Eigentlich verbringt ein Auszubildender die meiste Zeit im Betrieb. Dort sammelt er Praxis und Erfahrungen. Nur ein Fünftel der Ausbildungszeit sind für Unterricht vorgesehen. Aktuell ist jedoch das Zentrum für Aus- und Weiterbildung für viele Schüler der einzige Bezugspunkt. "Es ist effektiv so, dass gewisse Berufe ja im Augenblick Arbeitsverbot haben. Das heißt, dass die Ausbildung in den Betrieben seit einigen Monaten reduziert ist", erklärt Thomas Pankert, Direktor des ZAWM Eupen. "Gerade für diese Berufe haben wir jetzt in der Winterzeit zusätzliche praktische Kurse angeboten, um fehlende Praxis zumindest etwas auszugleichen."
Gerade die Abschlussklassen mit den anstehenden Prüfungen leiden unter den Umständen. Theorie-Unterrichte wurden gebündelt, auch hat das ZAWM versucht, durch praxisorientierte Unterrichte zu kompensieren. Ein vollwertiger Ersatz kann laut Lehrer Eddie Pidancet jedoch nicht geboten werden. "Das, was den Auszubildenden durch den Corona-Umstand fehlt, ist die praktische Erfahrung. Und es ist natürlich so, dass das emotional belastend ist, dass vielleicht das Ganze nicht mit so viel Energie verfolgt werden kann, wie das in der Ausbildung sonst stattfinden würde", so Pidancet.
"Aber es gibt einen großen Bedarf an diese Auszubildenden und ich persönlich bin der Meinung, dass die größten Ausbildungsschritte beziehungsweise beruflichen Erfolge sich sowieso im Gesellen-Leben abspielen." Doch für einige ist das Gesellen-Leben noch weit weg, für andere ist ein offener und laufender Betrieb die Ausnahme.
Auch deswegen sieht Eddie Pidancet noch Verbesserungsmöglichkeiten. "Ich würde es natürlich begrüßen, wenn wir praktische Übungen mit den Lehrlingen intensiv durchführen könnten. Wir haben diese praktischen Übungen jetzt aber auf der ursprünglichen Zeitschiene gelassen, weil wir die Nähe mit den Schülern gar nicht durchführen können. Das ist durch diese Pandemie gar nicht möglich." An schwächere Jahrgänge glaubt Eddie Pidancet trotzdem nicht und ist zuversichtlich, dass die Ausbildungen gut vorbereiten.
Doch nicht nur im ZAWM, auch im Institut für Aus- und Weiterbildung beobachtet unter anderem Direktorin Verena Greten die Situation genau. "Natürlich ist es schwierig und nicht, wie wir es gewohnt sind. Es ist nur mit Einschränkungen möglich. Aber ich denke, auch die Betriebe tun ihr Bestes, um trotzdem noch eine gewisse Routine und Ausbildung reinzubringen", so Greten. "Aber natürlich müssen wir das Ganze jetzt beobachten und schauen, wie sich das noch hinziehen wird. Und dann werden wir auch gucken, welche Maßnahmen wir noch ergreifen müssen."
Schnupperwochen finden statt
Doch Corona hat nicht nur einen Einfluss auf die bereits laufenden Ausbildungen. Auch die Entscheidung hin zu einer solchen Ausbildung ist durch die Pandemie nicht einfacher geworden. Gerade deswegen sollen die Schnupperwochen während der Osterferien trotzdem stattfinden.
"Wenn die Betriebe bereit sind, Jugendliche aufzunehmen, dann führen wir nach wie vor die Schnupperwochen so durch, wie wir das gewohnt sind", sagt Greten. "Die Resonanz von den Betrieben ist sehr positiv, wir haben nicht feststellen können, dass die Betriebe zurückhaltender sind in ihrer Ausbildungsfreude."
Der Bedarf an Fachkräften ist weiterhin da - und wird auch nach der Pandemie noch bestehen, ähnlich wie die Bereitschaft auszubilden. Diese Botschaft möchte das IAWM auch nochmal mit einem Film unterstreichen. "Wir hoffen einfach, auf diesem Wege Jugendliche motivieren zu können, den Weg ins Handwerk, in die Ausbildung zu wagen, denn ich denke nach wie vor kann man sagen, dass Handwerk goldenen Boden hat und da geht es auch weiter, obwohl jetzt der ein oder andere Bereich eingeschränkt ist", so die ZAWM-Direktorin. "Ich denke, das hat nach wie vor Zukunft und ich kann nur alle ermutigen, sich auf diesen Weg zu machen."
Das Bild, dass sich aktuell innerhalb der beruflichen Ausbildung auftut, ist zweigeteilt. Auf der einen Seite leiden auch die Auszubildenden unter der Corona-Pandemie. Auf die so wichtige Praxis müssen viele zurzeit verzichten. Auf der anderen Seite wird keiner Branche soviel Zukunftssicherheit zugesprochen wie dem Handwerk.
Folgen der Corona-Krise: Viele Lehrlinge müssen Praxisausbildung nachholen
Andreas Lejeune