehen. Ich hätte auch da bleiben können. Ich fand es aber besser. Aufgrund des Wahlergebnisses war der Anspruch auf den Ministerpräsidenten so nicht mehr da. Und ich fand es dann gut, dass ein neuer junger Minister meiner Partei zum Zuge kam. Also ich habe mich auf dieses Amt des Parlamentspräsidenten sehr gefreut, auch wenn viele da zu Beginn große Skepsis hatten: Was wird er da wohl alles anstellen? Und dafür gab es mehrere Gründe. Da gab es erstens mal meine Erfahrung aus den 1980er Jahren, aus Mehrheit und Opposition, und auch meine tiefe Überzeugung, dass in den modernen parlamentarischen Demokratien das Verhältnis, das Gleichgewicht zwischen Parlament und Regierung immer wieder neu aussondiert werden muss. Und es ist gerade in Ostbelgien mit dem nebenberuflichen Parlament ein richtiges Ungleichgewicht da. Das kann man auch nicht einfach so weg organisieren, da kann man nur dran arbeiten. Aber wir haben dann versucht, eine Parlamentsreform umzusetzen, um noch effizienter zu arbeiten, auch um die Regierungskontrolle zu verbessern, um die internen Arbeitsvorgänge im Parlament noch mal neu zu justieren. Da haben wir damals eine Menge gemacht, eine erste Reform durchgezogen. Die ist nachher von Alexander Miesen fortgesetzt worden und wir haben sie 2019 nochmal angepackt. Und sie ist gerade unter Charles Servaty dabei, für die laufende Legislaturperiode abgeschlossen zu werden."
Offene Begeisterung ist rauszuhören, wenn Karl-Heinz Lambertz von der jüngsten Entwicklung spricht: dem (auch schon 2014 eingeleiteten) Einstieg in den ständigen Bürgerdialog. "Das ist eine hochspannende Angelegenheit, die man natürlich jetzt nicht über den Klee loben soll. Das ist auch keine Zauberformel. Aber es ist etwas, was das Leben in der Demokratie durchaus bereichert. Vor allem, wenn man in einer kleinen Region sich vorstellt, dass über fünf, zehn, 15, 20 Jahre Bürgerdialog ein relevanter Teil der Bevölkerung mal persönlich dabei war. (...) Der Erfolg des Bürgerdialogs hängt nicht im Wesentlichen davon ab, was an Schlussfolgerungen auf den Tisch kommt. Es gibt eine Schwarmintelligenz, die dazu führt, dass meistens sehr vernünftige Sachen kommen: institutionalisierter gesunder Menschenverstand. Und wichtig ist es dann, dass das umgesetzt wird. Und wenn man das wirklich machen will, dann muss man etwa in einem Parlament die gesamte Arbeitsweise relativ umkrempeln und auch mit mehr Aufwand. Und das ist keine so einfache Sache."
Vor ziemlich genau einem Jahr hat Karl-Heinz Lambertz den Vorsitz im PDG abgegeben an Charles Servaty, Mitte Dezember verzichtete er mit nun 71 Jahren ganz auf seinen Platz im Parlament, den daraufhin der junge Lothar Faymonville einnahm. Es fällt schwer, sich das "Arbeitstier" Lambertz vorzustellen, ohne Politik ... "Also von Phantomschmerz kann ich noch nichts entdecken. Es ist auch insofern keine große Gefahr der allzu großen Schmerzen da. Denn die Entscheidung, so auszusteigen, wie ich ausgestiegen bin, habe ich selbst gefällt. (...) Das war für mich so ein natürlicher Prozess, auf dem ich mich auch inhaltlich, geistig, emotional einstellen konnte. Ich habe jetzt da noch eine Reihe Sachen, die ich zu Ende führe. Ich habe auch meinen Parteifreunden versprochen, ihnen bei der Vorbereitung der nächsten Wahl im Hintergrund aus der zweiten Reihe noch meine Erfahrungen zur Verfügung zu stellen. Aber ich bin jetzt auch in meinem eigenen Selbstverständnis als aktiver Politiker aus dem Geschäft raus."
Und irgendwie ist ihm auch anzumerken, dass von ihm etwas abgefallen zu sein scheint: "Ich kann auch ehrlich sagen: Nach einem halben Jahrhundert Veranstaltungs- und Versammlungsstress bin ich jetzt nicht traurig, dass es eine Reihe von Sitzungen, Tagungen und Veranstaltungen gibt, auf die ich nicht systematisch immer hingehen muss. Ich gehe noch gerne zu dem einen oder anderen, aber das ist schon etwas anderes, ob man jetzt einfach nur da hingeht aus Interesse oder ob man da dann mit aktiv sich beteiligt oder sogar führende Funktionen ausübt."
Stephan Pesch