Die Flure sind leer. An den Tischen versammelt sich niemand mehr zum Kartenspielen. Nur momentweise gibt es ein bisschen Alltag, so wie wir ihn zumindest aus der Vor-Corona-Zeit kennen: Fahrradfahren zum Beispiel. Wer Kinesitherapie braucht, soll sie auch in Coronazeiten bekommen. Und doch bestimmt der Verzicht den Tagesrhythmus.
"Turnen, kegeln und singen: etwas gemeinsam machen - das fehlt schon", bedauert Heimbewohnerin Ursula Leffin. "Trotzdem bemühe ich mich selbst darum, ein bisschen fit zu bleiben. Ich habe geturnt, fahre Fahrrad und gehe spazieren, wenn das Wetter es erlaubt. Aber das Gemeinsame - das Frühstück und Abendessen - ist schon schön. Da hatte man was zu lachen. Und das fehlt einem schon."
Nur zwei Stunden am Tag dürfen die Bewohner aus ihren Zimmern. Es war der 25. März als eine erste Bewohnerin des Wohn- und Pflegezentrums St. Joseph in Eupen positiv auf das Coronavirus getestet wurde.
Dann ging alles rasend schnell. Immer mehr Bewohner bekamen einen positiven Bescheid. Aus Wohnbereichen wurden Isolierstationen. "Wir sind ein Pflegeheim. D.h. wir haben hier Personal, das gar nicht darin ausgebildet ist, in einem isolierten Bereich zu arbeiten", erinnert Annabell Pommé, die stellvertretende Heimleiterin. "Das bedeutet für uns sehr viel Schulung und auch schriftlich mit Dienstanweisungen zu arbeiten, damit jeder nochmal nachlesen kann, wie ist es denn jetzt genau. Was muss ich beachten?"
Zu diesem Zeitpunkt war Annabell Pommé erst wenige Tage in ihrer neuen Funktion als stellvertretende Heimleiterin. Seitdem ist die 35-Jährige zur Lösungsfinderin geworden. Erschöpftes Personal musste kurzerhand ersetzt werden. Mitte April gab es Hilfe. 25 externe Kräfte sprangen ein.
"Alleine für das Reinigungspersonal brauchen wir circa 144 Stunden mehr pro Woche - für die Reinigung der Covid-Station und aller Handläufe. Alle Handläufe und Klinken müssen dreimal täglich desinfiziert werden. Das ist natürlich ein enormer Studenaufwand."
Am 20. April zog das Josephsheim die Reißleine. Zu viele Bewohner waren Covid-19-positiv. Innerhalb weniger Tage wurde eine eigene Coronavirus-Station mit 20 Patienten eingerichtet. Der Zugang für die Mitarbeiter ist nur mit Schutzausrüstung inklusive Visier erlaubt.
Aktuell sind elf Personen auf der Covid-Station des Josephsheims. Und es mag paradox klingen: Doch hier geht das Leben ganz normal weiter. Hier können die Bewohner zusammen essen, hier muss niemand auf seinem Zimmer bleiben. "Wir haben auch den großen Luxus, dass wir im Moment viel mehr Zeit für die Leute haben", sagt Krankenpflegerin Manuela Thielen.
"Und die Ruhe, die hier herrscht, herrscht in den anderen Wohnbereichen nicht so, weil da immer diese Angst war. Hier hat keiner mehr Angst, weil ja alle positiv sind. Wir können auch lockerer damit umgehen. Es hört sich komisch an, aber ich glaube, es ist für alle Kollegen das Gleiche."
Dabei ist der Tod ein fast täglicher Begleiter. 22 Menschen hat das Josephsheim durch das Coronavirus verloren. Zu Beginn der Krise war es Angehören verboten, sich selbst bei Sterbenden zu verabschieden.
"Wir hatten Töchter, Söhne und Enkelkinder, die bitterlich weinten am Telefon, und denen wir sagen mussten, das sie nicht kommen dürfen. Da bekomme ich jetzt noch immer Gänsehaut und da weinten wir mit. Das tat uns so leid. Das war ganz tiefe Trauer und Angst", sagt Manuela Thielen. "Wir haben hier schon sehr, sehr viel geweint - wie alle Kollegen im Haus."
"Ich hoffe, dass wir es jetzt überstanden haben. Ich hätte wirklich Angst, wenn noch eine Welle käme. Das wäre wirklich ein Desaster", sagt auch Manuelas Kollege Nicolaï Schmitz.
"Auch die Bewohner sind alle am Limit - durch das Besuchsverbot und den Stress, den sie auch in den anderen Wohnbereichen merken", betont Manuela Thielen. "Ziel ist ja, dass die anderen Wohnbereiche auch langsam alle negativ werden und man dort wieder ein normales Leben führen kann. Aber wenn da jetzt nochmal was kommt, ich glaube, dann verlieren wir noch mehr Bewohner."
Dabei ist die Diagnose "Covid-19-positiv" kein Todesurteil - auch nicht für Betagte. 13 Covid-19-Patienten sind bereits genesen.
Die Covid-Station im Josephsheim ist in zwei Stationen unterteilt: eine für die Infizierten und eine für diejenigen, die Covid-19-positiv waren, als genesen gelten, aber noch eine Woche in Quarantäne müssen. Nur dement veränderte Menschen sind hier zusammen. Sie haben das Virus überstanden. Und können, sofern alles gut läuft, schon bald wieder in ihr gewohntes Umfeld zurück.
"Für gewisse Bewohner war es sehr schlimm. Wir haben da auch bemerkt, dass gewisse in Regression waren", berichtet die Demenzreferentin Patricia Quoibion. "Und sie freuen sich dann wieder, ohne Maske am Tisch zu sitzen, spazieren zu können und zusammen den Tag zu verbringen."
So langsam leert sich die Station. Auch am Dienstag dürfen genesene Bewohner wieder zurück in ihren Wohnbereich. Für die Pfleger ein Gefühl voller Freude. Dem gegenüber steht viel erlebtes Leid. "Ich denke, ich werde eine Zeit brauchen, um zu trauern und um mich wieder zu zentrieren", sagt Patricia Quoibion.
Im Büro warten unterdessen neue Aufgaben auf die stellvertretende Heimleiterin. "Man muss jetzt sehen, wie sich das entwickelt. Das ist was komplett Neues. Das hatten wir noch nicht. Niemand kennt sich damit aus. Das ist eine neue Situation", sagt Annabell Pommé. "Aber jeder Tag zählt. Jeden Tag geben wir hier unser Bestes. Und ich bin mal gespannt, wann es sich entspannt."
Verschwinden wird das Coronavirus in absehbarer Zeit wohl kaum. Somit geht es darum, zu lernen, mit ihm zu leben. Bald wird auch Ursula Leffin wieder in den Esssaal zurückkehren. Doch es wird anders sein: "Es wird mir leid tun, wenn wir bald wieder zusammen frühstücken und zu Abend essen, und da fehlt dann irgendeiner. Aber man darf es nicht zu sehr an sich ran lassen. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Ich weine sehr schnell. Und das bringt mir nichts, wenn ich darüber nachdenke. Dann geht es mir auch schlecht", sagt Ursula Leffin. "Aber es tut mir schon leid. Viele hatten auch eine Vorerkrankung, aber trotzdem: Es kann uns alle treffen. Aber es ist so und es geht."
Doch noch besser wird es gehen, wenn wieder Besuche erlaubt sind. Angehörige wieder sehen, berühren und fühlen dürfen. Dazu wurde ein Besuchszelt eingerichtet. Treffen sind zunächst nur hinter einer Plexiglasscheibe möglich. Doch immerhin: 25 Termine wurde schon vergeben. Das Leben geht weiter.
dop/mg
Hallo, bleibt stark und gesund. Auf Regen folgt auch wieder Sonnenschein. Das mit den Besucherzelt ist eine super Idee. Hoffe ich kann auch mal meine Mutter treffen, wenn die Grenze wieder offen ist. Mein aufrichtiges Beileid gilt denen die einen lieben Verwandten verloren habe. Diese Virus ist heimtückischen. LG an alles im St. Josef. Besonders an Station Heidberg
Danke für diesen eindrucksvollen Bericht !
Er zeigt es deutlicher als die täglichen dürren Statistiken und Grafiken, was Corona wirklich bedeutet.
Er sollte auch denjenigen zu denken geben, die nur ihre kleinen persönlichen Egoismen im Sinn haben oder die von der "relativen Harmlosigkeit" des Virus schreiben.
Vorsicht allerdings vor falschen Erwartungen: "Angehörige wieder sehen, berühren und fühlen dürfen."
Sehen schon, aber berühren und fühlen wird man die Angehörigen wohl kaum dürfen. Das werden Plexiglaswände verhindern.
S. den Artikel im GE: "Seniorenbesuche: Raeren gibt die Richtung vor"
Hallo Liebe Pflegerin und Pflegern, sowie die ganze Personal tätig ins Pflegeheim Sankt Josef in Eupen,..!
Mit wenig Worten, will ich Euch einen Ganz Große Dankeschön ausrichten, wie Ihr alle so gut meine Liebe Freundin, RITA BARDOUL geboren BARTH, Gepflegt und Ihr Beigestanden seid.
HOCHACHTUNG AN EUCH ALLE:.
Mit, HochRespeckte Grüße an Euch
Alle.
Lucie Kuunders.
Was für ein guter Bericht, Respekt!
Besonderen Respekt und von Herzen Dankeschön Euch dem Pflegepersonal!
Eine Bitte an unsere Politiker, lasst es nicht mit einer Dankes Prämie gut sein.
Keine Wahlversprechen, kein Ausschlachten der Covid Situation. Gebt den Pflegern was ihnen schon immer zustand, einen Lohn der ihrerArbeit würdig ist. Politische Parteien, jeder Farbe, sollten zusammen dafür gerade stehen und GEMEINSAM dafür kämpfen.
Sehr geehrter Herr Schleck,
ja, zunächst wird ein Wiedersehen hinter Plexiglasscheiben stattfinden. Das habe ich jetzt im Artikel präzisiert, damit es kein Missverständnis gibt.
Danke für Ihr aufmerksames Augen und Ihre freundlichen Worte.
Beste Grüße,
Simonne Doepgen