Nicht zum ersten Mal kommt Sylvia Willem in das Nähatelier von Nathalie Nazarova. Letzte Anprobe für den halblangen Mantel: "Also das ist 100-prozentiger Kaschmir-Stoff - italienisch von Max Mara. Das Futter ist Viskose, auch von Max Mara. Da habe ich auch per Hand eine Naht gemacht und das sieht sehr chic aus. Steht Dir sehr gut! Ein Einzelstück!" Mindestens 20 Stunden hat Schneider-Meisterin Nathalie an dem Mantel gearbeitet. Nach den Wünschen der Kundin auf den Leib geschneidert und so lange angepasst, bis es sitzt.
"Es ist ein ganz anderer Tragekomfort als ein Mantel von der Stange. Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich von ihr hier diesen Mantel genäht bekommen habe. Vor allem qualitativ absolut unschlagbar. Wunderbar. Vor allem geht sie auf die persönlichen Wünsche ein. Sie macht sich auf die Suche nach dem passenden Stoff, den man sich richtig wünscht und es ist einfach nur gelungen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Es ist ein ganz tolles Gefühl, den Mantel zu tragen. Wunderbar", schwärmt Sylvia Willem.
Jedes Teil ist ein Einzelstück. Alles beginnt mit der Auswahl der Stoffe. Ins Atelier kommen nur hochwertige Tuche - mit Vorliebe aus Italien. Synthetische Stoffe haben hier nichts verloren. "Es gibt auch Alpaka mit Wolle. Die Leute fragen, ist das Pelz? Ist kein Pelz. Man kann man natürlich auch einen Mantel mit Seidenfutter machen. Ist auch wunderschön. Und wenn man das anhat, hat man nicht nur von außen etwas Schönes und Schickes, sondern auch von innen. Das ist auch angenehm. Das sind meine Lieblingsstoffe: Seide und Kaschmir. Das liebe ich."
2001 ist Nathalie mit ihrem Mann und ihrer Tochter aus dem Süden der Ukraine gekommen. Von der Stadt Nikolaev am Schwarzen Meer ging es für ein neues Leben nach Eupen. Aller Anfang war schwer: "Die ganze Familie ist in der Ukraine. Man hat keine Unterstützung von der Familie. Da hatte ich große Sorgen und Angst, etwas anzufangen."
Doch schnell sprach sich herum: Diese Frau kann schneidern! Sowohl für Damen als auch für Herren. Ein Talent, das auch Marie-Claire Clarizia und ihrem Mann auffiel: "Sie hatte für meinen Mann eine Hose und ein Jackett geschneidert. Mein Mann hat schon eine spezielle Figur. Von der Stange kaufen ist bei ihm nicht möglich. Da waren wir so begeistert: Diese Arbeit zu sehen, dass wir denn dann angefangen haben zu reden, dass sie sich selbstständig machen sollte."
2018 war dann das Schlüsseljahr, erklärt Marie-Claire Clarizia: "Da ist uns die Idee gekommen, dass eine Partnerschaft ideal wäre. Weil sie sollte ja eigentlich nur schneidern. Ich halte ihr den Rücken frei." Das Team ist eingespielt. Marie-Claire Clarizia und ihr aus Italien stammender Mann besorgen die Stoffe und erledigen den administrativen Teil. Mehr als 50 Kundinnen und Kunden gehören mittlerweile zur festen Klientel des Ateliers 4N.
Für Nathalie waren die Clarizias ein Karrieresprungbrett: "Diese Unterstützung braucht man im Leben - besonders, wenn man schon etwas älter ist und Sorgen hat. Sie hat immer gesagt: 'Weißt du was? Ich helfe dir und wir machen das zusammen.'" So ist die Geschichte des Ateliers 4N nicht nur die Geschichte einer erfolgreichen Geschäftsidee, sondern auch die einer besonderen Freundschaft zwischen Ukrainern, Italienern und Belgiern. Davon erzählt auch der Name 4N-Mode: "Das sind so hauptsächlich die Initialen, die so zusammengekommen sind: Nathalie, Nazarova, in Nikolaev geboren und gelebt und sie lebt in Nispert. Eigentlich sind das die vier N, die dann zusammen gekommen sind. Um dem Ganzen dann ein bisschen italienischen Flair zu verleihen, wurde es dann eben dieses Quattro - Vier N - Mode."
In wenigen Tagen kann Sylvia Willem ihren zweiten Wintermantel aus dem Atelier 4N-Mode abholen kommen. Für sie ist klar: Weniger ist hier mehr: "Zwei tolle Teile statt drei von der Stange. An einem zweiten arbeiten wir. Es ist wie eine Sucht. Dann möchte man nicht mehr ohne. Ich möchte keinen anderen Mantel mehr tragen, als von ihr - von 4N."
Simonne Doepgen