Filmreif ist die Geschichte. Und ein Albtraum zugleich. Sogar die flämischen Zeitungen machen am Mittwoch damit auf. Begonnen hatte alles am Dienstagabend vergangener Woche. Marie Bastide, die ihre Freude einfach nur "Corine" nennen, ist spät abends noch mit ihrem Wagen unterwegs nach Wanze in der Nähe von Lüttich, wo sie mit ihrer Familie wohnt. Sie tankt noch in Awans. Das ist das letzte Lebenszeichen der 45-Jährigen. Danach ist sie wie vom Erdboden verschluckt.
Ihre Angehörigen beginnen schnell, sich Sorgen zu machen. Die Polizei wird verständigt. Überall wird nach Marie Bastide gesucht. Nichts...
"Wir wussten lediglich, dass sich ihr Handy ein letztes Mal in Saint-Georges-sur-Meuse eingeloggt hatte. Das war letzten Mittwochmorgen", sagte ihr Sohn Hadrien in der RTBF. "Und danach: Kein Lebenszeichen mehr. Wir waren regelrecht verloren."
Die Familie setzt alle Hebel in Bewegung. Über soziale Netzwerke wird Alarm geschlagen, Suchplakate werden gedruckt. Die Woche zieht ins Land. Marie bleibt verschwunden.
Bremsen versagt
Bis Montag. Zwei Bekannte sind unterwegs, um besagte Suchplakate aufzuhängen. An einem Kreisverkehr in Saint-Georges, direkt an der Autobahn, schaut die Beifahrerin eher beiläufig in die Straßenböschung. Und da, inmitten der dichten Bäume, sieht sie plötzlich Autoreifen. "Wären wir nicht mit dem Pickup unterwegs gewesen, in dem man ja höher sitzt, ich hätte das Wrack des Wagens nie gesehen", sagt Laurence in der Zeitung Het Nieuwsblad. Sofort halten sie an und sehen nach dem Rechten. Und, in der Tat: Da unten liegt der Wagen von Marie.
Sechs Tage muss sie da gelegen haben. "Was mögen sie da vorfinden?", fragen sich wohl die beiden. Doch kaum nähern sie sich der Unfallstelle, da hören sie schon Hilferufe. Marie ist am Leben!
Und sie kann auch ihren Rettern noch erzählen, was passiert ist. "Die Bremsen ihres Autos haben versagt", so schildert ihr Lebensgefährte Daniel Bartholomé den Unfallhergang. Sie habe nichts machen können. Dann gab's einen großen Knall. Nur: Sie war eingeklemmt. Und sie war verletzt. Bewegen konnte sie sich nicht. Ihr Handy erreichen auch nicht. Sie habe ständig um Hilfe gerufen, aber niemand konnte sie hören. Sie sei am Rande der Verzweiflung gewesen. Aber: Auch nach sechs Tagen sei sie noch bei Bewusstsein gewesen. Zum Glück hat man sie dann doch noch gefunden.
"Zum Glück", das kann man wohl sagen. Denn, wir erinnern uns: In der vergangenen Woche ächzte das Land unter einer Hitzewelle. Die höchsten Temperaturen aller Zeiten wurden gemessen. Und Marie Bastide war verletzt in ihrem Auto gefangen. Nun, zum Glück lag die Unfallstelle im Schatten, sagt Daniel Bartholomé. Dennoch: Mittwoch und Donnerstag sei die Hitze furchtbar gewesen. Zum Glück waren die Fenster kaputt. So habe sie atmen können.
Regenwasser getrunken
Und nach der Hitzewelle kam dann - auch wieder zum Glück - der Regen. Das Auto sei fast schon überschwemmt worden. Sie habe dann - trotz ihrer Verletzungen - ein bisschen Regenwasser trinken können. Das hat sie gerettet. Denn, wenn ein Mensch auch mitunter mehrere Wochen ohne Essen überleben kann, ohne Flüssigkeitsaufnahme geht es nicht. Zumindest nicht sechs Tage.
Doch bleibt die Geschichte von Marie außergewöhnlich. "Neun von zehn Menschen überleben so etwas nicht", sind sich Experten einig. Möglich sei, dass ihr Körper seinen Energieverbrauch heruntergefahren habe, sagte der Notfallmediziner Lucien Bodson in der RTBF. Marie habe sich ja nicht mehr bewegen können. Der Organismus habe quasi auf "Hungerstoffwechsel" umgeschaltet, was also dazu führt, dass der Körper mit seiner Energie haushaltet. Dennoch: Da waren mindestens zwei Schutzengel im Spiel.
Marie Bastide ist inzwischen über dem Berg. Sie hatte doch schwere Verletzungen davongetragen. Sofort, nachdem man sie gefunden hatte, wurde sie per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht, wo sie notoperiert wurde. Unter anderem an der Halswirbelsäule. Sie ist zwar außer Lebensgefahr; Folgeschäden seien aber nicht auszuschließen.
Aber: Sie lebt. Überlebt hat sie, wie einige Zeitungen schreiben, durch Willenskraft, Regenwasser und sehr viel Zufall.
Roger Pint