Die Nazi-Herrschaft endete vor 75 Jahren in Belgien. Das ist Anlass für Eastbelgica, daran mit einer großen Veranstaltung zu erinnern. Doch kann man einen Krieg künstlerisch und musikalisch darstellen? Eastbelgica hatte dies schon letztes Jahr zum Ende des Ersten Weltkrieges mit "Eine Mohnblume für den Frieden" bewiesen.
Jetzt im September starten die ersten Veranstaltungen zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Zum Abschluss im Mai 2020 hat Simen Van Meensel etwas Besonderes geplant. "Im Mai bringen wir verschiedene Vereine, Theater, Chöre und Orchester aus Deutschland und Belgien zusammen, aber auch verschiedene Einzelpersonen", erklärt Van Meensel. "Jeder kann mitmachen und wir stellen die Thematik des Zweiten Weltkrieges als Musical auf die Beine."
Es wird also etwas anders als die Mohnblume. Doch warum erst im Mai, wo doch die Alliierten schon im September in Eupen ankamen? Warum das so ist, erklärt der Historiker Herbert Ruland, denn der September war erst ein Anfang, aber noch nicht das Ende für alle. "Der September vor exakt 75 Jahren ist der Anfang der Befreiung in Eupen", erklärt Ruland. "Aber es kommen ja noch etliche Monate bis zum Mai, wo der Krieg noch andauert. Für die Eupener war es etwas anderes als für jemanden im Inneren von Belgien. Da war man wirklich befreit. Hier hatte man noch die Söhne in der Armee, aber man bekam ja keine Post mehr."
Keine Post, die ankam, oder sie ging im Krieg verloren, aber geschrieben haben die Soldaten schon. Simen Van Meensel hat einen richtigen Schatz gefunden: einen kompletten Satz Briefe. Eine Besonderheit, "weil es wirklich der Soldat an der Front war, der seine Mutter sofort am Anfang gebeten hatte, alle Briefe zu verwahren", erklärt Van Meensel. "Er schreibt sogar wirklich ausdrücklich: 'Es wird eine schöne Erinnerung'. Dieser Satz steht in einem seiner ersten Briefe. Und auch er, der jahrelang unterwegs war an der Front, am Ende auch noch in Brüssel im Gefängnis gelandet ist, weil er an deutscher Seite kämpfen musste, hat die Briefe die ganze Zeit bei sich behalten. Egal wo er stationiert war, er hat sie immer mitgenommen und verwahrt. Und so gibt es eigentlich eine komplette Briefsammlung, die wirklich die ganze Zeitspanne des Krieges übergreift."
Diese Briefe eines Zeitzeugen geben dem Musical die authentische Grundlage, denn Van Meensel will die Menschen in die Geschichte hineinziehen, in eine echte Geschichte. "Die Leute müssen mitgezogen werden in ein Einzelschicksal - ein echtes Einzelschicksal, weil wir die authentische Briefsammlung eines Eupener Soldaten als roten Faden durch den Abend nutzen möchten -, um sie in einer beeindruckenden, teilweise auch emotionalen Produktion etwas näher zur Geschichte zu bringen, so dass man auch Leute erreicht, die vielleicht jetzt weniger Zugang zur Geschichte haben."
Geschichte, die 75 Jahre alt ist, das ist lange her. Aber warum hält er als junger Mensch das für wichtig, warum interessiert ihn das? Es gibt zwei Antworten darauf. Eine persönliche von Simen Van Meensel: "Ich finde es faszinierend, weil dieser besagte Soldat 19 war, als er in die Wehrmacht zog. Das war 1942 und er war genauso alt wie ich jetzt, als er zurückkam aus dem Krieg. Er hat in meinem Alter ganz andere Sachen erlebt und ganz andere Sachen gesehen, die wir uns in der heutigen Generation gar nicht vorstellen können. Das ist eine spannende Herausforderung: das Leben eines Altersgenossen, aber eine ganz andere Situation, hier auf einem Abend umzusetzen."
Eine zweite Antwort führt der Ministerpräsident Oliver Paasch, Schirmherr des Projektes, vor allem aufgrund des aktuellen politischen Geschehens an: "Wir erleben überall auf diesem Planeten, dass Rechtspopulisten und Rechtsextremisten Fahrt aufnehmen, an den Grundfesten der Demokratie wackeln und rütteln und glauben, dass die Probleme der Menschheit über Hass, Isolierung und Ausgrenzung gelöst werden können, was natürlich völlig falsch ist."
Auf Van Meensel und seine Mitstreiter kommt eine Menge Arbeit zu, um an diese Vergangenheit zu erinnern. "Die größte Herausforderung ist momentan, diesen ganzen Inhalt zu stemmen, die ganzen Briefe zu lesen, aber auch das ganze Drumherum. Wir möchten auch versuchen, einen Teil der Musik selber zu schreiben, damit sie wirklich komplett zu diesem Werk passt", so Van Meensel. "Ich glaube, die Schwierigkeit ist aber vor allem, die 1.500 Dokumente zu lesen."
Das Musical über den Krieg soll eine Friedensbotschaft werden. 60 Millionen Menschen sind gestorben in den Bombennächten, an der Front oder in den Konzentrationslagern. Eastbelgica will ein Zeichen des Friedens setzen - und das grenzüberschreitend.
Wer bei der großen Abschlussveranstaltung von Eastbelgica im Mai 2020 mitmachen möchte als Schauspieler, Sänger, Musiker oder Statist, kann sich selber einbringen. Die Proben für die sechs geplanten Aufführungen beginnen im Januar. Unter 1945eupen.be können sich Interessierte anmelden und informieren.
Katja Engel