Nach Spuren der Hochwasserkatastrophe muss man in Verviers nicht lange suchen. So manchen Häusern sieht man an, dass sie keine Zukunft haben. Ursprünglich hatte die Stadt Verviers 31 Objekte im Visier, die abzureißen sind. Aber die letzte Version der Studie "Quartier Durable" der Wallonischen Region nennt insgesamt 94 Objekte, darunter Garagen, Lagerhäuser, aber vor allem Wohngebäude.
Um all diese Immobilien abzureißen, müssen sie erst von der Stadt erworben werden, so der diensttuende Bürgermeister von Verviers, Alexandre Loffet. Nach dem Abriss will die Stadt dort Grünflächen mit Bäumen anlegen, die wasserdurchlässig sind, damit der Fluss mehr Platz erhält, ohne Schaden anrichten zu können.
Raum schaffen: Für die Stadt Verviers heißt das, einen langen Verhandlungsprozess mit allen betroffenen Eigentümern zu führen. Da ist es nicht einfach, die richtigen Worte zu finden. Ziel ist bislang, sich ohne Enteignungsprozedur zu einigen, sagt Loffet. Die Stadt habe bislang 15 Verträge abgeschlossen, 31 Eigentümer kontaktiert. 63 müssen noch folgen.
Der Verkaufspreis kann nicht verhandelt werden, sondern wird durch die Schätzung eines Notars bestimmt. Trotzdem erhalten die Betroffenen von der Stadt einen Zuschuss von 5.000 Euro, der die Umzugskosten abmildern soll.
Dabei hat Verviers in dieser Angelegenheit eigene Geldsorgen. 3,1 Millionen Euro hat die Stadt von der Wallonischen Region für das Projekt "Quartier Durable" erhalten. Sie brauche aber deutlich mehr, erklärt Loffet. "Man gibt uns nicht die Summe, die nötig ist, um allen Betroffenen zu garantieren, dass wir ihr Eigentum kaufen können."
"Die 3,1 Millionen Euro sind so gut wie aufgebraucht. Minister Borsus kündigt zwar eine weitere Finanzspritze an. Wir müssen damit aber nicht nur kaufen. Wir müssen auch abreißen und herrichten. Nur abzureißen, würde keinen Sinn machen. Wir brauchen mindestens 16 Millionen Euro. Das wäre auch keine unmögliche Summe für die Wallonische Region."
Dabei ist noch kein Ende in Sicht. Denn zurzeit läuft eine weitere Flusslauf-Studie. Die Ergebnisse werden erst Ende des Jahres erwartet. Danach sollen weitere strategische Entscheidungen getroffen werden. Konkret heißt das: Weitere schmerzhafte Stadtentwicklungsmaßnahmen werden erforderlich sein. Nämlich dann, wenn auch perfekt bewohnbare Häuser zugunsten des Wasserlaufs abgerissen werden, um neue Dramen zu verhindern.
Das sorgt für Unsicherheit sagt Christophe Niezette, der im stark getroffenen Pré-Javais-Viertel lebt. Alles ist unsicher, sagt er. Welcher Eigentümer ist denn bereit, sein Haus zu renovieren, wenn es anschließend abgerissen werden soll? Für ihn kommen die Abrissankündigungen viel zu spät. Von der Politik ist er enttäuscht. Er habe nach der Hochwasserkatastrophe sogar den König getroffen und mit ihm essen können. Aber seitdem habe er nichts mehr gehört.
"Wozu das Ganze? Ich weiß es nicht", so Niezette. Er hat sich jedenfalls bei der Stadt beschwert. Sein Vermieter habe seine Mietwohnung nach dem Hochwasser nicht wieder in Ordnung gebracht. Das Ergebnis: Ihm wurde der Mietvertrag gekündigt. "Ab dem 14. März bin ich obdachlos. So einfach ist das. Ich werde weiter kämpfen. Es gibt aber Menschen, die diese Kraft nicht haben. Auch für mich ist es anstrengend. Man sieht es uns an, wir sind alle gezeichnet in unserem Viertel."
Das Hochwasser mag verschwunden sein. Doch wie man hört, gehen die persönlichen Dramen für so manch einen weiter. Ohne zu wissen, was wirklich noch kommen könnte.
Manuel Zimmermann