Daniel Hilligsmann ist Mitarbeiter von Ministerpräsident Oliver Paasch. Zusammen mit anderen Ministerberatern, die sich im Rahmen des interföderalen Corona-Krisenmanagements zu einer intensiven und konstruktiven Zusammenarbeit veranlasst sahen, kam am 28. November 2020 erstmals das Brussels Democracy Forum zusammen.
Ziel dieser Denkfabrik ist es, partei- und gemeinschaftsübergreifend Politiker und Experten aus Belgien und Europa zu vereinen, um Themen gesellschaftlichen Interesses zu diskutieren.
Gewinne durch Polarisierung
Bei seiner ersten virtuellen Arbeitssitzung behandelte das Forum die Auswirkungen neuer Kommunikationstechnologien auf Gesellschaft und demokratische Institutionen. Gäste waren Prof. Lutz Hagen, Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaften der Universität Dresden, und Susanne Reitmair-Juárez vom Demokratiezentrum Wien.
Anhand der gesammelten Erkenntnisse und weiterführender Überlegungen veröffentlichte das Brussels Democracy Forum nun ein erstes Positionspapier mit 24 Empfehlungen in den Bereichen Regulierung, nachhaltige Innovation, Qualitätsinhalte und Bildung.
"Aufgrund gewinnorientierter Geschäftsmodelle begünstigen neue Medien nicht selten die Amplifikation reißerischer, vereinfachender und polarisierender Inhalte", sagt Daniel Hilligsmann. "Wir müssen darüber reden, was unsere Gesellschaft von neuen Medien erwartet und ab wann sie den Menschen schadet. Nicht alles was geht, ist auch gut.“
Verweildauer und Suchtpotenzial
"Der Tag beginnt bei vielen ja schon damit, dass sie auf ihr Smartphone schauen", erzählt Daniel Hilligsmann: "Ich bin eigentlich 24 Stunden am Tag für mein Smartphone erreichbar. Ich sage bewusst "für mein Smartphone" und nicht "für meine Mitmenschen", denn darum geht es nicht primär, sondern um die Stimulierung: Jemand hat dein Bild gelikt, eine Freundschaftsanfrage geschickt, du hast eine Mail erhalten und so weiter."
Laut Studien werden etwa 70 Prozent aller E-Mails im Alltag innerhalb von nur sechs Sekunden geöffnet werden, sagt Hilligsmann. Die ständige Ablenkung führe nachweislich auch zu weitreichenden Veränderungen: "Neurowissenschaftler haben festgestellt, dass sich Menschen mit intensiver digitaler Mediennutzung kognitive Verhaltensweise verändern, aber auch die Hirnstrukturen. Das ist für mich sehr interpellierend." So nehme die Konzentrationsfähigkeit stark ab.
Systematische Bestätigung und Belohnung, maßgeschneiderte Inhalte oder Anwendungen wie das Infinite Scrolling sollen den Nutzer möglichst oft und möglichst lange an den Bildschirm binden. Das steigert aber auch das Suchtpotenzial, schätzt Daniel Hilligsmann. Darum gibt er einfache Handlungsempfehlungen: "Die Familie kann etwa während des Abendessens eine handyfreie Stunde einführen. Oder jeder Nutzer kann sein Smartphone so einstellen, dass er nicht ständig Notifizierungen erhält", erklärt Hilligsmann einen gesunden Umgang mit den neuen Technologien.
Im Bedarfsfall gegensteuern
Das Forum beschreibt auch Verstärkungseffekte zugunsten von Fake News, Rassismus, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit und Homophobie. Nicht zuletzt wird auf die Auswirkungen sozialer Medien auf Presse und Demokratie eingegangen: "Die Frage nach Demokratie und nach dem Allgemeingutcharakter dieser Plattformen muss unbedingt diskutiert werden", sagt Daniel Hilligsmann.
Das müsse auf übergeordneter Ebene geschehen, dennoch sieht Daniel Hilligsmann Handlungsbedarf auch auf Ebene der Deutschsprachigen Gemeinschaft: "Ich denke, dass wir darüber sprechen müssen, wie insbesondere Kinder vor den Gefahren eines massiven Medienkonsums geschützt werden können." Hier gebe es schon interessante Initiativen im Bereich der Medienkompetenz oder auch die Kampagne "Speak up".
Es sei aber auch jeder Einzelne gefragt, indem er sich nicht zufrieden gibt, wenn er einen Hasskommentar oder Falschmeldungen auf Facebook sieht. "Es erfordert sehr viel Mut, darauf zu reagieren, denn häufig lassen die Gegenreaktionen nicht lange auf sich warten", sagt Hilligsmann. "Aber die Frage ist ja: Überlasse ich das Forum den Trollen?"
Stephan Pesch