Der 15. Juli 1949 war in Prüm ein ganz normaler Sommertag. Josef Hahn war damals elf Jahre alt. Zusammen mit einigen Altersgenossen hatte er Fußball gespielt und dabei die Zeit vergessen. Am frühen Abend befand er sich mit den anderen auf dem Nachhauseweg. "Wir merkten, dass irgendeine Unruhe in der Stadt war", erzählt Hahn. "Es hieß: 'Der Kalvarienberg brennt'. 'Der brennt?' Da müssen wir hin", dachten sich Josef Hahn und die anderen Jungs. Auf halbem Weg stellte sich ihnen aber ein Polizist in den Weg: "'Wo wollt ihr denn hin?' 'Zum Kalvarienberg.' 'Guckt ihr wohl, dass ihr nach Hause kommt!'"
Die örtliche Gendarmerie hatte schon bei den ersten Anzeichen eines Brandes in den mit Sprengstoff gefüllten Stollen den Zugang gesperrt (im Übrigen auch für die Feuerwehr) und die Bevölkerung von Prüm nachdrücklich aufgefordert, das Städtchen zu verlassen. So traf Josef Hahn zu Hause keinen mehr an. "Meine Eltern waren schon in den Nachbarort Dausfeld 'evakuiert' worden, weil eine Gefahr auf die Leute zukam."
Dorthin sollten Josef Hahn und die anderen auch. Sie stiegen aber erst auf einen Höhenzug, der dem Kalvarienberg genau gegenüberliegt und beste Sicht auf das bot, was nun - unter lautem Grollen - geschah. "Wir sahen wie der Kalvarienberg sich öffnete. Eine Sekunde später fiel er wieder in sich zusammen und dann kam die große Explosion", erinnert sich Hahn.
Eine riesige Staubwolke bewegte sich über die Stadt und verdunkelte sie an diesem frühen Sommerabend. In 20 Kilometern Entfernung wurde auch der fünfjährige Erich Reichertz auf das Geschehen aufmerksam. "Mein Vater wurde auf die Straße gerufen: 'Hast Du auch diesen Donner gehört?' und er zeigte dann in Richtung Prüm. Da war der ganze Himmel rosarot. Das war der Staub von der Explosion, das Gestein hat eine rötliche Färbung. Und die konnte man am Himmel sehen."
Diese Farbe stach Erich Reichertz wieder ins Auge, als er später mit seinem Vater die Stadt Prüm besuchte. "Der rosa Staub hatte sich überall niedergelegt. Die ganze Stadt war rosa. Und der Berg selbst, obwohl wir mitten im Sommer waren, hatte nichts Grünes, die Bäume standen nur noch wie Gerippe da. Das war irgendwie schaurig, aber als Kind hat man gedacht: 'Naja, ist was Schlimmes passiert', aber man konnte das alles nicht so richtig einschätzen."
Zwölf Menschen kamen bei der Explosion ums Leben: "Polizisten, die näher dran waren, und Einwohner, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten oder vermutlich noch etwas im Haus holen wollten", so Reinertz.
Es gab 60 Verletzte. Nach dem Krieg war die Stadt noch im Aufbau, in Sekunden wurden über 200 Häuser zerstört, viele Menschen wurden obdachlos. Angesichts dessen, was hätte passieren können, konnten sich die Prümer aber noch glücklich schätzen. "Wenn das passiert wäre, wenn wir alle abends zu Hause waren oder nachts hatte es nicht 'nur' zwölf, sondern Hunderte Tote gegeben", sagt Josef Hahn aus eigener Anschauung. "Als wir zurückkamen in unsere Wohnung, fand ich auf Höhe des Kopfkissens einen riesigen Stein", erinnert sich Hahn.
Angesichts der großen Mengen an Sprengstoff, die von der französischen Besatzungsmacht in den Stollen- und Bunkeranlagen auf dem Kalvarienberg gelagert waren, hatten die Prümer schon länger ein mulmiges Gefühl. "Die Munition, die man fand, und der Sprengstoff, der für die Sprengung der Westwallbunker vorgesehen war, hat man mit Lastwagen hochgefahren, einer nach dem anderen", erzählt Reichertz. "Die Prümer, so habe ich gehört, sagten sich: 'Was kann das werden, wenn es mal brennt da oben. Dann sind wir verloren.'"
Schon bald kam unter den Prümern der Verdacht auf, dass die Explosion nicht zufällig entstanden ist. Aufgefallen war ihnen, dass die Stollen von einem Ungarn und einem Kroaten bewacht wurden. "Die waren nicht mehr da und es sickerte durch: 'Die sind schon auf einem Schiff nach Australien.' Sie wurden nie mehr in Prüm gesehen", weiß Reichertz. "Alle Versuche, auch der Staatsanwaltschaft, von den Franzosen zu erfahren: 'Was ist da gelaufen? Habt ihr Unterlagen?' wurden nicht beantwortet. Bis heute ist das so."
Der Verdacht, es könne sich um Sabotage gehandelt haben, wurde also weder bestätigt noch widerlegt, was der französischen Informationspolitik geschuldet ist. "Die Franzosen hatten zwei Millionen Mark zugesagt, unter der Bedingung, dass niemals nach dem Grund für diesen Brand und die Explosion geforscht würde", erklärt Reichertz.
Die Explosionskatastrophe vom 15. Juli 1949 in Prüm sorgte nicht nur im Nachkriegsdeutschland für großes Aufsehen und Anteilnahme. "Sogar die gerade gegründete Illustrierte 'Stern' schrieb über 'Die Hölle von Prüm'", erinnert sich Reichertz. "Überall gab es Mitleid, da wurde sofort geholfen. Der Vatikan hat Spenden geschickt, alle Orte rund herum wollten helfen, sogar Schulkinder haben Kleidungsstücke gesammelt und nach Prüm geschickt. Die Hilfsbereitschaft war wunderbar."
Der Kalvarienberg ist längst wieder grün, der Explosionskrater, der zunächst an eine Mondlandschaft erinnerte, ist von Bäumen und Sträuchern bewachsen. Bei einem Spaziergang gleich neben dem Prümer Sankt-Joseph-Krankenhaus kann man ihn aber gut sehen. Und selbst vom Hahnplatz aus, kann man eine Delle im Kalvarienberg erkennen, sagt Erich Reichertz, der sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte der Explosionskatastrophe auseinandersetzt und für den Geschichtsverein Prümer Land eine Videodokumentation erstellt hat. Am Kraterrand steht ein hohes Kreuz aus Basalt zur Erinnerung an den 15. Juli 1949 und mit der Aufschrift "Diene der Versöhnung und dem Frieden".
Mit einer Gedenkveranstaltung erinnern der Geschichtsverein Prümer Land und die Stadt Prüm am Montagabend an diesen Tag und an die Opfer. Die Veranstaltung beginnt um 19:30 Uhr in der Kapelle des Prümer Konvikts.
Stephan Pesch