In der flämischen Tageszeitung "De Standaard" (vom 17. Mai 2021) hat sich rund ein Dutzend belgischer Historiker unter Federführung von Koen Aerts (UGent/Belgisches Staatsarchiv-CegeSoma) dazu geäußert. Aerts war mit einigen Kollegen schon 2017 mit dem Buch "Was opa een nazi?" (Lannoo-Verlag) dem großen Bedürfnis nach Aufklärung über diese Zeit nachgegangen.
Zu den Unterzeichnern des Meinungsbeitrags in De Standaard gehört der Eupener Historiker Christoph Brüll.
"Diese Säuberung ist aus sehr vielen verschiedenen Gründen in den verschiedenen Sprachgemeinschaften ein gesellschaftlich relevantes Thema", erklärt Brüll, der am Institut für zeitgenössische und digitale Geschichte (C²DH) der Universität Luxemburg forscht und lehrt.
"Man hat lange gesagt, vor allem Flandern kranke an den 40er Jahren. Die Säuberungen sind als anti-flämische Operationen beschrieben worden, was die Forschung aber seit 30 Jahren widerlegt hat", so Brüll.
Ostbelgisches Thema
Und die Säuberung sei natürlich auch ein sehr relevantes ostbelgisches Thema. "Wenn man sich vor Augen führt, dass 15 000 Ermittlungsakten damals gegen Belgier angelegt worden sind. Es kam ja dann zu über 3000 Prozessen, zu 1500 Verurteilungen", listet der Historiker auf.
"Dass diese Akten der Säuberung gesellschaftlich relevant ist, merkt man vor allem auch daran, dass sich eben seit mehreren Jahren die Initiativen häufen, auch von Familien, zu diesem Thema einen Zugang zu finden. Das heißt, dass die Kinder oder auch die Enkel wirklich wissen wollen, was damals mit ihren Vätern, Müttern, Verwandten passiert ist und dass sie da eigentlich vor einer Mauer stehen."
Anders als die Familienabgehörigen haben Mitarbeiter von Universitäten und Forschungseinrichtungen seit 2013 sehr wohl Zugang zu diesen Akten, räumt der Historiker Christoph Brüll ein: "Es geht also hier nicht um Privilegien, sondern um den Zugang für alle Belgier, die wünschen, diese Akten einzusehen, vor allem aus familiären Gründen."
Regelmäßige Anfragen
Die Historiker forderten hier ein demokratisches Grundrecht ein, nämlich das Recht auf Information. Der Bedarf sei auf jeden Fall gegeben. Historiker würden praktisch täglich mit Anfragen kontaktiert, was die Kriegsvergangenheit etwa "von Opa" betrifft. "Mich erreichen auch regelmäßig derartige Anfragen", sagt Brüll.
Als Argument gegen eine Freigabe dieser Akten wird unter anderem angeführt, dass alte Wunden wieder aufgerissen werden könnten. "In den 80er, 90er Jahren und auch Anfang der 2000er Jahre hat es schon die Möglichkeit gegeben, mehr oder weniger inoffiziell in diese Akten zu schauen", so der Historiker. "Konsequenzen solcher Art haben sich daraus nicht ergeben."
Ihm sei auch nicht bekannt, "dass jemals in Belgien ein Historiker wegen der Ausstellung falscher Tatsachen im Zusammenhang mit der Kollaboration verfolgt, geschweige denn verurteilt worden wäre". Da werde ein Bild erzeugt, das allenfalls noch "für die emotional aufgepeitschten Zeiten in den 60er, 70er Jahren" gegolten hätte. Gerade darum gebe es ja Schutzfristen bei Archiven.
Handreichung in den Archiven
Im Falle der in seinen Augen "längst überfälligen" Öffnung der Archive zur Säuberung in Belgien böten die Mitarbeiter im Generalstaatsarchiv oder in den Staatsarchiven Geschichtsinteressierten auch eine Hilfe: "Niemand wird da alleine gelassen, natürlich gibt es dort eine Anleitung."
Die besagten Akten liegen noch im Generalstaatsarchiv in Brüssel. "Aber es ist entschieden worden, dass der Zugang dezentralisiert werden soll", so Brüll. "Das bedeutet, dass in den nächsten Jahren diese Akten in die jeweiligen Staatsarchive der Provinzen abgegeben werden."
Die Akten der Militärauditorate von Eupen und Malmedy sollen ins Staatsarchiv Eupen kommen, hat Christoph Brüll ganz frisch aus erster Hand erfahren: "Der weite Weg würde wegfallen und die spezifische Expertise, die beim Zugang zur ostbelgischen Geschichte notwendig ist, wäre dann natürlich auch leichter gegeben als in Brüssel."
Stephan Pesch
Ist es nicht beinahe ein Wunder, dass wir heute in Belgien im Kleinen und in Europa im Großen, trotz all der Verletzungen und Verwerfungen aus der Vergangenheit, friedlich und in gegenseitigem Respekt miteinander leben?
Warum nur gelingt dies im Nahen Osten nicht?
Ich glaube, die Antwort liegt auf der Hand: Weil wir in Europa ungeachtet verschiedener Kulturen, Sprachen und Mentalitäten dieselben Werte teilen: das Bewusstsein um die Würde jedes einzelnen, Freiheit, Demokratie, Menschenrechte; - genau dies verbindet uns miteinander.
Im Nahen Osten ist Israel die einzige funktionierende Demokratie mit einem intakten Sozialsystem. Drumherum regieren nur kleinere und größere Despoten und wenn man persönlich, bspw. durch einen Verlust des Arbeitsplatzes, in eine soziale Schieflage gerät, kann einen ausschließlich die Familie vor einem völligen Absturz bewahren, woraus sich angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage in jenen Ländern zwangsläufig Clanstrukturen entwickeln.
Kurzum: Ein stabiler Friede und Wohlstand sind nur durch gemeinsame, westlich orientierte Werte möglich.
Im Nahen Osten ist Israel die einzige funktionierende Demokratie ------
Merkwürdiges Demokratiebild. Gegen den Ministerpräsidenten sind Gerichtsverfahren wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Vorteilsnahme anhängig. Ein Ex-Präsident sitzt wegen sexueller Nötigung im Gefängnis und der Staat selbst entstand mit den selben Mitteln die jetzt bei den Palästinensern, die eigentlich nur ihren Staat wiederhaben wollen, zur Anwendung kommen.
Zur Erinnerung, es waren die Engländer die als "Schutzmacht" von den Israelis aus dem Land gebombt wurden. Dieser Staat wurde auf Terror und Landraub gegründet.
In Israel machte in den 60er Jahren Witz die Runde: Wenn uns die Engländer schon ein stück Land geschenkt haben das ihnen nicht gehört, warum gaben sie uns nicht die Schweiz?
Werter Herr Jusczyk.
Israel ist eine zum Staat gewordene Bürgerinitiative. Dort leben Bürger und keine Untertanen wie in der arabischen Nachbarländern.
@Marcel Scholzen-Eimerscheid: Da kann ich Ihnen nur beipflichten.
@Edmund Gebser: Sind Sie in der Lage, mir eine einzige intakte Demokratie in der Region zu nennen; - außer Israel?
Benjamin Netanjahu mag korrupt sein, aber die Israelis haben wenigstens die Möglichkeit, ihn abzuwählen.
Was meinen Sie, was passiert, wenn jemand bspw. versucht, an der Macht des saudi-arabischen Königshauses zu rütteln?
Schauen Sie sich den äußerst sehenswerten Film "The Dissident" an, dann erfahren Sie es.
@ Herrn Jusczyk
eine Demokratie erschöpft sich nicht in der Tatsache, dass man innerhalb regelmäßiger Abstände mehr oder minder korrupte Politiker wählen kann. Es wird damit auch eine gerechte Behandlung der GANZEN Bevölkerung verstanden und ein funktionierendes Rechtssystem ist weitaus wichtiger für das Leben als eine Wahl. In Israel (und damit meine ich einen politischen Staat und keine Glaubensgemeinschaft) ist das sicherlich nicht der Fall, wenn man bedenkt, wie unterdrückt die dort immer schon lebenden Palestinienser behandelt werden, sowie der Ausbruch dieses Problems: In Ostjerusalem wurden (zum Zeitpunkt des sehr emotionell aufgeladenen Ramadam) Palestinienser aus ihren Häusern gedränkt, um diese Israelis zu geben. Ja, und in diesem Fall ist dann die Religion gemeint, also ist es Israel selbst, dass permanent diesen Unterschied macht und die Welt damit knebelt, ja nicht antisemitisch zu sein. Wir müssen endlich lernen Politik und Religion auseinander zu halten.
Israel eine Demokratie? Dies gilt doch wohl nur für einen Teil der Bürger. In den annektierten und besetzen Gebieten ist die autochthonen Bevölkerungsgruppe sicher anderer Meinung. Ein Staat der Landnahme durch Krieg betreibt und eine üble Besatzungsmacht ist , verstößt auch gegen das Völker-und Kriegsrecht. Schöne Bürgerinitiative.
Da sich die Diskussion mehr und mehr vom ursprünglichen Thema dieses Beitrags entfernt, beenden wir an dieser Stelle die Kommentarfunktion zu diesem Beitrag.
Stephan Pesch
Chefredakteur