Vitus Sproten, wie kam es, dass Sie sich wissenschaftlich mit den freien Radios befasst haben?
Die freien Radios sind so ein Phänomen, das, ich sage mal, so zehn bis 15 Jahre existiert hat in einem gewissen Umfang. Sie kommen Mitte der 70er Jahre auf und verschwinden dann nach und nach in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre - ein ganz spannendes Phänomen.
Was Sie als Historiker interessiert hat, ist aber eben nicht nur diese Geschichte der einzelnen Radiosender, sondern sie haben festgestellt: Das lässt sich ganz gut an der gesellschaftlichen Entwicklung in diesem Zeitraum festmachen.
Richtig. Hinter jedem dieser Sender verbirgt sich eine sehr spannende Geschichte. Ich habe versucht, aus diesen vielen spannenden Geschichten einen Bezug zur Gesellschaft, zur Wirtschaft, zur Kultur der 1970 und 1980er Jahre herzustellen. Und was sehen wir da? Wir können feststellen, dass diese freien Radiosender und ihr Aufkommen sehr viel mit den Krisenjahren der 70er und 80er Jahre zu tun haben.
Waren es denn auch soziale Bewegungen, die dahinter steckten? Oder gab es doch häufiger den persönlichen Anreiz?
Teilweise kann man einen direkten Bezug zur Krise sehen. Viele freie Radiosender beschäftigen sich mit der Wirtschaft dieser Jahre. Viele freie Radiosender werden auch von Gewerkschaften initiiert. Teilweise kann man den Bezug aber auch nur indirekt herstellen. Wenn es zum Beispiel darum geht, dass es Pop-Radiosender gegeben hat, dann stellen wir fest, dass sehr viele Jugendliche diese Pop-Radiosender gemacht haben. Und was waren in den 1970er und 1980er Jahren Jugendliche: Sie waren sehr häufig von Jugendarbeitslosigkeit betroffen. Deswegen können wir da häufig einen indirekten Bezug zwischen der Geschichte der freien Radiosender einerseits und der Krisenjahre der 70er und 80er Jahre andererseits herstellen.
Eine Motivation, die sie in Ihrer Arbeit nachweisen, ist, sich im wahrsten Sinne des Wortes Gehör zu verschaffen.
Richtig, indirekt oder direkt, wenn man die Krise als solche thematisiert.
Nun haben Sie sich auf Spurensuche begeben und das hat Sie manchmal auch in den Keller oder auf den Speicher geführt?
Ja, leider beschäftigen sich klassische Archive nicht allzu häufig mit Tonquellen oder mit Quellen von Phänomenen, die nur kurzweilig bestanden haben. Und das ist gerade bei diesen freien Radiosendern der Fall. Und diese Spurensuche hat mich doch tatsächlich auf den einen oder anderen Speicher und in den einen oder anderen Keller geführt. Und da bin ich auch den Menschen, die mir ihre Quellen zur Verfügung gestellt haben, sehr dankbar.
Viele von diesen seinerzeit Aktiven kann man ja heute noch dazu befragen. Das sind ja letzten Endes diejenigen, die dieses Phänomen ausgemacht haben ...
Richtig, das war ein Phänomen, das von den Menschen gelebt hat, die hinter diesen Radiosendern standen. Und ohne diese Menschen, die teilweise heute noch leben, wäre diese Arbeit niemals zustande gekommen.
Einen Einblick gibt es am 24. Oktober bei einem Vortragsabend im Kolpinghaus in Eupen. Neben Ihnen wird da ein Radiomacher aus jener Zeit sprechen und seine Erfahrungen präsentieren.
Ja, genau. Bei der Veranstaltung wird Peter Schlembach dabei sein. Er war Mitinitiator von dem Eupener Radio Distel. Auch in Ostbelgien hat es ganz viele freie Radiosender damals gegeben und er wird dann so ein bisschen erklären, welcher Grundgedanke hinter Radio Distel gestanden hat.
Erwarten Sie, dass durch solche Vortragsabende noch Informationen oder mögliche Quellen erschlossen werden können, die bisher irgendwo schlummern?
Das wäre sehr schön. Wir würden uns sehr freuen, wenn während des Abends eine lebhafte Debatte entstehen und es tatsächlich zu einem Austausch und zu vielen Fragen kommen würde. Einerseits. Aber ich würde mich natürlich auch freuen, wenn sich dann noch der eine oder andere Schatz heben ließe und ich dann an die eine oder andere Quelle noch kommen würde. Weil wie gesagt, momentan verschwinden die Quellen und jetzt wäre der Moment, noch das eine oder andere Dokument zu sichern.
Der Vortragsabend zur Geschichte der Freien Radios in der Euregio beginnt am Montagabend (24. Oktober) um 19 Uhr im Eupener Kolpinghaus. Organisiert wird er vom Zentrum für Ostbelgische Geschichte, vom Staatsarchiv und vom Eupener Stadtmuseum.
Stephan Pesch