"Hier, bedient euch - Schokolade ist gut für die Moral": Petra Eichten wollte ihren Nachbarn was Gutes tun. Die Friseurin wohnt oben auf dem Berg und ist nicht vom Hochwasser betroffen, aber sie leidet mit.
"Ich konnte aus beruflichen Gründen nicht helfen kommen, das hat mir so Leid getan. Irgendwie wollten wir aber etwas Gutes tun, irgendwie wollten wir helfen. Das war den Kindern und mir ein Bedürfnis und dann haben wir heute morgen Schokoladenmuffins gebacken."
Eine von vielen Gesten der Solidarität, die Evelyne Keller ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Das sah in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag noch ganz anders aus. Das Haus, in dem sie mit ihrer Schwester wohnt, steht direkt an der Our. "Das war ein Schock. Mit sowas rechnet man ja nicht, vor allem waren wir abends noch draußen und da war noch gar nichts. Und dann, eine halbe Stunde später, steht hier alles unter Wasser."
"Ich war oben in meinem Zimmer, hatte noch gelesen und dann hörte ich komische Geräusche, irgendwie so ein Gepolter und ein Geplätscher. Ich dachte, ich hätte vergessen das Fenster zu schließen, hab mir aber nichts weiter dabei gedacht. Dann bin ich irgendwann doch mal zu meiner Schwester ins Zimmer gegangen", beschreibt Evelyne Keller.
"Dann war plötzlich der Strom weg und wir sind dann mit der Taschenlampe runter. Wir haben gesehen, wie die Schuhe im Flur schwimmen. Als wir nach draußen geschaut haben, war das echt ein Schock. Also das Wasser stand über einen Meter hoch, die Autos schwammen weg und man sah einfach nur noch Wasser."
Eine halbe Stunde nur hatte es gedauert, bis die am Abend noch unscheinbar fließende Our mit reißender Gewalt über die Ufer sprang. Die erste Reaktion der beiden Schwestern: Feuerwehr anrufen und Familie verständigen. "Aber es konnte ja keiner was machen, es kam ja keiner hier zu uns. Dann sind wir einfach nach oben in die zweite Etage gegangen, haben uns da verbunkert und einfach abgewartet. Irgendwann so anderthalb Stunden später sah man doch deutlich, dass das Wasser runterging."
Im Morgenlicht war dann das Ausmaß der Verwüstung sichtbar: nicht nur der überschwemmte Garten und der Schlamm draußen. Das Schlimmste war die Zerstörung der Produktions- und Geschäftsräume im Erdgeschoss des Hauses. Erst vergangenen September hatte Evelyne Keller ihre kleine Seifen-Manufaktur "Savonlyne" eröffnet. "Das hat mir sehr wehgetan, weil ich sehr viel Arbeit und viele Stunden hier reingesteckt habe."
"Das Geschäft ist komplett zerstört, ein Großteil der Ware. Ein paar Sachen konnte ich noch retten. Aber ich denke mir: Es ist gut, dass keinem etwas Schlimmes passiert ist. In anderen Regionen ist es noch viel schlimmer. Da sind wir noch glimpflich davon gekommen." Evelyne will ihr Geschäft wieder aufbauen. Wie lange es dauern wird, weiß sie nicht. Aber sie ist mutig. "Das wird schon werden."
Unterstützt fühlt sich Evelyne Keller auch durch die Welle der Solidarität, die sie überwältigt hat und dankbar macht. "Morgens um acht Uhr standen hier schon die Nachbarn auf der Tür mit Verwandten und Leuten, die ich gar nicht kannte, die fragten: Was sollen wir tun? Was sollen wir machen?. So hielt es sich den ganzen Tag. Es kamen immer neue Leute, dann gingen wieder welche und dann kamen wieder neue und wollten helfen."
"Wir haben unzählige Nachrichten von Hilfsangeboten bekommen. 'Sollen wir vorbeikommen? Sollen wir helfen? Was sollen wir tun? Kleider spenden? Etc.' Da wird einem wirklich warm ums Herz."
Nicht nur Nachbarn und Rettungskräfte waren am Tag nach der Überflutung zur Stelle, auch der Versicherungsagent. Wolfgang Keller wohnt selbst im Dorf auf einer Anhöhe. Von dort hat er bereits in der Unglücksnacht gesehen, was auf das Dorf zukam. Am nächsten Morgen machte er sich zu seinen Kunden auf.
"Wir versuchen so gut wie möglich, zu helfen. Wir bekommen auch Hilfe seitens der Gesellschaften, die uns schon einen Freibetrag für die Entschädigungen geben, was wir dann auch natürlich dokumentieren müssen. Bei höheren Summen kommen dann die Experten", erklärt Wolfgang Keller.
"Das kann natürlich jetzt in dieser Situation, wie man es ja auf nationaler Ebene gesehen hat, schon einige Zeit in Anspruch nehmen, ein paar Wochen vielleicht, weil die Büros der Experten auch überfordert und überlastet sind. Wir gehen davon aus, dass wir bis Mitte oder Ende August das Gröbste schon geregelt haben können. Das hängt auch davon ab, wie schnell alles dokumentiert werden kann und aufgelistet wird."
Hotel "Zum Burghof" auch betroffen
Zwischen 25 und 30 Akten hat Wolfgang Keller bereits eröffnet. Eine davon ist die seines Bruders Gerd, der zusammen mit Ehefrau Annette das Hotel „Zum Burghof“ führt. Auch sie hatten am Mittwochabend nicht mit diesen Wassermassen gerechnet. An verschiedenen Stellen stieg das Wasser bis auf 1,80 Meter. "Wir haben es einfach laufen lassen müssen, wir konnten nicht viel machen", sagt Annette Keller. "Dann kam die Feuerwehr, aber selbst denen waren die Hände gebunden. Wohin denn pumpen? Selbst draußen auf dem Parkplatz stand das Wasser bis zu einem Meter Höhe."
Im Keller fielen Geräte, Hotelbedarf und Vorräte der Wasserkraft zum Opfer. Die oberen Etagen, wo noch Hotelgäste übernachteten, blieben verschont. Die Gäste reisten am nächsten Morgen ab.
Vor drei Jahren hatten Annette und Gerd Keller schon mal Überschwemmungen erlebt - aber nicht in diesem Ausmaß. "Da stand die Kegelbahn unter Wasser und peu à peu haben wir dann alles renoviert. Wir waren jetzt gerade fertig. In den sieben Monaten, in denen wir geschlossen waren durch Corona, hatten wir ja Zeit dazu. Und jetzt ist alles für die Katz, jetzt fangen wir wieder von vorne an."
Frustrierend und entmutigend für das Ehepaar, das vor 29 Jahren mit dem Hotelbetrieb begann und eigentlich jetzt langsam kürzer treten wollte. Der erste Gedanke nach der Überschwemmung: Aufhören. "Doch man macht weiter. Die letzten zwei Tage habe wir eigentlich nur 'funktioniert'. Es tut weh", sagt Gerd Keller.
Ein Trost ist auch für Gerd und Annette Keller die große Hilfsbereitschaft, die sie erfahren haben. "Die Welle mit dem Wasser war schon heftig, aber die Welle der Solidarität, das ist nicht in Worte zu fassen".
"Gestern Morgen um 8 Uhr standen die Leute hier schon vor der Tür - 17 Leute haben mitgeputzt. Dann haben wir es auch geschafft, dass wir den gröbsten Dreck bis zur Garage raus hatten. Wenn wir alles alleine machen müssten, hätten wir über eine Woche Arbeit gehabt", fügt Annette Keller hinzu.
Gerd Keller ist sich bewusst, sie stehen nicht alleine da und andere hat es noch viel härter getroffen. "Wenn ich Schäden bei anderen sehe … Manche haben den ganzen Wohnbereich verloren, das ist viel schlimmer. Alle sind fassungslos, aber alle helfen. Zu sehen, wie die Leute mitanpacken, tut richtig gut."
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