"Wenn es nicht so ernst wäre, würde ich sagen: Aller guten Dinge sind drei", flüchtete sich PDG-Präsident Karl-Heinz Lambertz (SP) in Galgenhumor. Der Text zur Zustimmung zu einem Kooperationsabkommen, der schon am 30. September zu einer Sondersitzung und erst am Mittwoch zu einer weiteren Dringlichkeitssitzung des Parlaments geführt hatte, ist in der Zwischenzeit von föderaler Seite wegen formaler Mängel erneut abgeändert worden.
Lambertz: Schon gewöhnungsbedürftig
"Das ist schon gewöhnungsbedürftig", so Lambertz, der unterstrich: "Unser Parlament steht in Zukunft für diese Art von Arbeit nicht mehr zur Verfügung." Das solle Ministerpräsident Oliver Paasch (ProDG) der Föderalregierung mitteilen. Dieser erklärte, er habe sich schon über die Vorgehensweise beschwert.
Vivant-Sprecher Michael Balter schilderte seinen Eindruck mit "Das kann doch wohl nicht wahr sein!" Er verwies auf weitere handwerkliche und juristische Fehler in anderen Dokumenten im Zuge der Corona-Krisenbewältigung (ganz abgesehen von sprachlichen Fehlern in der deutschen Fassung). Der Stress vom Mittwoch sei also obsolet gewesen.
"In der Tat hätten wir uns den Mittwoch sparen können", pflichtete ihm Freddy Mockel (Ecolo) bei. Wegen der Tragweite werde seine Fraktion dem Dekret aber zustimmen, das eigentlich nur besser geworden sei, kommentierte er mit einem ironischen Unterton.
"Und täglich grüßt das Murmeltier"
Wenn das Dekret von der Tagesordnung genommen würde, wie Michael Balter anregte, hätte das nach den Worten von Ministerpräsident Paasch gravierende Folgen. Dann würden von Amts wegen alle CST-Regeln in Belgien entfallen, die bisher schon getroffen wurden, und es könnten wieder schärfere Einschränkungen insbesondere für den Horeca-Sektor eingeführt werden.
Gesundheitsminister Antonios Antoniadis (SP) fühlte sich bei der erneuten Vorstellung des Textes an die ständige Wiederkehr in dem Kinofilm "Und täglich grüßt das Murmeltier" erinnert.
PFF-Fraktionschef Gregor Freches unterstrich, dass es letztlich darum gehe, dass das CST im ganzen Land angewandt und der Horeca-Sektor funktionieren könne. Im Namen der Mehrheitsfraktionen sicherte er die Zustimmung zu.
ProDG: Immer noch keine Blaupause
Für Alfons Velz (ProDG) war die Rücknahme eines gerade erst beschlossenen Dokuments, "was in den letzten drei Legislaturperioden, die ich miterlebt habe, nie vorgekommen ist, in der Tat auch kein Ruhmesblatt. Dass es hier und da noch hakt, haben wir also in den letzten Tagen hautnah erlebt und das beweist, dass es belgienweit immer noch keine bequeme Blaupause zur Covid-Krisenbekämpfung gibt."
Die von Michael Balter schon am Mittwoch gezogene Schlussfolgerung, das sei für ein Parlament "unwürdig" bezeichnete Velz als "wieder einmal typisch. Diese Behauptung gehört in die Klamottenkiste billigen egoistischen Krisengewinnlertums, das ihn und seine Fraktion seit Beginn der Krise ohnehin kennzeichnet."
"Die ständigen Tabubrüche hier in diesem Hause übersteigen langsam die Grenze des Sagbaren und Zumutbaren", fuhr Velz fort und bescheinigte der Vivant-Fraktion heuchlerisches Verhalten. Das begründete er gründlich und ausführlich mit deren Versuchen, Misstrauen gegen die Regierenden zu schüren. Velz beschrieb Vivant als Pendant zu Querdenkern, Identitären und AfD: "Zu unterstellen, dass eine Regierung Spaß daran hat, den Menschen irgendetwas zu verbieten, ist eine völlig abwegige Vorstellung, die aber im deutschsprachigen Raum, also auch hier, befeuert wird und deshalb hier prozentual viel stärker vertreten ist als beispielsweise in der Wallonie."
Die CSP-Fraktion räumte die Bedeutung des Dokuments ein, enthielt sich aber, weil eine vernünftige parlamentarische Arbeit unter diesen Umständen nicht möglich sei.
Vivant stimmte mit Nein.
Antoniadis: "Träume nicht vom CST"
Verabschiedet wurde auch ein Dekretentwurf zur Abänderung des Dekretes vom 1. Juni 2004 zur Gesundheitsförderung und zur medizinischen Prävention. Damit schuf das PDG die Grundlage für eine eigene Handhabe von Corona-Schutzmaßnahmen, sprich: die sogenannte regionale Phase. Dabei hatte die föderale Kammer am Freitag das Pandemiegesetz aktiviert und damit eine erweiterte föderale Phase eingeläutet. Nach den Worten von Gesundheitsminister Antoniadis müssten die Teilstaaten aber jederzeit in der Lage sein, mehr Verantwortung zu übernehmen und auszugestalten.
Außerdem werde der Regierung die Möglichkeit erteilt, über die Maßnahmen des Föderalstaates hinaus, eigene Akzente zur Bekämpfung der Pandemie zu setzen.
Das hätte die Regierung streng genommen auch ohne das Dekret tun können, da ihr durch das letzte Programmdekret das Parlament bereits die Vollmacht erteilt hatte, im Notfall im Sinne der Prävention und Gesundheitsförderung zu handeln. Stattdessen habe sie diesen Dekretentwurf hinterlegt, so Antoniadis, "weil wir der Überzeugung sind, dass einschneidende, außergewöhnliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Pandemien einer möglichst breiten Zustimmung des Parlaments und somit der Bevölkerung bedürfen."
Über das Dekret werde nicht zuletzt der Rahmen für das Covid-Safe-Ticket geregelt. "Ich träume bestimmt nicht nachts davon, das CST anzuwenden", sagte Antoniadis. "Allerdings glaube ich, dass wir jedes Instrument nutzen sollten, das verhältnismäßig ist und uns vor einem Lockdown bewahren kann."
Das Augenmerk liege bei den Krankenhausaufnahmen und Intensivbetten. Da er keinen Zugriff auf die Zahlen der Krankenhäuser außerhalb der Deutschsprachigen Gemeinschaft habe, könne er nicht sagen, wie viele Covid-Patienten aus der DG dort hospitalisiert sind, räumte Antoniadis ein. Er gehe aber davon aus, dass es "aktuell fast genauso viele" seien wie in den Krankenhäusern der DG (am 29. Oktober waren es neun). "Das sind dann also womöglich um die 18 Personen."
CSP: "Autonomie heißt nicht Bockigkeit"
"Wir wollen, dass sich das Leben wieder normalisiert", erklärte Patricia Creutz die spätere Zustimmung der CSP, "dies allerdings im Rahmen einer gewissen Sicherheit - auch angesichts einer in Ostbelgien hinterherhinkenden Impfquote."
Creutz unterstrich zum wiederholten Male, dass es wichtig sei, sich mit den frankophonen Nachbargemeinden abzustimmen. "Autonomie ist nicht gleichbedeutend mit Bockigkeit oder Scheuklappendenken. Es geht um Menschen, die hüben und drüben wohnen, zur Schule gehen, arbeiten, ihre Freizeit gestalten... Wir müssen verantwortungsvoll entscheiden." Das bedeute auch, die Situation in den Nachbargemeinden einzubeziehen.
Die CSP-Sprecherin kritisierte im Übrigen auch bei diesem Dekretentwurf und den Abänderungsvorschlägen der Mehrheitsfraktionen eine unorthodoxe Vorgehensweise. Offensichtlich stammte auch dieser Text von der Regierung, wie Freddy Mockel später anhand der Eingangsstempel auf den Dokumenten nachwies. Dazu Patricia Creutz: "Wir können nicht einerseits auf den Föderalstaat schimpfen und uns künstlich aufregen und dann genauso arbeiten. Das ist eine Unart." Sie sehe das Feierabendparlament wieder einmal deutlich im Hintertreffen gegenüber der Regierung.
Vivant: CST als Unterwerfung
Für die Vivant-Fraktion wiederholte Diana Stiel die schon mannigfach eingebrachten Einwände - in diesem Fall besonders gegen das Covid-Safe-Ticket - und sie holte erneut weit aus: "Es ist die Unterwerfung des Bürgers, dem Willen der Regierungen zu folgen."
Und weiter: "Man rechtfertigt mit dem Schutz der Bevölkerung, dass die Maßnahmen verhältnismäßig sein müssen. Aber sind sie es wirklich?"
Stiel bescheinigte den belgischen Behörden eine "dilettantische Krisenbewältigung". Sie hoffe, dass die DG-Regierung das CST vernünftiger einsetzen werde als ihre Nachbarregionen: "Es gibt Spielraum. Setzen Sie ein Zeichen gegen Diskriminierung und lassen sie alle Menschen an der Gesellschaft teilnehmen."
SP: Kontroverser Dialog möglich
Céline Kever (SP) sah es als falsch an, nur die Infektionszahlen als Grundlage zu nehmen. "Höhere Zahlen bedeuten aber - unleugbar - auch ein höheres Risiko für vulnerable Personen", so Kever, "und eine drohende Belastung der Krankenhäuser. Bedauerlicherweise steigen diese Zahlen nun ebenfalls. Wenn dieses Virus eines nicht ist, dann: vorhersehbar."
Sie plädierte dafür, einen Menschen mit einer anderen Sichtweise grundsätzlich zu respektieren und ihm zuzuhören. "Das bedeutet nicht, dass ich dem anderen pauschal zustimme oder diese Betrachtungsweise übernehmen muss. Aber inspirieren kann ich mich ja mal." Auch im PDG vermisse sie an mancher Stelle die Demut, die eigene Sichtweise nicht als alleinige wahrzunehmen. "Auch für Corona gibt es keine simplizistische Lösung", so Kever.
In einer Reaktion auf Michael Balter bescheinigte Céline Kever aber angesichts der Erfahrungen mit ihren eigenen Redebeiträgen, dass ein kontroverser Dialog zu diesem Thema im PDG sehr wohl möglich sei. Das liege aber vielleicht an der Tonlage, an der Nuancierung und am natürlich empfundenen Respekt.
Ecolo: Keinen Blankoscheck ausstellen
Die Ecolo-Fraktion wollte der Regierung nach den Worten von Freddy Mockel "keinen Blankoscheck ausstellen". Ecolo hatte einen Abänderungsvorschlag mit praktischen Anpassungen eingebracht, bei dem sie sich in Teilen von der Ordonnanz der Region Brüssel-Hauptstadt und von der Wallonischen Region inspiriert hatte.
Unter anderem schlug die Fraktion eine monatliche Evaluierung der Maßnahmen vor, um sie abschaffen zu können, sobald sie nicht mehr nötig seien. Wichtig sei Ecolo auch, dass es möglichst immer einheitliche Maßnahmen auf dem gesamten Gebiet der DG gebe.
Durch die aktuelle Situation sah sich Mockel in seiner Einschätzung vom 30. September bestätigt, wonach die DG-Regierung der föderalen Ebene die unangenehmen Beschlüsse überlasse.
Da die Abänderungsvorschläge von Ecolo angenommen wurden, konnte die Fraktion nach den Worten von Freddy Mockel dem Dekretentwurf zwar nicht in seiner Gesamtheit zustimmen, ihn aber auch nicht ablehnen: also Enthaltung.
PFF: Verhältnismäßigkeit gewährleistet
Evelyn Jadin (PFF) erklärte, dass die Verhältnismäßigkeit der vorgesehenen Maßnahmen in doppelter Hinsicht gewährleistet sei, da sie zeitlich auf ein Minimum begrenzt und besonders begründet sein müssen: "Es sollte uns allen ein Anliegen sein, Freiheitseinschränkungen schnellstmöglich aufzuheben, wenn sie nicht mehr notwendig sind. Und dann eingreifen zu können, wenn die Situation es erfordert."
Der Text ermögliche, "adäquat und schnell auf eine sich rasant ändernde infektiöse Situation in der DG antworten zu können." Auf die "Impfneid-Debatte der Vivant-Fraktion", so Evelyn Jadin, wolle sie nicht eingehen.
Das tat dann später ihr Fraktionssprecher Gregor Freches: "Die Sachlichkeit besteht nicht aus nur einer Farbe, wie Sie sie hier vortragen", richtete er sich an Balter, Stiel und Mertes, "sondern auch darin, dass Sie anerkennen, dass die meisten Länder der Erde sich für die Impfung aussprechen und sie ihren Bürgern zur Verfügung stellen."
"Es sterben wieder vermehrt Leute an Corona. Das kann keiner hier in diesem Raum leugnen", so Freches. Das betreffe Ältere, aber auch viele Jüngere. "Ich persönlich kenne einige Leute, die an Corona verstorben sind. Die letztes Jahr noch voller Lebensmut ihren Geburtstag gefeiert haben und drei Wochen danach innerhalb von drei Tagen an Corona verstorben sind. Das ist Fakt. Und das tut einem weh", sagte Freches mit berührter Stimme.
Darum könne er nicht verstehen, dass Vivant immer wieder die alte Kampagne gegen das Impfen aus der Schublade ziehe - und das jetzt, "in einer lebensbedrohlichen Situation", immer wieder im Parlament vorbringe. "Da kann ich nicht nachvollziehen, Herr Balter, auch wenn ich Sie sehr schätze, dass Sie nicht bereit sind, Demut zu zeigen und über Ihren Schatten zu springen."
Der Dekretentwurf wurde mit 15 Ja-Stimmen (ProDG, CSP, SP, PFF) bei drei Nein (Vivant) und drei Einthaltungen (Ecolo) angenommen.
Stephan Pesch
Dann müssen das aber empfindliche Leute sein, die PdG-Abgeordneten, wenn zwei Sondersitzungen in einer Woche schon als Zumutung empfunden wird.
Warum machen die dann keine Online-Sitzungen ? Da bleibt man zu Hause und spart sich die Fahrtunkosten.
Wenn man als Opposition Abänderungsvorschläge zu einem Dekretentwurf einreicht und diese angenommen werden, müsste man - meinem Verständnis nach - auch dem Dekretentwurf zustimmen können. Oder die Abänderungsvorschläge waren nur oppositioneller Aktionismus.
„Schlingerkurse“ werde also nicht nur von der Regierung vollzogen …