Der Einfachheit halber gehen wir hier von dem Szenario aus, dass die DG zu einer vollwertigen Region-Gemeinschaft in einem "Belgien zu viert" würde - das ist der komplexere Fall und in dem Sinne dann auch aussagekräftiger.
Erste Frage: Weswegen waren alle Beteiligten angesichts des Ergebnisses so überrascht? In erster Linie wegen des enorm hohen Anteils an Berufspendlern, die im benachbarten Ausland arbeiten. "Denn es ist so", sagt Maxime Fontaine, der maßgeblich an der Studie mitgewirkt hat: "Die Dotation - also die Geldmittel, die der DG vom Föderalstaat zur Verfügung gestellt werden - wird zu einem doch erheblichen Teil auf der Grundlage des Aufkommens aus der Einkommenssteuer berechnet."
"Das ist aber in Ostbelgien - im Vergleich zur Gesamtbevölkerung - relativ niedrig, weil so viele Menschen ihre Steuern im Ausland zahlen. Und wir sind davon ausgegangen, dass dieser Umstand der DG den Hals zuschnüren würde." Ministerpräsident Oliver Paasch hatte genau dieselben Bedenken. "Insofern nehmen wir natürlich mit Genugtuung zur Kenntnis, dass trotz dieses objektiven Nachteils aufgrund des sogenannten Solidaritätsmechanismus die Deutschsprachige Gemeinschaft überlebensfähig wäre", so Paasch.
Besagter Solidaritätsmechanismus sorgt dafür, dass eben dieses vergleichsweise niedrige Aufkommen aus der Einkommenssteuer zu 80 Prozent ausgeglichen wird. Dadurch wird der negative Effekt auf die Dotation also abgefedert.
Doch gibt es darüber hinaus auch noch "Mitnahmeeffekte". "Auf der einen Seite werden wir als Deutschsprachige Gemeinschafts-Region natürlich bestimmte regionale Befugnisse in der Praxis überhaupt nicht wahrnehmen müssen, wenn man beispielsweise an Flughäfen denkt, die brauchen wir nicht" - doch sind im Finanzierungsgesetz für die Regionen eben "per se" Haushaltsmittel für Flughäfen und Häfen vorgesehen. Das Geld bekäme die DG trotzdem, und das wäre dann eben "gratis obendrauf", könnte man sagen.
"Der andere Teil der Erklärung besteht darin, dass die Wallonische Region heute von der Französischen Gemeinschaft viele Befugnisse, beispielsweise das gesamte Gesundheitsressort, übernommen hat und mit zum Teil unserem Steuergeld finanziert", so Paasch. "Dafür erhalten wir so gut wie keine Ausgleichszahlungen. Diese Problematik würde sich natürlich dann auflösen, wenn die Deutschsprachige Gemeinschaft selbst über die regionalen Befugnisse verfügt."
Zwischenfazit: Der deutschsprachige Teilstaat in einem hypothetischen "Belgien zu viert" - mit allen regionalen und Gemeinschaftszuständigkeiten - hätte zwar einige strukturelle Nachteile (Stichwort Pendler). Das würde aber ausgeglichen durch Solidaritätsmechanismen und diverse Mitnahmeeffekte.
"Überlebensfähig"
Damit wird dann auch die zweite Frage schon beantwortet, die da lautet: Was genau ist mit "überlebensfähig" gemeint? Nicht gemeint ist damit, dass ein Ostbelgien außerhalb des belgischen Kontextes lebensfähig wäre. Um diese Frage ging es nicht. "Überlebensfähig" bezieht sich vielmehr ausschließlich auf den jetzigen gesetzlichen Kontext im föderalen Belgien, gilt also im Rahmen der Finanzierungsgesetze und -mechanismen, so wie sie im Moment gestrickt sind.
Ministerpräsident Oliver Paasch bringt es auf den Punkt: "Würden wir so behandelt wie beispielsweise die Flämische Gemeinschaft, würden wir alle Befugnisse der Flamen ausüben, alle gemeinschaftspolitischen und alle regionalen, würden wir genauso finanziert wie die Flamen, dann wäre unsere finanzielle Situation sogar besser, als sie heute ist."
Haushaltssimulator
Damit verbunden ist dann vielleicht noch eine dritte, eher technische Frage, die man sich auf den ersten Blick stellen könnte. Die da lautet: Wie kommen die Forscher eigentlich zu dem Schluss? Eine erste, etwas flapsige Antwort lautet: Durch viel, viel Arbeit. Vier Jahre haben die ULB-Forscher gebraucht, um ihren Haushaltssimulator wirklich mit allen nötigen Daten zu füttern.
Die Schwierigkeit war vor allem, den reellen Bedarf zu ermitteln. Das geht nur, wenn man weiß, wie viel die Wallonische Region auf dem Gebiet der DG investiert. "Was haben wir also gemacht? Wir haben das wallonische Budget genommen und die Haushaltsposten nacheinander abgeklappert, immer mit der Frage: Wie hoch kann der Anteil sein, den die Region in Ostbelgien investiert?", erklärt ULB-Forscher Maxime Fontaine.
Klar sind das letztlich manchmal Hochrechnungen, Schätzungen, Extrapolationen. Aber man kann wohl doch behaupten, dass es noch nie Zahlen gab, die so nah an der Wirklichkeit liegen. Und wenn man mit all diesen Zahlen eben den Haushaltssimulator füttert, dann steht da am Ende eben eine grüne Zahl, also ein positiver Saldo.
Roger Pint
Hoffentlich "subventioniert" Flandern weiterhin die Wallonie mit zich Milliarden pro Jahr.
Herr Piersoul, Sie sind ein Paradebeispiel für Personen, die auf platte Propaganda von N-VA und Co hereinfällt und dann einfach mal was raushauen.... Wenn Sie mal nachschauen unter Budget von Flandern 2023 kommen Sie auf insgesamt 62 Mia , wovon Erziehung und Gesundheit schon über die Hälfte ausmachen und einen Posten "Unterstützung der Wallonie" gibt es nicht. Es geht vielmehr um die Diskussion, die es in allen dezentralen Ländern gibt (Deutschland, Spanien, Italien) wo jeweils die reichen Provinzen etwas mehr leisten müssen, als die ärmeren. Warum ist Flandern reich? Eigene Industrie gibt es nicht. Es wurden und werden mit erheblichen Subventionen aus dem BELGISCHEN Budget ausländische Firmen ins Land geholt. Wo werden die sich wohl ansiedeln? In den Ardennen mitten in Waldgebieten oder in der Nähe von (Flug)Hafen, und wo liegen die? Zufällig in Flandern. Das ist keine eigene Leistung. Also lieber erst nachdenken ...