Moritz Hoffmann, wie ist die Lage jetzt am Donnerstagmittag?
Heute Morgen hat sich die Situation insoweit verändert, als dass neue Fronten im Nordosten von Kiew entstanden sind. Wir wohnen 25 Kilometer westlich von Kiew. Auf der Karte gesehen wird also sozusagen fast direkt über uns gerade gekämpft. Zwischen uns und Kiew ist ein strategischer Flughafen, ein Militärflughafen, an dem ein Riesentransportflugzeug von der Ukraine steht.
Da sind heute drei russische Hubschrauber aufgetaucht. Die wurden abgeschossen, zwei davon sind explodiert und aus einem sind die Insassen irgendwo hin verschwunden. Die werden gerade gesucht.
Läuft bei euch derzeit auch das Radio, der Fernseher? Schaut ihr Nachrichten im Moment?
Nein, wir schauen keine Nachrichten. Wir gucken im Internet Nachrichten und verschiedene ernstzunehmende Quellen: offizielle und auch inoffizielle. Zum Beispiel Freunde vom Bruder meiner Frau. Er meldet sich gerade wieder bei der Armee. Er war auch 2014 dabei. Wir müssen halt wissen, was abgeht.
Und im Moment sieht es so aus, dass wir wahrscheinlich doch wegfahren werden, weil wir sozusagen mittendrin sitzen. Und auch wenn wir hier in einem Dorf sind, wo nichts zu holen ist, dann hat man trotzdem keinen Bock, wenn ein Haufen Irrer hier mit Waffen durchs Dorf spazieren kommt.
Zumal gerade eben zwei Düsenjäger tief über das Dorf geflogen sind. Meine Tochter hat nur geheult. Heute Morgen dachte man noch, die greifen die strategischen Orte an und dann schaut man mal, wie es weitergeht. Aber jetzt wird es doch irgendwie ungemütlich.
Du sprichst gerade deine Tochter an. Wie erklärt ihr euren Kindern die aktuelle Situation?
Wir sagen unseren Kindern, dass wir alle schön zusammenhalten, die Ruhe bewahren. Und wenn wir sehen, dass es wirklich ungemütlich wird, dann fahren wir einfach die Omi mal wieder besuchen.
Vielleicht zeigt ihr das vor den Kindern nicht, aber ihr habt wahrscheinlich auch Angst, oder?
Ja, also jetzt wird es langsam schon ein bisschen so, dass man nicht weiß, was man jetzt machen soll. Wenn man jetzt zur Grenze fährt und dann da 24 Stunden den Motor laufen lassen muss, dann geht einem das Benzin bzw. Gas zu Ende. Und wir wollen auch nicht mit drei Kindern unbedingt in einem Kleinwagen einfach so irgendwo auf dem Feld stehen.
Wann könnte es denn für euch losgehen? Habt ihr euch selber eine Deadline gesetzt, wo ihr sagt: Ab dann wollen wir hier raus sein?
Die Deadline wäre, wenn jetzt wirklich konkret die russischen Soldaten die ukrainischen überwinden würden und sich in unsere Richtung hier bewegen würden, wenn sie dann bei uns auch vorbeikommen würden. Also das wäre auf jeden Fall eine Deadline. Dann wäre es mir auch egal, ob ich jetzt im Stau stehen muss an der Grenze.
Habt ihr euch auch mit den Nachbarn ausgetauscht und überlegt, was ihr euch gegenseitig helfen könnt in der aktuellen Situation?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe mich auch vergewissert, ob sie eine Möglichkeit haben, weg zu kommen. Die haben sie. Ansonsten wären jetzt die Verkehrsregeln nicht mehr so wichtig. Dann wären wir halt zu sieben im Auto gefahren oder sogar zu acht. Das geht ja alles, wenn man will.
Dann hoffen wir auf jeden Fall, dass ihr da sicher raus kommt und dass ihr die Zeit gut übersteht. Und wir wünschen euch von hier auf jeden Fall alles Gute.
Ja, vielen Dank. Alles wird irgendwann mal ein Ende haben.
lo/est