Für Claudia Ben Dagha ist es ein besonderer Tag. Geduldig wartet sie darauf, ihre Mutter wiedersehen zu können, die am Freitag 87 wird. Rund acht Wochen lang haben sich die beiden nicht gesehen. Und dann geht es auch schon los, allerdings unter strengen Sicherheitsauflagen: vor Eintritt müssen noch die Hände desinfiziert, eine eidesstattliche Erklärung abgegeben und Fieber gemessen werden.
30 Minuten Zeit haben die Besucher dann. Für Claudia Ben Dagha und ihre Mutter ist es Wiedersehensfreude pur. "Das war sehr sehr schön und natürlich auch sehr emotional für meine Mutter. Sie hat auch ein paar Tränchen vergossen, weil sie so froh war, mich wiederzusehen. Wir sind vier Geschwister und wechseln uns jetzt ab, so dass jede Woche jemand kommen kann."
Möglich machen das die neuen Besucherboxen, rund zwei Meter breit und 2,50 Meter tief. Durch Trennwände und Plexiglasscheiben gewährleisten sie die kontaktlosen Besuche. Insgesamt vier Boxen gibt es, jeden Tag werden zehn Termine vergeben, so dass insgesamt 40 Besucher täglich kommen können.
An den neuen Begegnungsort muss man sich aber erstmal gewöhnen. "Es ist schon eine befremdliche Situation, auch für unsere Bewohner", sagt Koordinatorin Galina Olbertz. "Aber im Allgemeinen sind sie schon zufrieden mit der Situation und sagen: 'Besser das als nichts'. Wir haben schon viele Freudentränen sehen dürfen - das ist auch für uns schön, um weiterzumachen und am Ball zu bleiben. Das tut den Bewohnern gut." Die größte Herausforderung für die Koordinatorin ist, allen gerecht zu werden, denn die Nachfrage ist groß. 280 Buchungen wurden seit letztem Mittwoch schon verzeichnet.
Das Marienheim ist eines der größten Heime der DG - und bislang vom Coronavirus verschont geblieben, wie Direktor Patrick Laschet erklärt. "Der erste Faktor ist wirklich Glück, das muss man so sagen. Wir haben Häuser in der Deutschsprachigen Gemeinschaft, die sind nicht verschont geblieben und haben auch sehr große Anstrengungen gemacht. Also kann man nicht behaupten, dass das alleine durch große Anstrengungen vermieden werden kann."
"Wir haben 150 Bewohner und, weil wir viele Teilzeitkräfte haben, über 180 Mitarbeiter, die auch ein soziales Leben führen. Wir haben also besonders viele Leute, die uns das Virus hereinbringen könnten. Dafür sind wir sehr achtsam und haben gute Konzepte umgesetzt."
Gute Vorbereitung
Dem Personal wurde dafür in den letzten Wochen viel abverlangt. "Der Anfang war doch sehr turbulent. Man wusste nicht so richtig, worauf wir eigentlich zugehen", erklärt Valérie Loyens, die Leiterin des Fachbereichs Pflege. "Wir haben dann viele Gespräche auf Führungsebene gehabt, um alles genau zu planen. Unsere Devise war: Wir brauchen eine gute Vorbereitung auf das, was kommen kann - und auch immer noch kommen könnte."
"Wir haben viel umgesetzt, Standards geschrieben und das Haus teilweise komplett umstrukturiert. Das betrifft nicht allein die Pflege, sondern geht von der Küche über die Brotküche, Hauswirtschaft und die Paramediziner - jeder musste anders arbeiten."
Personal, Bewohner, Angehörige - sie alle mussten die Veränderungen hinnehmen und akzeptieren. Keine leichte Phase, aber der Zusammenhalt ist groß. "Ich denke mal, die Zeit ist schon generell anstrengend - für uns alle, da wir auch anders arbeiten müssen als vorher. Wobei ich festhalten muss, dass wir keine sonderlichen Krankheitsausfälle haben. Es hat sich für uns sehr stabil gehalten, trotz alledem ist der Arbeitsaufwand natürlich immens hoch. In der Anfangszeit noch ein bisschen extremer, weil viel vorbereitet werden musste. Aber wir sind zufrieden, dass es so gut geklappt hat", sagt Valérie Loyens.
Und zufrieden sind auch die Angehörigen, wie Claudia Ben Dagha sagt. "Ich denke, da muss man ein ganz großes Lob aussprechen. Die sanitären Maßnahmen wurden eingehalten und ich unterstütze auch voll und ganz die Entscheidung, dass die damals nicht sofort alle Leute ins Haus reingelassen haben aus Vorsicht, um alle zu schützen. Ich bedanke mich ganz herzlich beim gesamten Personal vom Marienheim dafür, wie sie mit unseren Angehörigen umgehen, wie gut sie sich kümmern und das Beste aus der Situation machen."
Auch wenn das Virus auf dem Rückzug zu sein scheint, so ist die Corona-Krise auch für das Marienheim noch lange nicht überwunden. "Wir müssen jetzt einfach daran arbeiten, dass wir mit Corona leben", so Laschet. "Wir haben am Anfang ganz viele Sicherheitsmaßnahmen eingebaut, die wir jetzt stufenweise lockern. So haben unsere hausinternen Frisöre zum Beispiel die Arbeit wieder aufgenommen, damit die Bewohner nicht länger als acht Wochen keine Haare geschnitten bekommen."
"Aber es sind kleine Schritte. Wir beobachten ständig die Situation im Haus, aber auch außerhalb. Und wir haben uns - genau wie die Föderalregierung auch - immer das Recht vorbehalten, wieder einen Schritt zurückzumachen, wenn sich die Statistiken verändern." Bleibt zu hoffen, dass das nicht nötig sein wird - und dass schon bald nicht nur Winken aus der Ferne, sondern auch wieder ein Handschlag oder eine Umarmung möglich sein werden.
Melanie Ganser