Sven Felix Kellerhoff ist Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte bei "Die Welt", hat die Ardennenoffensive immer wieder in Beiträgen thematisiert - zuletzt in dem Artikel "Warum die Alliierten von der Ardennenoffensive überrascht wurden".
Alarmsignale nicht wahrgenommen
Im BRF-Interview sagt Sven Felix Kellerhoff: "Wenn man im Public Record Office, den heutigen National Archives in London nachguckt, gibt es in den entschlüsselten Funksprüchen immer wieder Hinweise, dass gerade im nördlichen Teil der Westfront etwas in Vorbereitung war. Allerdings ist das wie mit allen Hinweisen: Im Nachhinein, wenn man weiß, wie man die Puzzlestücke zusammenlegen muss, erscheint das Bild sehr viel eindeutiger."
Es habe auch warnende Stimmen gegeben. "Aber diese Leute hat man nicht ernst genommen. Man hatte die Wehrmacht und die Waffen-SS seit August vor sich her getrieben. Die Amerikaner hatten dann eine Niederlage im Hürtgenwald erlitten. Man war aber der Überzeugung, dass die deutschen Reserven jetzt eigentlich aufgebraucht sein müssten."
Es waren vor allem Funksprüche der deutschen Luftwaffe, die im britischen Bletchley Park entschlüsselt wurden. Heer und Waffen-SS wahrten die von Adolf Hitler angeordnete Funkstille, indem die wichtigsten Befehle per Kradmelder übermittelt wurden.
Hitlers irrige Annahmen
Dabei fanden auf deutscher Seite große Truppenbewegungen statt. Mehr als 200.000 deutsche Soldaten standen weitaus weniger Alliierten gegenüber. Wie konnte die militärische Operation trotz des Überraschungsmoments und der zahlenmäßigen Überlegenheit dennoch scheitern?
"Hitlers Planung, die er zum Teil gegen seine militärischen Berater durchgesetzt hat, war viel zu optimistisch", erklärt Sven Felix Kellerhoff, "und sie ging von der grundsätzlichen Annahme aus, dass die Amerikaner nur eine kräftige Niederlage erleiden müssten und dann zusammenbrechen würden."
Diese Vorstellung gebe es so bis heute etwa in islamistischen Kreisen, "die der Ansicht sind, die Amerikaner seien schwach und würden zusammenbrechen, sobald sie mal etwas Widerstand zu spüren bekommen. Wir wissen alle, dass das so nicht ist." Hitler habe aber fest damit gerechnet.
Vorbild "Blitzkrieg" 1940
Nach dem Vorbild des "Blitzkriegs" von 1940 wollte er durch die Ardennen vorstoßen, diesmal nicht bis Calais, sondern bis Antwerpen, dem damals wichtigsten Nachschubhafen der Alliierten auf dem europäischen Kontinent. "Er wollte auf diese Weise einerseits Amerikaner und Briten östlich von dieser Linie nach Antwerpen einschließen."
Andererseits habe Hitler darauf gesetzt, dass eine Niederlage der Amerikaner in den USA eine so große Besorgnis um die eigenen Soldaten auslösen würde, dass Präsident Franklin D. Roosevelt gezwungen sein könnte, seinen Kurs zu ändern. "Das war total illusorisch. Das sprach nur von absoluter Unkenntnis des Landes."
Offensive bleibt stecken
Wehrmacht und Waffen-SS hatten alle Reserven in die Ardennenoffensive gesteckt, mussten aber wegen des geplanten schnellen Vormarsches damit rechnen, Treibstofflager der Amerikaner zu erobern, um ihre Panzer aufzutanken. "So kann eine Offensive nicht wirklich funktionieren", argumentiert Kellerhoff, "wenn man mit Reserven des Gegners rechnen muss, um die selbstgesteckten Ziele zu erreichen."
Hinzu kam, dass die wegen der absoluten Luftüberlegenheit der Alliierten genutzte Schlechtwetterperiode zu Ende ging und es aufklarte. "Binnen einer Woche war die Offensive festgefahren, waren die Panzerspitzen zerschlagen und hatte sich gezeigt, dass das ganze Grundkonzept verfehlt war."
Die Kampfhandlungen dauerten dann noch bis weit in den Januar 1945 an. "Aber die Offensive hatte ihre Dynamik verloren. Wenn diese Dynamik gebrochen wird, dann entwickeln sich Stellungskämpfe und genau das ist bei der Ardennenoffensive der Fall gewesen. Wenn eine Offensive ihre Dynamik verloren hat, lässt sie sich kaum mehr aufnehmen, vor allem wenn die Nachschubverhältnisse so sind, wie sie Ende 1944, Anfang 1945 waren."
Stephan Pesch