1986 wurde Mathieu Grosch Minister, 1990 Ratspräsident und 1994 Europaabgeordneter - dazu war er noch viele Jahre Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Kelmis. Das hat ihm bis heute keiner nachgemacht.
"Ich bin für die meisten Kollegen hier zuerst einmal ein deutschsprachiger Belgier, also ein Unikum so gesehen, aber zum anderen auch der Mann, wo man hingeht und sagt: 'Hör mal, wie siehst du diese und jene Sache im Transport, haben wir da Lösungsmöglichkeiten?'" So bilanzierte Mathieu Grosch im Frühjahr 2014. Da stand schon fest, dass er nicht wieder für das Europaparlament kandidieren und nach Ablauf des Mandats, kurze Zeit später, als Berater für die EU-Kommission arbeiten würde. Der Abschluss einer politischen Laufbahn, die sich der studierte Germanist zu Beginn seiner Karriere wohl nicht hätte träumen lassen.
"Ich wohnte in Lüttich und spielte Theater mit den Germanisten und hatte Firmin Pauquet aufgesucht, um zu sehen, wenn wir eine Tournee hier durch Ostbelgien machen würden mit den Germanisten unter anderem in Eupen und in St. Vith, ob da auch eine Finanzierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft möglich wäre. Und an dem Tag sagte der Firmin Pauquet zu mir: Weißt du was, du bist ja Alt-Kelmiser, ich habe heute eine CSP-Versammlung. Komm mit, dann reden wir danach weiter. Ich bin da hingegangen, kannte natürlich fast alle Leute da, weil ich noch regelmäßig den Frühschoppen in Kelmis mitmachte. Ich war da natürlich auch da im Jugendheim, wie wir es nannten, die Patronage, groß geworden und plötzlich wurde an dem Abend eine Stelle im Verwaltungsrat vom BRF vorgeschlagen. Und in dem Moment sagt einer: 'Hör mal, der Mathieu kennt das, der lebt da zwischen den Fronten. Sollen wir den Mathieu schicken? Der wird das bestimmt gut machen ...'"
Über die CSP lernte Mathieu Grosch den nur ein Jahr älteren Joseph Maraite kennen, was sich für ihn als schicksalhafte Begegnung herausstellen sollte. "Joseph Maraite war eines Tages auf der Suche nach jemandem, der auch mehrsprachig war. Und so bin ich im Kabinett bei Wilfried Martens gelandet, durch Joseph Maraite. Aber die ganze Geschichte hat durch einen Zufall in Kelmis mit dem Theater im Endeffekt der Germanisten angefangen."
Wenn man die Biographien der damals jungen ostbelgischen Politikergeneration vergleicht, kehrt dieses Muster wieder: Ausbildung zum Lehrer, eher zufällig der Einstieg in die Politik und dann schnell der steile Aufstieg über den Eintritt in Brüsseler Ministerkabinette. "Also die Erfahrungswerte bei Martens waren schon Gold wert. Wir sind hier angekommen, sowohl Joseph Maraite, Marcel Lejoly und Bruno Fagnoul, mit interessanten Erfahrungen im Koffer und ich würde es wirklich jedem gönnen, auch heute noch, dass er, bevor er einen größeren Einstieg in Ostbelgien macht, mal schnuppert links und rechts und sieht, wie die Welt dort dreht. Denn es ist schon wichtig, besonders für eine kleine Gemeinschaft."
1984, mit der Dekretbefugnis für den Rat der Deutschsprachigen Gemeinschaft und mit der ersten Exekutive, war die Zeit dann reif, das in Brüssel Erlernte auf Ostbelgien anzuwenden: Mathieu Grosch wechselte ins Kabinett von Joseph Maraite, der neben Bruno Fagnoul und Marcel Lejoly die erste Drei-Mann-Regierung bildete. "Und ich saß im Wagen mit Martens zusammen, als wir nach Eupen kamen, als die Einsetzung des Rates war. Und dann stellte er mir die Frage: 'Wirst du mich dann auch noch verlassen?' Ich sagte: 'Hör mal, ehrlich gesagt, ich glaube, in Eupen ist mehr Arbeit als hier in Brüssel. Und offen gesagt, sie wird auch interessanter sein', denn so eine Aufbauphase ist ja ein einmaliges Erlebnis."
1986 kamen die Wahlen und mit ihnen eine Zweierkoalition aus CSP und PFF - mit Joseph Maraite als Ministerpräsident und Mathieu Grosch als Minister. "Ich konnte erklären, wie der Norden tickt. Ich konnte auch verstehen, wie der Süden tickt. Und das hat für mich manchmal Brücken gebaut, die auch Lösungen brachten. Und ich vergesse nie die Nacht, wo wir das Abkommen der DG für die Krankenhäuser gemacht haben. Dann hatte ich den Text und an der Schreibmaschine saß Lorenz Paasch. Und der hat dieses Abkommen geschrieben, selbst. Da haben wir sehr oft drüber gesprochen, wenn so was möglich war und wenn man an Debatten denkt, die im Rat gewesen waren, dann waren wir beide stolz, dass wir im Sinne der Sache Brücken gebaut haben."
Ab 1990 gab es dann eine Dreierkoalition: Weiter mit Joseph Maraite als Ministerpräsident, Bernd Gentges löste bei der PFF Bruno Fagnoul als Minister ab und Karl-Heinz Lambertz trat für die SP sein erstes Ministeramt an. Mathieu Grosch wechselte von der Klötzerbahn an den Kaperberg, als Präsident des RDG. "Es ging um Joseph Maraite oder mich. Und Parteipräsident Johann Haas klärte das nach alter Manier des Sozialschlichters: 'Jungens, jetzt geht ihr zwei Bierchen trinken in Lüttich, und wenn ihr zurückkommt, habt ihr eine Lösung.' Das war sehr schnell geklärt, denn wir hatten ein sehr faires Verhältnis. Wir waren zwar, wie überall in der Politik, auch schon mal Konkurrent gewesen. Und ich wusste, dass für ihn Ministerpräsident das Wichtigste war, das er anpeilte. Und aus dem Grunde haben wir das dann auch so entschieden. Und so bin ich Ratspräsident geworden, was mein Glück war. Denn als die Stelle offen wurde für das Europaparlament, konnte ich viel freier meine Kandidatur anmelden, als wenn ich Ministerpräsident geworden wäre."
Als Ratspräsident wollte Mathieu Grosch im RDG aber nicht derjenige sein, "der nur das Wort erteilt." "Ich glaube, ich war einer der ersten Präsidenten, der aufgestanden ist und gesagt hat: 'Ich möchte an einer Debatte mit teilnehmen und jemand anderes übernimmt das.' Das war für mich das Aktive, das ich gesehen habe. Das Zweite war: Ich wollte das Haus öffnen. Ich war immer ziemlich schockiert in Brüssel, dass man einen besonderen Pass bekam, um in der Rue de la Loi rumzugehen, und dass dieses Viertel so abgeschottet war. Ich denke, die Menschen müssen wissen, was da drin passiert, hier läuft doch nichts Geheimes. Somit haben wir sehr viele Besuche im Parlament organisiert, viele Jugendliche eingeladen. Und ich bin, glaube ich, der erste, der in der Jeanshose zum Parlament ging als Ratspräsident, wo ich dann auch gewisse Bemerkungen bekommen habe. Ich bin doch irgendwie noch ein 68er geblieben."
1994 fiel den deutschsprachigen Belgiern dann ein Sitz im Europäischen Parlament in den Schoß ... "Der Sitz für die Deutschsprachigen war die beste Lösung, um einen Konflikt zwischen den Flamen und den Wallonen zu vermeiden. Unter anderem zusammen mit Joseph Maraite und Philippe Busquin und Gerard Deprez haben wir den Sitz 'verhandelt'. Ohne zu wissen, ob es ging oder ob es nicht ging, war natürlich die Gelegenheit da."
Und Mathieu Grosch griff zu. Er setzte sich am 12. Juni 1994, wie erwartet, durch gegen die Konkurrenz von unter anderem Fred Evers und der Liste Juropa um Christian Dahm und einen gewissen Oliver Paasch. Einen Monat später zog der frischgebackene Europaabgeordnete Mathieu Grosch im Interview bei BRF-Redakteur Rudolf Kremer schon eine erste Zwischenbilanz:
Mathieu Grosch: "Ganz ehrlich gesagt, das Komplexe ist das Erste, was man in den ersten Stunden erfährt, aber ich glaube, da muss man schon sich sehr schnell durchkämpfen. Das Zweite ist: auch vom Inhalt her fühlt man sich wie jemand, der einiges durchzulesen hat. Das werde ich aber auch sehr konsequent machen. Das Dritte ist etwas sehr Wichtiges und die Erfahrung, die ich gemacht habe, das ist, dass der Deutschsprachige aus Belgien an und für sich in der Theorie schon sehr bekannt war und dass es Belgien sehr hoch angerechnet wird und vielleicht ein bisschen im Gegensatz zu dem Ton, den wir hier im Wahlkampf erlebt haben, dass Belgien es vermocht hat, sein Demokratieverständnis so weit zu bringen und auch eine kulturelle Minderheit, wie sie es nennen, auf der Ebene einen garantierten Sitz zu geben."
Rudolf Kremer: "Sie sprechen den Wahlkampf an, man hat ja zuweilen auch kritisiert, dass das Ganze nicht mit der erforderlichen Leidenschaft geführt worden ist, vor allem vor dem Hintergrund, dass sich eigentlich durch die Tatsache, dass die Deutschsprachigen Gemeinschaft jetzt einen eigenen Europaabgeordneten stellt, sich eigentlich die Autonomie vollendet hat, dass wir nicht nur national anerkannt sind, sondern dass wir jetzt tatsächlich im Konzert der Völkerfamilien tatsächlich auch da unseren Platz haben …"
Mathieu Grosch: "Ehm, das Erste ist, dass jetzt im Europaparlament circa 60 Prozent Neugewählte sind. Und das Thema in den ersten Fraktionssitzungen war gerade die Schwierigkeit, die viele, die jetzt neugewählt sind, also sich neu auch mit dem Thema auseinandersetzen mussten, die Schwierigkeit im Wahlkampf doch sehr konkret über Europa zu werden, weil auch viele das Gefühl hatten, dass das Europaparlament nicht genügend Informationen gibt, die für viele zugänglich sind. Das Zweite ist aber auch, glaube ich, dass die Deutschsprachigen aber auch vielleicht in einem Rhythmus von 20 Jahren, besonders von zehn Jahren so viele Sachen als selbstverständlich betrachtet haben, dass das Europaparlament und dieser garantierte Sitz im Europaparlament genau auch in diese Selbstverständlichkeit rein kam. Und ich glaube, es würde einigen aus unserer Gegend gut tun, vielleicht auch mal ein bisschen Distanz zur lokalen Politik zu gewinnen und den eigentlichen Wert zu erkennen, von dem, was wir hier in unserer Gegend an Befugnissen und an Möglichkeiten haben. Ich glaube, das ist einer der Höhepunkte in unserer Autonomie, auf anderen Ebenen kann die Deutschsprachige Gemeinschaft nicht mehr vertreten sein, auf höheren Ebenen, das Einzige, was aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft noch zu erwarten ist, das ist, dass genügend Persönlichkeiten vorhanden sind, um sowohl lokal, regional als auch auf dieser Ebene diese Sache würdig zu vertreten."
Mathieu Grosch vertrat die deutschsprachigen Belgier auf EU-Ebene während 20 Jahren ... zwischendurch wurde er sogar mal als möglicher Föderalminister gehandelt und in Ostbelgien immer wieder als derjenige, der seiner Christlichsozialen Partei mit einer Spitzenkandidatur eine Rückkehr in die Mehrheit der Deutschsprachigen Gemeinschaft hätte ebnen können, indem er Karl-Heinz Lambertz die Stirn geboten hätte ...
"Das mag stimmen, dass es vielleicht so gekommen wäre, aber auf der anderen Seite und ich habe das gleiche Gespräch mit Pascal Arimont geführt vor einiger Zeit, wo Pascal zu mir kam und sagte: Hör mal, du saßt ja auch in einer Situation und ich stehe jetzt da und ich muss auch eine Wahl treffen. Und ich sagte: Meine Motivation war damals zu sagen, wenn die CSP auf eine einzige Person angewiesen ist, dann sind wir sehr schwach. Denn da kam sogar der Vorschlag auf beiden Listen Erster zu sein. Ich meine, das war für mich ein Armutszeugnis für eine Partei. Gut. Ehrlich gesagt, die Arbeit in Brüssel. Ich habe die Arbeit in Eupen gekannt als Minister. Ich habe sie gekannt als Ratspräsident. Die Arbeit in Brüssel war von der Vielfältigkeit her und von den Kontakten her und auch von der Methode her - was viele unterschätzen ist: Das Europaparlament hat ja keine funktionierende Mehrheit mit der Disziplin einer Mehrheit. Und das ist das Schöne daran. Man muss Mehrheiten suchen. Und wenn ein Vorschlag seitens der Kommission kommt und der kann abgeändert werden, dann tritt ein Kommissar nicht zurück, weil das Parlament eine andere Meinung hat. Und das ist das, wo ich sagte: Wer diese Schule mal mitgemacht hat, der offenen Debatte, der Abänderungsmöglichkeiten, wo man nicht auf den Schlips getreten ist, weil man einen Vorschlag nicht so akzeptiert. Ich kenne keine einzige Richtlinie der Kommission, die im Parlament so durchgewunken wurde. Das gab's nicht, da gab es nicht diese Disziplin. Das musst du machen, weil der von uns ist. Da darf man frei denken. Und das war für mich noch die innere Motivation. Manchmal schwer zu erklären nach außen und ich würde es mir auch manchmal in anderen Parlamenten wünschen, dass solche Formen der Zusammenarbeit wären. Aber das war die Grundmotivation. Ich fand es interessanter."
Minister, RDG-Präsident, Europaabgeordneter ... ähnlich wie Willy Schyns war Mathieu Grosch aber parallel dazu auch Bürgermeister seiner Gemeinde Kelmis. "Ich sagte immer: Brüssel war die Theorie und Kelmis war die Praxis. Und was Adenauer mal sagte, habe ich dann immer beherzigt: 'Das Kommunalamt ist die Hochschule der Politik.' Und wer das erlebt hat, der wird immer anders reagieren, wenn er wirklich die Verantwortung in einer Gemeinde übernimmt. Man ist sofort kontrolliert. Wenn Sie die Steuer erhöhen und Sie erklären nicht genau, warum, dann werden Sie auch irgendwie direkt bestraft. Ich habe auch meine Niederlage gekannt in der Gemeinde, da geht es nicht darum."
Bei den Gemeinderatswahlen im Oktober 2012 gab es eine Abfuhr: Mathieu Grosch büßte praktisch die Hälfte seiner Vorzugsstimmen ein, seine CSP verlor fünf ihrer zwölf Sitze, der Mehrheitswechsel war unausweichlich. Ein Signal, das der mit allen Wassern gewaschene Politprofi sehr wohl zu deuten wusste. "Ich glaube auch im Nachhinein, ich hätte im Familienkreis früher darauf hören müssen, wenn man mir sagte: Hör mal, nach einer gewissen Zeit wollen die Leute einen Wechsel, ob du gut oder nicht gut bist, das hat da nichts mit zu tun. Das unterschätzt man, wenn man vielleicht zu lange in einem Amt bleibt. Aber Bürgermeister war für mich wirklich die Hochschule der Politik."
Mit 73 Jahren treibt ihn sein Know-how um das europäische Transportwesen immer noch um - ansonsten hat er aber zur Politik, die sein Leben so prägte, einen gesunden Abstand gewonnen. "Heute gehe ich noch mit Freude durch Kelmis und habe natürlich bei gewissen Fragen die Freiheit zu sagen: Seid mir nicht böse, aber da antworte ich nicht drauf. Ich gebe auch gewisse Kommentare nicht mehr ab, denn ich finde, wenn man aufgehört hat, soll man sich nicht mehr wie eine Schwiegermutter benehmen und sich einmischen. Aber es war Freude und es ist heute noch Freude, Kommunalpolitik zu machen. Egal wie viel Stress - und was ich nicht gerne habe, das sind Leute, die einen Job machen und dauernd über den Job schimpfen. Dann müssen sie den Job ändern. Ich hab Politik sehr gern gemacht und ich lese heute noch gerne über Politik, und ich finde, sich irgendwie am Aufbau einer Gesellschaft mit zu beteiligen, ist viel besser, als am Rande zu stehen und dauernd drüber zu reden."
Stephan Pesch
Ein Tausendsassa mit einer guten Rente....
Mathieu Grosch steht sinnbildlich für alles, was in Kelmis die letzten 30 Jahre schiefgelaufen ist. Luc Frank braucht 3 Amtszeiten um auch nur ansatzweise das von Grosch angerichtete Chaos zu beseitigen! Die CSP wird auch die letzte Hochburg verlieren!
Die DG besteht nicht nur aus Kelmis. Eher kommt mir bei dem nur kaum noch vorhandenen Deutsch sprechen der Eindruck auf, Lontzen und Kelmis sind kein Teil mehr der DG sondern Heimatboden der Holländer und Frankophonen Belschmänner.
Doch Mathieu Grosch jetzt für alle Pannen verantwortlich zu machen ist realitätsfremd. Aus politisch neutraler Sicht betrachtet werfe ich mein Auge aber doch auf die Mehrheitsbevoelkerung im Dorf statt einfach nur auf politische oder wirtschaftliche Repräsentanten.