Die Bilder aus der ersten Welle sind vielen noch schmerzhaft in Erinnerung. Kranke starben alleine und unbegleitet. Trauerfeiern fanden nur im engsten Kreis und innerhalb kurzer Zeitspannen statt. Hubert Chantraine ist Seelsorger in Eupen und hat, nicht nur in den letzten Monaten, viele Trauernde begleitet. "Die erste Beerdigung hat mich wirklich umgehauen. Die Witwe saß ganz alleine vor dem Sarg und keiner traute sich, sie anzufassen."
Solche Bilder bleiben. Nicht nur bei Außenstehenden, auch bei denen, die Abschied nehmen wollten, aber nicht wirklich konnten. "Da hat man auch gespürt, was Einsamkeit sein kann. Das war im ersten Lockdown sehr stark und auch sehr unmenschlich. Viele Familien haben einen Angehörigen nicht besuchen können. Das erste Mal, dass sie ihn wieder getroffen haben, war hier im Sarg, auf dem Friedhof."
Auch wenn jetzt Angehörige Sterbende unter Umständen besuchen dürfen, die Einsamkeit ist immer noch vorhanden. Vielleicht hat man sich auch inzwischen ein wenig an sie gewöhnt. Hinzugesellt hat sich aber ein neues Gefühl der Nähe, bemerkt der Bestatter Marc Despineux. "Ich bekomme den Eindruck, dass die Nähe zum Verstorbenen auf der Trauerfeier stärker geworden ist. Es ist auch so, dass die Menschen sich stärker einbinden. Als Beispiel: Es ist ein Herr verstorben und sein Bruder hat eine wunderschöne Trauerrede auf seinen Bruder gehalten - und das im allerengsten Familienkreis", berichtet Despineux. "Das heißt, diese Verbindung, diese Nähe ist vielleicht unter dem Schutzmantel der Intimität der Familie viel stärker spürbar als vorher."
Der anfängliche Schock ist gewichen. Das bemerkt auch Hubert Chantraine. Die Situation ist inzwischen bekannter und der Mensch geht kreativer mit der Ungewissheit aber auch mit den neuen Umständen um. "Das Positive ist auch bei den Beerdigungen sichtbar. Die Solidarität, die untereinander entsteht, oder Menschen, die sich ganz konkret für andere einsetzen, um Einkäufe zu machen - das sind alles Sachen, die dem täglichen Leben auch ihren Wert geben und gleichzeitig das Zwischenmenschliche vertiefen."
Das Zwischenmenschliche und Persönliche bekommen wieder eine zentrale Bedeutung, bemerken sowohl Hubert Chantraine als auch Marc Despineux. "Aber ich glaube, dass es ganz ganz wichtig ist, dass wir auch so diese Basis wieder finden", so Despineux. "Warum verabschieden wir einen Menschen und warum geht man unter Umständen zur Kirche? Das ist für uns sehr, sehr deutlich spürbar geworden, auch diese Dankbarkeit dem Verstorbenen gegenüber und sich gegenseitig mitteilen."
Trotz positiver Nebeneffekte ist die aktuelle Situation keine endgültige Lösung. Sowohl für Hubert Chantraine, der gerne in die Altenheime zurückkehren würde, als auch für Marc Despineux, der sich mehr Kontakt wünscht, gäbe es noch Verbesserungen.
Doch beide wissen von der Außergewöhnlichkeit der Situation und versuchen, so gut wie möglich damit umzugehen. "Gestorben wird immer. Ja, Menschen sterben immer, das stimmt. Aber Corona ist kein Sterben wie immer", betont Despineux.
Und gerade das macht nicht nur für Hubert Chantraine respektvolle Zwischenmenschlichkeit weiterhin nötig. "Das Evangelium sagt ja auch: 'Was du meinen Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan hast, das hast du mir getan'. Das Geringste was man jetzt tun kann, ist sich gegenseitig schützen und aufeinander aufpassen."
Andreas Lejeune