Lucas ist fünf Jahre alt, ist gerne draußen unterwegs, tobt sich aus und geht in Kettenis in den Kindergarten. Er wächst in der Region auf, wie jedes andere Kind auch. Und doch hätte seine Lebensgeschichte ganz anders aussehen können. Alles hat nämlich mit einer Entscheidung begonnen: der Entscheidung seiner Eltern für oder gegen die Adoption eines Kindes.
Keine leichte Entscheidung, denn es ist eine fürs Leben. Dagmar Krämer und ihr Mann Patrick Connotte haben sie im Jahr 2014 für sich getroffen. "Ich habe einen Krankheitshintergrund, der mir eine Schwangerschaft sehr erschwert, beziehungsweise mir wurde von einer Schwangerschaft abgeraten", erzählt Dagmar Krämer. "Deshalb haben mein Mann und ich uns dafür entschieden zu adoptieren. So wie andere die Pille absetzen, haben wir uns für den Schritt der Adoption entschieden."
Im Sommer 2014 hatten die beiden dann ihr erstes Informationsgespräch. In Belgien hat jede Gemeinschaft ihre eigenen Ansprechpartner. In der DG ist das die Zentrale Behörde der Gemeinschaft für Adoption (kurz ZBGA). 2020 haben hier zehn Informationsgespräche stattgefunden. Das sind vergleichsweise wenig, was auch der aktuellen Situation geschuldet ist. 2007 gab es dagegen sehr viele Gespräche, nämlich 25.
Sozialassistentin Anne Radermacher empfängt die interessierten Paare in den Büros in Eupen. "Der erste Schritt ist effektiv, dass die Paare sich entweder telefonisch oder per Mail bei uns melden. Wir vereinbaren dann das Informationsgespräch", erzählt sie. "Da schauen wir genauer auf die Situation und die Vorstellung der Paare. Wir erklären die ganze Prozedur und schauen, welcher Weg für sie gut passen könnte."
Auch Dagmar Krämer und ihr Mann haben eine ganze Prozedur durchlaufen, in ihrem Fall für eine Inlandsadoption. Teil davon war ein Seminar in Aachen, das die verschiedenen Faktoren einer Adoption beleuchtet und den Eltern Wege aufzeigt, damit umzugehen.
Da es zu wenige Adoptionen in Ostbelgien gibt, um einen eigenen Vermittlungsdienst auf die Beine zu stellen, müssen sich die zukünftigen Adoptiveltern anschließend an einen Vermittlungsdienst im Inland wenden. Das hat auch die Ketteniser Familie getan. "Wir haben uns für ONE entschieden", erklärt Dagmar Krämer. "Nach einer Bewerbungsprozedur sind wir dann zu mehreren Gesprächen nach Brüssel gefahren. Es hat aber auch hier bei uns Termine gegeben. Es wurde dann geschaut, wo und wie wir leben und ob hier ein Kind überhaupt seinen Platz finden kann. Im Sommer 2015 haben wir dann die Konvention mit ONE unterzeichnet."
Währenddessen ist auch die Adoptionsbehörde der DG immer noch für die Familien da und bleibt es auch. Jederzeit können die Familien sich hier mit den Mitarbeitern austauschen. "Wir versuchen als Dienst, Ansprechpartner zu werden und auch zu bleiben und die Eltern ein Stück auf ihrem Weg zu begleiten", erklärt Anne Radermacher. "Wir sind immer offen, dass die Paare sich bei uns melden können. Wir fragen dann auch einfach mal nach, was sie brauchen, wie es so geht und was gerade ansteht."
Schritt für Schritt näherten sich Dagmar Krämer und ihr Mann Anfang 2016 ihrem Ziel. Ein halbes Jahr nachdem sie beim Vermittlungsdienst in Brüssel vorstellig geworden waren, bekamen sie einen Anruf. "Wir sind dann Ende Januar angerufen worden und mussten nach Brüssel zu ONE. Da bekamen wir Lucas Geschichte erklärt. Zu dem Zeitpunkt war er dreieinhalb Monate alt. Auch seinen Gesundheitshintergrund haben wir erklärt bekommen. Aber man bekommt absichtlich keine Fotos gezeigt, sondern nur den Namen und die Geschichte."
Ein Fotoalbum dokumentiert Lucas' Zeit im Kinderheim. Die dreieinhalb Monate, die er dort verbracht hat, sind von seinen Pflegerinnen festgehalten worden. Auch das erste Aufeinandertreffen mit seinen Eltern. "Wir haben ihn gesehen und das war wie so ein Puzzlestück, genau das, was uns gefehlt hat. Wir haben uns vom ersten Moment an unheimlich wohl gefühlt und ich wage mal zu behaupten er auch. Das war eine sehr intensive Woche, die wir im Kinderheim verbracht haben. In der Hoffnung natürlich, dass dann am Ende der Woche sich die Verantwortlichen des Heims auch für uns entscheiden. Das war aber gar kein Problem."
Am 7. März 2016 war es dann so weit. Lucas durfte nach Hause. Die ersten Wochen waren emotional und intensiv für die kleine Familie. Von Anfang an wurde über die Adoption offen in der Familie gesprochen - auch mit Lucas. Der Fünfjährige weiß, dass eine andere Frau ihn zur Welt gebracht hat, wie Dagmar Krämer erzählt. "Für uns ist es wirklich sehr sehr wichtig, dass wir gut über seine leiblichen Familie sprechen. Wir haben enormen Respekt vor der Entscheidung seiner leiblichen Mutter. Er soll keinen schlechten Eindruck von ihr haben. Er soll nicht mit schlechten Gedanken an diese Familie denken. Er soll vorurteilsfrei daran gehen. Immerhin hat sie uns das größte Geschenkt gemacht, was man überhaupt bekommen kann."
Die Familie hatte Glück, ihr Adoptionsverfahren verlief relativ schnell. Das Glück haben aber längst nicht alle. Vor allem das Verfahren für Auslandsadoptionen kann lang und kräftezehrend sein. "Es sind verschiedene Etappen, die da mitspielen, und ein Faktor ist zum Beispiel die Wahl des Landes", erklärt Anne Radermacher. "Auf den Webseiten gibt es dazu Infos, wo dann auch steht, dass man X Jahre auf einen Kindervorschlag warten muss."
Eine Adoption ist immer auch mit Kosten verbunden - auch darüber werden die zukünftigen Eltern informiert. Mehrere tausend Euro kann das ganze Verfahren am Ende je nach Fall kosten. Abgeschlossen ist das Verfahren erst dann, wenn ein Gericht das endgültige Adoptionsurteil ausgesprochen hat. 2020 ist das in der DG einmal der Fall gewesen. Rückblickend auf die letzten Jahre schwanken die Zahlen zwischen elf im Jahr 2011 und drei im Jahr 2017.
Lucas Urteil ist im Dezember 2016 gesprochen worden. Seitdem ist er so richtig angekommen in seiner Familie - oder wie seine Mutter es formuliert: "Im Endeffekt sind wir seine Mama und sein Papa, seine Eltern, mit denen er alles erlebt hat - und da ändert auch eine DNA nichts dran."
Lena Orban
...Verfahren kann mehrere Jahre dauern... einige tausend Euro kosten... und dann soll man sich nicht über die Bürokratie aufregen...einfach nur traurig !