Weniger Politiker, mehr regionale Autonomie - so könnte man die Ansichten von Kristof Calvo zusammenfassen. Der Groen-Chef findet: Belgien soll einfacher werden, denn momentan arbeiten in Belgien zu viele politische Einheiten nebeneinander. Und oft auch gegeneinander, so Calvo.
"Im letzten Jahrzehnt gab es eine Reihe Reformen. Das Motto in Belgien lautete: Je mehr Spaltung, desto besser. Damit bin ich nicht einverstanden. Für mich ist das heutige System zu verzettelt. Vier Klimaminister sorgen nicht für weniger CO2-Emissionen, im Gegenteil", kritisiert Calvo.
Calvos Traum: ein nationales Parlament, mit regionalen Kammern. Die Zuständigkeit der DG würde bei diesem Modell der deutschsprachigen Kammer übertragen werden. Konkret beutet das: weg mit dem Senat, weg mit den Provinzen. Gemeinden sollen fusionieren. Im Klartext hieße das: weniger politische Einheiten und weniger Politiker. Die Anzahl Parlamentsmitglieder würde sich bei diesem Modell auf 200 Posten halbieren, sagt Kristof Calvo. Belgien würde einfacher und billiger funktionieren, so seine Idee.
In seinem Buch blickt Calvo aber auch ins Ausland. "Ich versuche im Buch zu erklären, warum Trump zum Präsidenten gewählt wurde, warum für Brexit gestimmt wurde. Meine Antwort lautet: Die Leute stimmen für Populismus, wenn die soziale Ungleichheit und Unsicherheit der Menschen wächst. Es ist immer die Rede von Islam und Migration, aber das größte Problem sind eigentlich soziale Ungerechtigkeit und Verunsicherung", sagt Calvo.
Der flämische Politiker möchte aber nicht nur kritisieren. Das Buch heißt "Leve Politiek", also auf deutsch "Es lebe die Poltik". "Das Buch wirbt vor allen Dingen für Politik. Politik bestimmt jede Minute unseres Lebens. Deswegen möchte ich Leute dazu bewegen, sich politisch zu engagieren", so Calvo.
Anlass dazu bieten dieses Jahr die Gemeindewahlen. Für seine flämische Partei rechnet sich Calvo gute Chancen aus. "Man merkt, dass Groen vielerorts die progressive Alternative wird. Das macht die N-VA nervös, was ich aber als Kompliment betrachte. Unser Ehrgeiz liegt 2018 erstmal bei den Gemeindewahlen, um den Menschen zu zeigen, dass Groen glücklich macht und Menschen zusammenbringt, und um dann 2019 bei den föderalen, regionalen und europäischen Wahlen einen Vorsprung zu haben."
Raffaela Schaus
"Es ist immer die Rede von Islam und Migration, aber das größte Problem sind eigentlich soziale Ungerechtigkeit und Verunsicherung.“
Damit trifft Calvo den Kern sehr gut. Aber genau dieses Thema wird leider immer wieder erfolgreich kleingeredet, bzw. nach spätestens fünf Minuten dreht sich die Debatte wieder um Flüchtlinge/Migranten.
Man führt nicht nur die Debatte falsch, sondern eigentlich die falsche Debatte.
Ich kann meinem Namensvetter nur beipflichten: sobald die brennenden Themen angesprochen werden, gibt es eine Vernebelung sondergleichen mit dem Godwin-Point-Dauerbrenner der Einwanderung.
Dabei fehlt es nicht an ernsteren Problemen in der Welt: Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit, Zustand der (verbleibenden) Demokratien - um nur einige zu nennen...
Daran, werter Herr Kerres, glaube ich mittlerweile nicht mehr.
Zumindest ist es ein Amalgam aus Sozialer Ungerechtigkeit, Verunsicherung (deren Ursachen sehr wohl auch in einer von zahlreichen Menschen beobachteten und empfundenen „Überfremdung“ der Gesellschaft zu finden ist) und den Begleiterscheinungen der Migration, die die Menschen beschäftigt.
Wenn z.B. der Migrantenanteil an bestimmten Schulen bzw. Klassen (auch in der DG) mehr als 50% beträgt und Lehrern, Schulleitern, Eltern und zahlreichen Menschen diese Entwicklung Sorge bereitet oder sie gar ängstigt, sollte man diese Sorgen ernst nehmen. Sollte es uns nicht verunsichern, wenn die Mehrheit der Muslime auch in unserem Land, der Scharia mehr Bedeutung beimessen, als den Gesetzen des Landes, in dem sie leben?
Nimmt man die Sorgen der Menschen nicht ernst, treibt man sie in die Arme populistischer Aufwiegler, die ihr fremdenfeindliches Süppchen kochen.
Die Debatte ist m.E. nicht falsch und sie wird auch nicht falsch geführt.
Sie wird eigentlich gar nicht geführt.
Herr Leonard,
Sie tun es ja jetzt auch, Sie gerissener Schelm, und bestätigen Herrn Hezel und mich prompt.?
Soziale Unsicherheit wird hier von Ihnen in einem halben Satz als Problem anerkannt (so ganz allgemein, halt) und dann landen wir schon bei dem Problem der Migration. Da wird es dann auch direkt recht ausführlich, sammt der Benennung sehr spezifischer Probleme. Damit haben Sie die perfekte Grundlage für eine dieser Debatten geliefert, die wir ständig führen. In der Regel springt dann nämlich jemand auf entsprechenden Signalwörter an und reden nur noch über Migration und Flüchtlinge. Und über islamistischen Terror, natürlich.
Dieses Thema ist einfach das perfekte Thema um von anderen drängenden Problemen abzulenken, wie mir scheint.
Ich „tue es auch“ Herr Kerres, weil ich der Überzeugung bin, dass das Thema der Migration und die in diesem Kontext zu lösenden Probleme, keine Chimären sind, sondern eine zentrale Herausforderung für Politik und Gesellschaft in Europa.
Ich kenne zwar keine aktuelle Umfrage, die dies bestätigt, bin mir aber ziemlich sicher, dass auch die Menschen dieser Frage eine hohe Priorität einräumen.
Ich bin wie sie und Herr Hezel ebenfalls der Meinung, dass es (wie z.Z. im bayrischen Wahlkampf) unzulässig ist, dieses Thema zu instrumentalisieren, zumal mit einer erbärmlichen Rhetorik auf dem Rücken von Flüchtlingen.
Dennoch muss es möglich sein, Fehlentwicklungen im Bereich der Flüchtlings- und Migrationspolitik zu thematisieren und offen zu diskutieren. Nur so lassen sich Vorurteile, Sorgen und Ängste abbauen und Lösungen finden.
Dies wird auch in den 2 konkreten Beispielen m.E. nicht zur Genüge getan.
Folge ist, dass sich auch in unserer beschaulichen Gemeinschaft fremdenfeindliche Tendenzen verstärkt bemerkbar machen. Leider.