Die Gewerkschaften fordern höhere Löhne. Sie werfen den Arbeitgebern vor, dass diese nicht bereit sind, mehr Lohn zu zahlen. In den Augen von Ludwig Henkes liegt es aber nicht am fehlenden Willen der Arbeitgeber: "Dazu muss ich sagen, dass die Belgier, die Belgierinnen wirklich zu wenig netto verdienen. Auf der anderen Seite belegt Belgien einen Spitzenplatz in Europa, wenn es um den Vergleich der Lohnkosten und vor allen Dingen der Lohnnebenkosten geht. Im Vergleich zu Deutschland liegen diese je nach Sektor um zwölf bis 25 Prozent höher."
Viele belgische Unternehmen können nicht konkurrieren. Für Investoren, die Arbeitsplätze schaffen wollen, sei Belgien nicht attraktiv. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes in der Deutschsprachigen Gemeinschaft nimmt die Politik in die Pflicht; "Hohe Arbeitskosten, niedrige Nettokosten. Der insgesamt sehr hohe Steuerdruck ist auch auf eine verfehlte Politik, auf ein viel zu komplexes und teures Staatsgefüge zurückzuführen. Wir haben hohe automatisierte Sozialleistungen. Letzten Endes muss man sagen: Wer profitiert am meisten von jeder Lohnanpassung? Das ist der Staat, der bis zu 70 Prozent der gestiegenen Arbeitskosten in die eigene Tasche steckt."
Ludwig Henkes kann den Ärger der Gewerkschaften und der Belegschaften gut verstehen. Die Lohnforderungen sind für ihn allerdings nicht nachvollziehbar: "Die Gewerkschaften sprechen von einer Lohnerhöhung von 0,4 Prozent. Das ist falsch! Denn in Belgien, im Gegensatz zu unseren Nachbarn, werden die Löhne automatisch dem Index unterworfen. Das heißt, dass die angesprochenen Lohnerhöhungen voraussichtlich acht Mal höher als 0,4 Prozent sein werden und wahrscheinlich 3,2 Prozent erreichen. Diesen Lohnanstieg müssen die Unternehmen in einer Krisensituation erstmal bewältigen."
Generalstreik verantwortungslos
Die Branchen, die hart von der Corona-Pandemie getroffen sind, würden dann noch stärker in ihrer Existenz bedroht. Einen Generalstreik hält Ludwig Henkes für verantwortungslos: "Dazu möchte ich sagen, dass wir hier in der DG eine Gewerkschaftskultur haben, die weiterhin grundsätzlich auf Dialog beruht. Der Trend im Landesinnern ist beunruhigend, weil ich den Eindruck habe, dass sich die Fronten verhärten. Ich habe den Eindruck, irgendwann bricht das Pferd, das den Karren zieht zusammen. Die aktuellen Streikaktionen schaden unserem Land, der Reputation des Standortes und seinen Menschen."
Es könne fatale Folgen haben, den Menschen zu vermitteln, dass es einfache Wege aus der Krisensituation gebe. Die Gewerkschaften, die Regierung und die Arbeitgeber müssten miteinander reden: "Wir müssen Solidarität zeigen, konstruktive Lösungen suchen und der Realität ins Auge blicken. Daran mitzuarbeiten, das ist die Aufgabe von Gewerkschaften und natürlich auch von Arbeitgebern. Ich glaube, Lösungen findet man nur am Tisch und nicht auf der Straße."
Ludwig Henkes wünscht sich, dass alle wieder in den Sozialdialog einsteigen. Ein Generalstreik würde die wirtschaftliche Situation in seinen Augen nur noch schlimmer machen.
Chantal Scheuren
Herr Henkes hat mit vielem recht. Die vielen schönen Pöstchen müssen ja irgendwie finanziert werden. Hoher Steuerdruck, niedrige Nettolöhne etc sind eine Konsequenz. Von irgendwo muss das Geld herkommen.
Hier wird die Sache auf den Punkt gebracht. Unser Staatsapparat ist einfach zu schwerfällig und dadurch auch zu teuer geworden. Auf föderaler, regionaler, gemeinschaftlicher und provinzialer Ebene gibt es Instanzen die sich in Kompetenzen überlappen oder überkuppeln, man nehme nur das Beispiel der Gesundheitsminister. Das in der Wirtschaft in rentablen Unternehmen praktizierte „Lean-Management“ würde auch dem Staate Belgien gut zu Gesicht stehen. Das Einsparpotential dürfte enorm sein und umgelegt auf eine Reduzierung der Lohnnebenkosten spränge für die Arbeiter und Angestellten ein Lohnerhöhung heraus die mit Sicherheit über den aktuellen Forderungen läge.
Alles richtig, was hier geschrieben steht. Ich bin zwar auch Gewerkschaftlich organisiert, stehe aber trotzdem nicht hinter dem Generalstreik und werde auch nicht daran teilnehmen. Ich frage mich nur immer wieder, welche Partei den Mut hätte, sich an dieses Thema ran zu trauen, wie von Roger Müller vorgeschlagen. Aber wie Marcel Scholzen hier andeutet, würden da viele Posten und Pöstchen wegfallen. Und welche Partei ist regierungsfähig UND dazu bereit, auf all die lukrativen Posten zu verzichten?