Ich weiß nicht, wie alt er ist oder wie der junge Eritreer heißt. Eingewickelt in einen Schlafsack liegt er auf einer schäbigen Matratze, auf der wohl schon Dutzende andere Flüchtlinge vor ihm geschlafen haben. Um die 20 Jahre alt muss er sein. Die Transitmigranten geben kaum persönliche Details preis. Weil sie Angst haben, später wiedererkannt zu werden. Vielleicht auch weil sie ganz einfach nicht erzählen wollen.
Was er erzählt, ist schnell zusammengefasst: Seine Flucht ist alternativlos. "Das ist schwer zu erklären, denn wir haben Probleme in Eritrea." Probleme: das bedeutet vieles. Faktisch ist Eritrea eine Diktatur, wird als 'Nordkorea Afrikas' bezeichnet. Es gibt einen Militärdienst, der dauert oft mehrere Jahrzehnte - das versperrt vielen den Weg hin zu Bildung und Ausbildung. Nur zwei der Gründe, warum die Menschen fliehen.
"Erstmal sind wir von Eritrea nach Sudan geflohen. Mit dem Auto. Manche gehen da zu Fuß. Dann sind wir von Sudan nach Libyen, mit dem LKW. Dann sind wir mit einem Auto weitergefahren. Und dann sind wir mit dem Schiff nach Italien." Inzwischen führt ihn seine Route durch Ostbelgien.
Seit etwa einem Jahr ist die Autobahnbrücke zwischen Thimister und Welkenraedt zu einem Treffpunkt für Transitmigranten geworden. Nicht nur in Malta, in Italien oder in Griechenland entscheiden sich Schicksale von Flüchtlingen. Sondern auch bei uns.
Dass Menschen wie er fliehen, daran kann der Einzelne hier vor Ort wenig ändern. Anders, wenn es darum geht, unter welchen Umständen diese Menschen fliehen. Herbert Meyer ist Mitglied der Gruppe 'solidaires amigrants'. Ihr Ziel: die Fluchtbedingungen etwas erträglicher machen. Sie versorgen die Flüchtlinge mit Nahrung, Decken, Ladegeräten. "Solidarität ist das. Man kann die Leute nicht hier sitzen lassen. Ab und zu muss man sich schon fragen, was man machen kann und man soll es auch tun", erklärt Herbert Meyer sein Engagement.
Und diese Frage stellt er auch den betroffenen Gemeinden. Konkret denkt er an ein Pfarrhaus in Elsaute. Das könnte seiner Meinung nach genutzt werden. Zum Duschen, Ausruhen, Schlafen. Es brauche nur etwas politischen Willen. Lambert Demonceau ist Bürgermeister von Thimister. Der politische Wille sei da. Das Pfarrhaus sei aber unbewohnbar - es gibt kein warmes Wasser, keine entsprechende Stromversorgung. Unter den Umständen könne er nicht akzeptieren, dass das Haus genutzt werde.
Unter einer Autobahnbrücke zu schlafen ist menschenunwürdig, findet auch Lambert Demonceau. Es brauche eine Lösung zwischen den Gemeinden Welkenraedt und Thimister, auch das Rote Kreuz könne eine Rolle spielen. Gleichzeitig weiß er, dass die Suche nach politischen Lösungen langwierig sein kann. Sodass die Hilfe der Freiwilligen weiterhin nötig sein wird. "Ein Gruppe hilft uns, bringt uns Essen und Trinken mit", erzählt Herbert Meyer. "Manche Leute, wenn zum Beispiel Frauen dabei sind, können sie bei den Leuten duschen gehen und kommen danach zurück. Wie eine Familie."
Herbert Meyer möchte die Hintergründe der Flüchtlinge nicht kennen. Er weiß nur, wo sie herkommen. Was sie erlebt haben und welche Ziele sie haben, das sei Privatsache findet der Ehrenamtliche. Und trotzdem reicht der oft kurze Kontakt, um etwas Verbundenheit aufzubauen. "Wenn dann mal einer, oder eine - es sind fast alles nur Jungs - wenn es mal einer geschafft hat, dann kommt eine SMS mit einem Foto zurück, dass er da ist. Das ist dann Genugtuung", so Meyer. Die Genugtuung einer langfristigen Lösung für die Transitmigranten wird die Gruppe 'solidaires amigrants' in naher Zukunft wohl nicht erfahren. Sodass es bei uns offensichtlich nicht viel mehr als eine nasskalte Autobahnbrücke ist, die Transitmigranten einen Unterschlupf bietet.
Andreas Lejeune