Es mag nicht der alleinige Maßstab sein. Aber wenn von der Beerdigung eines Verstorbenen schon Tonbandaufzeichnungen gemacht werden, lässt das doch auf dessen Bedeutung oder Wertschätzung schließen. Ludwig Drees, später selbst angesehener Professor für Rheinische Landesgeschichte, verbeugte sich im Oktober 1972 mit diesen Worten vor dem Grab seines Lehrers: "Professor Willems hat uns am Königlichen Athenäum von Malmedy nicht nur unterrichtet, sondern nachhaltig geprägt. Durch die Kraft seiner eigenwilligen Persönlichkeit, durch die Originalität seines Unterrichtes, der sich in keine methodische Schablone einordnen ließ, durch seine warmherzige Zuneigung zu seinen Zöglingen."
Bernhard Willems war am 18. Dezember 1880 in Elsenborn zur Welt gekommen. Wie es in seinem Nachruf der spätere BRF-Direktor Peter Moutschen formulierte, "lag ihm schon das Festhalten an der Heimatscholle im Blut. Dies und seine früh einsetzende Neigung zur Erforschung der Heimatgeschichte sollten das ganze Wirken des künftigen Gelehrten bestimmen."
Erst besuchte Bernhard Willems aber die Volksschule in Elsenborn, wo Lehrer und Geistliche ihn auf die Aufnahmeprüfung zum Gymnasium vorbereiteten. Von Neuss ging es nach Düsseldorf und zum Studium der Sprachwissenschaft nach Münster und Berlin und schließlich nach Königsberg, wo er 1908 seinen Doktor in Philosophie machte.
Nach Lehraufträgen in Köln, Sigmaringen, Mönchengladbach, Linz am Rhein, Emmerich und Brühl wurde Dr. Bernhard Willems 1911 als königlicher Oberlehrer in Trier fest angestellt. Dort erlebte er den Ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution, die zum Sturz der Monarchie im Deutschen Reich führte.
Durch den Versailler Vertrag wurde Eupen-Malmedy an Belgien abgetreten und Bernhard Willems kehrte als Lehrer in seine Heimat zurück. Noch einmal. "Er war schon 40 Jahre alt, als er von Trier kommend 1920 seine Tätigkeit in Malmedy aufnahm. Damit begann auch seine eigentliche Zuwendung zur Heimatgeschichte, die er für immer durch sein Werk bereichert hat", erklärte sein Schüler Ludwig Drees.
Zeitschrift "Folklore"
Willems unterrichtete am Athenäum in Malmedy die Fächer Deutsch und Latein und kümmerte sich auch darum, geeignete Lehrbücher zu beschaffen. Nebenher übernahm er die deutsche Redaktion der in Malmedy herausgegebenen Zeitschrift "Folklore", wie er 1962 dem jungen BRF-Reporter Hubert Jenniges erzählte: "Als das Athenée in Malmedy entstand, da kamen mehrere interessante Leute gewissermaßen zusammen. Da war Abbé Bastin aus Faymonville, da war Charles Dubois aus der Gegend von Martelingen. Da war auch ich und ich habe manche Anregung von diesen Herren bekommen. Ich kam vor allem auch in die belgische Literatur. Und habe mich dann sehr viel auch mit dem Hohen Venn beschäftigt. Aber man muss auch etwas Liebe haben (zum Stoff)."
"Es gab zwei Sekretäre, einen für das französische Gebiet, das war Charles Dubois und dann einen für das deutsche. Dazu wurde ich bestimmt", sagte Bernard Willems im Interview. "Solange die genannten Herren da die Sache leiteten, war es eine sehr angesehene Zeitschrift, die in Brüssel, Bonn und überall anerkannt wurde. Ja, selbst der große Bonner Professor Wilhelm Levison erwähnte unsere Arbeiten."
Dr. Willems veröffentlichte in "Folklore" unter anderem Arbeiten über die Grenzen der Abtei Stavelot-Malmedy und über die Geschichte der Herren von Limburg. Aber auch volkskundliche Abhandlungen über Gespenstergeschichten in und um Bütgenbach interessierten den Heimatforscher.
Zentrale Rolle von St. Vith
1948 begann Bernhard Willems dann die mehrbändige "Ostbelgische Chronik". Eine ganz zentrale Rolle nahm in seiner Arbeit die Geschichte seiner späteren Wahlheimat St. Vith ein, die, wie er im Interview bei Hubert Jenniges einräumt, aber bedeutend jünger sei als andere Siedlungen in der Umgebung: "Um das Jahr 1130 ist nun St. Vith auf einmal ganz da und erscheint in derselben Größe und Bedeutung, wie es bis in die Neuzeit bestanden hat. Wir hören damals fast gleichzeitig von der St.-Vitus-Kirche, von einer Zollstätte in St. Vith und von einem Markte daselbst. Dazu ist die Siedlung auch schon um die Zeit ihrer ersten Nennung ein wirtschaftliches Zentrum. Die St. Vither Getreidemaße wie der Scheffel und andere waren schon damals allgemein bekannt und üblich und der Ort hatte auch schon ein Proviantdepot. Indessen hatte St. Vith damals noch eines nicht."
Und es waren nicht immer nur die großen geschichtlichen Themen, die Bernhard Willems umtrieben, wie Hubert Jenniges ebenfalls 1962 von ihm erfuhr. Hubert Jenniges fragte ihn: "Sie sind die große Kraft auf heimatkundlichem Gebiet, Herr Professor, meinen Sie, dass es heute auch noch Leute gibt, die sich dafür interessieren?" Darauf Bernhard Willems: "Oh ja, im Allgemeinen hat die Liebe für diese Forschung ja nachgelassen. Aber gerade in unserer Gegend stelle ich fest, dass man noch daran festhält. Als ich vor einigen Jahren etwas schrieb über den Frösche-Jahn von Schönberg, da habe ich viel Zustimmung gefunden."
Mitgründer des Geschichtsvereins ZVS
So war es denn auch kein Zufall, dass Bernhard Willems diese regionale Geschichtsarbeit nach Kräften unterstützte, wie der frühere ZVS-Präsident Kurt Fagnoul am Grab des Mitgründers herausstrich: "Als sich im Jahre 1965 der Geschichtsverein Zwischen Venn und Schneifel konstituierte, stand er uns mit Rat und Tat zur Seite. Er war es, der unserem Geschichtsverein den Namen gab, der heute zu einem fest eingebürgerten Begriff geworden ist."
Hubert Jenniges, der die Initiative dazu ergriffen hatte, Interessierte zwecks heimatgeschichtlicher Veröffentlichungen zusammenzuführen, erinnerte sich später daran, dass sich Dr. Willems "anfangs recht zurückhaltend" gezeigt habe. Zumal er, schon in hohem Alter, nach eigenen Worten "nicht mehr viel und dazu sehr langsam" arbeite. Laut Jenniges wurde Willems aber "recht bald der wohl eifrigste Mitarbeiter der künftigen heimatkundlichen Zeitungsbeilage und später des Geschichtsvereins."
"In unseren Monatsblättern hat sich der greise Wissenschaftler ein Denkmal gesetzt", so Kurt Fagnoul. "Hier möchte ich ganz besonders die Geschichte des St. Vither Landes erwähnen. Noch im vergangenen Jahr konnten wir die Geschichte des Lagers Elsenborn aus seiner Feder veröffentlichen. Doch nicht nur aus der engsten Heimat berichtete der große Geschichtsschreiber. Für die kommenden Generationen hielt er in seinen Werken die Schlacht bei Amel fest, schilderte uns die Flucht der Mönche Stavelots vor den Normannen, beschrieb die Vollstreckung des letzten Todesurteils des Malmedyer Hochgerichts und vieles mehr, dessen Aufzählung hier zu weit führen würde."
Walter Reuter hat damals auch teilgenommen an der Gründungsversammlung des Geschichtsvereins. Nach wie vor ist er dessen Schriftführer und ihm fällt auf, dass er heute so alt ist wie seinerzeit der anerkannte "Nestor" der ostbelgischen Geschichtsschreibung: "Professor Willems war damals schon 85 Jahre alt, als er Ehrenpräsident des Geschichtsvereins wurde. Das wurde er bei der Gründungsversammlung. Ehe ich ihn physisch kennengelernt habe, kannte ich ihn schon durch seine Schriften, seine 'Ostbelgische Chronik', die ich als Student an der Uni durchgeschaut hatte."
Alltagssituationen
Walter Reuter erfuhr Bernhard Willems bei allem Respekt als sehr bodenständigen Menschen: "Ich fragte ihn, ob er noch ein Exemplar der 'Ostbelgischen Chronik' habe. Er sagte: 'Ja, wieviele Kühe haben Sie?' Ich antwortete mit einer geringen Zahl, ich glaube, wir hatten gar keine mehr. 'Dann können Sie es gratis mitnehmen!' sagte er."
Auch in anderen Alltagssituationen habe der Herr Professor Humor bewiesen: "Er hatte ja immer so einen Dreiviertel-Mantel an, den Hut auf dem Kopf und sehr oft einen Regenschirm dabei. In St. Vith erzählte man sich die Geschichte, dass er eines Tages bei trübem Wetter spazieren gehen wollte und seiner zweiten Ehefrau sagte: 'Maria, gib mir einen Schirm! Über Wallerode hängt ein Wölkchen' So ging er nach unten vor die Tür, schaute Richtung Crombach und kehrte um: 'Maria, gib mir noch einen Schirm. Über Crombach hängt auch ein Wölkchen.'"
Seine Heimat war ihm ans Herz gewachsen. Das kann auch Albert Gehlen bezeugen, der wie Bernhard Willems aus Elsenborn stammt und - über Umwege - wie dieser nach St. Vith zog: "Ich weiß nicht mehr, ob er wusste, dass ich nebenan wohnte oder ich erfahren hatte, dass er nebenan wohnte. Auf jeden Fall haben wir uns 1964 kennengelernt, und zwar hat er mir eine Festschrift geschenkt, die ich von A bis Z gelesen habe, denn es ging um unsere Heimat, um Elsenborn. Gewidmet war sie dem 25-jährigen Bestehen des Eifelvereins Elsenborn 1930."
Daneben gab Bernhard Willems dem jungen Lizenziaten in Deutsch, Englisch und Niederländisch etwas mit auf den Weg, was er bis heute nicht vergessen hat: "Lesen Sie die Märchen der Gebrüder Grimm. Da finden Sie in Stil und Sprache, was wir ein bisschen verlernt haben. Denn Fremdwörter sind bei uns gang und gäbe, lange Sätze. Er war immer ein Künstler der feinen, klaren Sprache", so Albert Gehlen.
Zu Lebzeiten ein Straßenname
Noch zu Lebzeiten ehrte die Stadt St. Vith seine Verdienste, indem sie eine Straße nach ihm benannte. Sie wurde 1969 eingeweiht. Von der Feier berichtete im BRF ein junger Reporter namens Heinz Warny: "Obschon er in Elsenborn aufgewachsen ist, in Malmedy unterrichtete und erst seit mehr als einem Jahrzehnt in St. Vith lebt, haben die St. Vither doch ihren Dr. Bernhard Willems ins Herz geschlossen. Professor Willems ist seit Jahren schon Ehrenbürger der Stadt St. Vith. Wegen seiner besonderen Verdienste fasste der Stadtrat den Beschluss, eine Straße der Stadt nach seinem Namen zu benennen. Es ist schon recht selten, dass jemandem Zeit seines Lebens noch diese bedeutende Ehre widerfährt."
Und St. Viths damaliger Bürgermeister Wilhelm Pip sagte zu der Ehrung: "Der Rat unserer Stadt wollte dadurch, dass er dieser Straße einen Namen gab, einen Mann ehren, der es durch jahrzehntelange, aufopfernde und zähe Arbeit verdient hat, den Dank der Bevölkerung des Raumes zwischen Venn und Schneifel entgegenzunehmen. Während seines ganzen langen Lebens ist er immer mit seiner Heimat, mit deren Bevölkerung aufs engste verbunden geblieben. Und er hat in hervorragender Weise dazu beigetragen, diese Heimat und besonders ihre Geschichte den Bewohnern näher zu bringen. Und die Geschichte dieser Heimat den kommenden Generationen zu erhalten."
Auch Albert Gehlen, der damals noch nicht kommunalpolitisch aktiv war, erinnert sich an die Straßenumbenennung: "Ich war persönlich etwas befremdet darüber. Dass dadurch gerade der Name der Judengasse verloren gegangen ist. Es gab ja so viele neue Straßen in St. Vith und man hätte eine andere nehmen können, um sie Bernhard-Willems-Straße zu nennen. Dass es noch zu seinen Lebzeiten geschah ist sowieso nicht gerade üblich."
An der Wiege des BRF
Nicht zu unterschätzen ist der Beitrag von Dr. Bernhard Willems bei der Entstehung des Belgischen Rundfunks: Er war der Stiefvater der BRF-Pionierin Irene Janetzky. Deren Vater war nur wenige Monate nach ihrer Geburt und kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges an der Westfront gestorben. Ihre Mutter lernte später Bernhard Willems kennen, der als Lehrer in Malmedy arbeitete. Auch Irene Janetzky besuchte das Athenäum. In dem Buch "Ostbelgien hört Ostbelgien" belegt Vitus Sproten, wie es im Herbst 1945 zu ihrer Anstellung beim Institut National de Radiodiffusion kam.
Ihr erster festangestellter Mitarbeiter, der spätere BRF-Direktor Peter Moutschen, würdigte in seinem Nachruf auf Bernhard Willems natürlich besonders auch diesen Aspekt: "In den schwierigen Gründungsjahren unserer Sendungen in deutscher Sprache ab 1945 war Professor Dr. Willems ein Stützpfeiler dieser Sendungen, die ihm ganz besonders am Herzen lagen. Er selbst verfasste zahlreiche geschichtliche und volkskundliche Rundfunkbeiträge, die den Inhalt unserer Programme maßgeblich bereicherten."
Auf dem Friedhof von St. Vith teilt sich Bernhard Willems, der am 21. Oktober 1972 starb, gleich rechts neben dem Eingang eine Grabstätte mit seinen beiden Ehefrauen und seiner Ziehtochter Irene. Er ist selbstverständlich auch auf der Tafel genannt, die berühmten Persönlichkeiten gewidmet ist, die hier ruhen - und im Alltag leicht in Vergessenheit geraten.
Stephan Pesch