Niemand im PDG zweifelt daran, dass es von Vorteil ist, andere Sprachen zu beherrschen. Nur: wie und in welchem Maße sie im Unterricht vermittelt werden können, war schon zu RdK-Zeiten ein Thema. Das durfte nun auch Bildungsministerin Lydia Klinkenberg erfahren. "Wir haben es gerade miterlebt: Die Debatte rund um die Mehrsprachigkeit in Ostbelgien ist wohl eine der politischsten Debatten überhaupt", so Klinkenberg.
Das ist wohl so, weil es um nichts weniger als um die Zukunft der jungen Ostbelgier geht. Die Ministerin sprach darum von der Mehrsprachigkeit als einer Trumpfkarte, als Standortvorteil, "den wir nicht hoch genug einschätzen können und ein Grund dafür, weshalb unsere Fachkräfte sowohl im In- als auch im angrenzenden Ausland so beliebt sind" - nicht nur mit Französisch, sondern auch mit Englisch und mit Niederländisch.
"Teilweise ist dies auch heute noch so," sagte Colin Kraft (CSP), "allerdings kann in den letzten Jahrzehnten ein deutlicher Rückgang der Französischkenntnisse unserer Schülerinnen und Schüler und Absolventen beobachtet werden. Arbeitgeber und Ausbildungsbetriebe in Ostbelgien singen dieses Lied mittlerweile besser als die besten Opernsänger dieser Welt."
Und Alain Mertes, der die neuen Maßnahmen seitens Vivant als "richtige Schritte in die richtige Richtung" bewertete, merkte per Video zugeschaltet an: "Das alleine wird nicht reichen. Sprache erlernt man vor allem durch das Reden dieser Sprache und dabei ist der Kontakt zur französischsprachigen Wallonie sehr bedeutend und sollte in meinen Augen auch gepflegt werden. Doch ich habe den Eindruck, dass dies nicht mehr so geschieht wie noch vor einigen Jahren."
Was tun? Lisa Göbbels (ProDG) umschrieb es so: "So wie es in Deutschland bei internationalen Fußballturnieren häufig 83 Millionen Nationaltrainer zu geben scheint, gibt es auch für das Erlernen einer Fremdsprache viele verschiedene Meinungen, die teilweise vom persönlichen Empfinden oder vom persönlichen Werdegang geprägt sind."
Nun lässt sich davon nicht so leicht abstrahieren, wie das Beispiel von PFF-Sprecherin Evelyn Jadin zeigt: "Man kann nicht früh genug mit der Sprachförderung beginnen. Die optimale Phase, in der ein Kind die Grammatik und die Phonologie einer Sprache am besten und am leichtesten aufnehmen kann, liegen zwischen dem dritten und dem fünften Lebensjahr. Kinder nähern sich der neuen Sprache in dieser Phase unbefangen und setzen sich unbeschwert mit ihr auseinander. Ich spreche da aus Erfahrung."
Ihr Fraktionskollege Gregor Freches bedauerte, auch mit der zweiten Kappe als Kommunalpolitiker, dass es bilinguale Konzepte bisher nur im Norden der DG gebe: "Diesen wichtigen Schritt, den möchte ich auch von den Verantwortlichen vor allen Dingen auch im Süden sehen. Dass wir uns darüber unterhalten, einen bilingualen Kindergarten pro Gemeinde aufzubauen, gefolgt von einer bilingualen Primarschule. Das würde nämlich auch den Eltern die Möglichkeit geben, ihre Kinder innerhalb der Gemeinde in solch eine Schulform zu bringen."
Das neue Dekret gewährt unter anderem weiteres Stundenkapital, damit in den Kindergärten sogenannte "Native speaker" oder "Muttersprachler" vorbeischauen. Dafür sind zweimal pro Woche je 25 Minuten vorgesehen - im "Teamteaching", so dass neben den Kindern auch die Kindergärtnerinnen davon profitieren sollen.
In der Primarschule sollen bilinguale Erfahrungen aus dem Kindergarten fortgesetzt werden können und soll es mehr Fremdsprachenunterricht geben. In der Sekundarschule ist der Einsatz von zusätzlichen bilingualen Lehrern für den Sachfachunterricht angedacht. Um überhaupt welche zu finden, werden die Ansprüche zurückgeschraubt: Es soll künftig ausreichen, wenn sie die Unterrichtssprache - also das Deutsche - ausreichend beherrschen.
In der Zielsetzung verstehen sich alle PDG-Abgeordneten. Sie stimmten geschlossen für die neuen Maßnahmen. Dazu gehört auch Andreas Jerusalem (Ecolo), selbst wenn er "nicht absolut Feuer und Flamme" sei - wobei es ihm auch generell um die Größe von Klassen und die Anforderung an die Lehrerkollegen geht: "Hier wird derart viel beantragt und angenommen und abgelehnt und jongliert. Dabei wissen in der Regel die Schulen selbst am besten, in welchem Bereich sie gerade massiv unterstützen müssen."
Auch Kirsten Neycken-Bartholemy kennt sich aus im Unterrichtswesen: "Uns als SP-Fraktion ist wichtig, dass die Einwohner der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Zukunft als Musterschüler gelten, wenn es um ihre Fremdsprachenkompetenzen geht. Mit dem uns vorliegenden Text verbessern wir dafür die Grundlage."
"Selbstverständlich haben wir aber noch Luft nach oben", räumte Ministerin Lydia Klinkenberg ein, "unter anderem in den beruflich-technischen Abteilungen. Auch wenn sich diese Kenntnisse, wie man den DELF-Testungen entnehmen kann, verbessern. Oder bei der Förderung der kommunikativen Fähigkeiten durch den Abbau der Angst vor der Sprache."
Colin Kraft hatte darum noch einen grundsätzlichen Tipp zur Hand: "Die französische Sprache darf nicht nur ein Unterrichtsfach sein, es muss gelebt werden."
Stephan Pesch