Vier Mitglieder der Bürgerversammlung auf der einen Seite, mehr als ein Dutzend Politiker auf der anderen, und dazwischen: 31 Empfehlungen, wie Inklusion im Bildungsbereich ein Gewinn für alle wird. Konkret betroffen ist das Primarschulwesen, für welches ganz allgemein mehr Flexibilität gefordert wird.
"Jeder Schüler ist ein Förderschüler. Das heißt jeder Schüler hat seine Stärken und seine Schwächen", sagt Judith Orban, Mitglied der Bürgerversammlung. "Jeder Schüler muss in gewissen Bereichen mehr gefördert werden als in anderen Bereichen. Auch ein starker Schüler. Wir haben den Eindruck, dass dieser Vielfalt, dieser Heterogenität in den bestehenden Rahmenplänen und Leistungsbewertungen noch nicht genügend Rechnung getragen wird."
Es soll also mehr auf das Individuum eingegangen werden. Die daraus resultierenden Empfehlungen sind weitreichend, was sich beispielsweise in der Benotung widerspiegelt. "Wir empfehlen, dass die klassische Punktebewertung durch eine kompetenzorientierte Bewertung ersetzt wird. Auch, wenn es diesbezüglich bereits Schritte in die richtige Richtung gibt, sind wir der Ansicht, dass man hier noch mehr nach Kompetenzen bewerten soll", sagt Judith Orban.
Lehrer sollen in Förderpädagogik aus- und weitergebildet werden. Dank zusätzlicher Teamzeiten und Konzepttage soll das Lehrerkollegium sich auf die neuen Aufgaben vorbereiten können.
Doch auch die Eltern von förderungsbedürftigen Kindern sind in die Empfehlungen eingebunden. Die Bürgerversammlung empfiehlt, einen unabhängigen Dienst zur Elternberatung zu schaffen. Der soll informieren und unterstützen. Eine Aufgabe, die Kaleido zwar gelegentlich ausführe, Magali Cohen aus der Bürgerversammlung sähe diese Aufgabe jedoch lieber verlagert, "denn Kaleido gibt im Rahmen der Förderkonferenzen Gutachten ab und übt somit zwei entgegengesetzte und widersprüchliche Funktionen aus. Dadurch könnte ein Interessenkonflikt entstehen und das sollte vermieden werden."
Anschließend durften die Politiker zu den Empfehlungen Fragen stellen. Eine Frage stellte sich mehrmals, und zwar ob Förderschulen nun ganz abgeschafft werden sollen. Weder die Bürgerversammlung, noch Bildungsministerin Lydia Klinkenberg stimmten dem zu. "Die Abschaffung der Förderschulen ist tatsächlich ein Problem für manche Profile. Es gibt durchaus schwerst Beeinträchtigte und mehrfach Beeinträchtigte, bei denen das tatsächlich etwas problematisch sein könnte. Wenn man die Förderschulen abschafft, dann wäre die letzte Konsequenz, dass man sie in die Tagesstätten orientiert. Und das ist auch nicht des Rätsels Lösung denke ich."
Immer mehr wollten die Parlamentarier wissen, wie die Empfehlungen konkret umgesetzt werden sollen. Winfried Collas, ebenfalls Mitglied der Versammlung, musste an die genaue Rollenverteilung zwischen Politik und Bürgerversammlung erinnern. "Das sind Empfehlungen, die wir hier geben, und keine Forderungen. Empfehlungen sind für mich ein Denkanstoß. Wir verteilen, was wir erarbeitet haben, in dem Sinne, dass Sie sich damit beschäftigen, und nicht wir die Lösungen finden. Bitteschön und Dankeschön."
So kehrten die Parlamentarier zurück zu allgemeineren Fragen. Ist Inklusion ein Sprint oder ein Marathon? "In meinen Augen ist es deutlich mehr als ein Marathon. Es ist zumindest ein Triathlon", sagt Charles Servaty. "Und Sie wissen ja, der Marathon ist nur einer von drei Teilen des Triathlons."
Schließen Inklusion und Leistung sich aus? "Einerseits haben wir natürlich die Anforderungen des Arbeitsmarktes, insbesondere auf den demographischen Wandel hin. Das heißt Leistung, man muss also schon gut ausgebildet werden in den Schulen", sagt Colin Kraft. "Auf der anderen Seite steht natürlich dann die Inklusion, die ja alles andere als leistungsorientiert ist."
Und was ist überhaupt Inklusion? "Die Frage ist auch: Was ist denn eigentlich Inklusion? Reicht es dann schon, dass Kinder an dem gleichen Standort unterrichtet werden? Oder sollen die auch tatsächlich in der selben Klasse unterrichtet werden und dann eben jeweils an ihren Zielen arbeiten", fragt Andreas Jerusalem.
Die Empfehlungen werden auf drei Ausschüsse verteilt. Nächste Woche schon kommt es dort zur Diskussion. Bis dahin haben die Parlamentarier Zeit, Antworten auf ihre Fragen zu finden.
Andreas Lejeune
Bürgerdialog ist zu wenig. Bürger sollten nicht nur mitreden, sondern auch mitentscheiden mittels direkter Demokratie nach Schweizer Modell.
Der hier brav fabrizierte Papiertiger wird diskutiert und wandert dann zu den Akten, wo er verstaubt.