Man stelle sich vor, dass es in Tihange einen Super-GAU gibt: Die Folgen für die Region wären katastrophal. Eine Expertenstudie legt sich da eindeutig fest. Darin beschäftigten sich die Wissenschaftler in erster Linie mit den Auswirkungen eines Versagens des Reaktordruckbehälters Tihange 2 auf die Region. Eine Kontamination sei demnach sehr wahrscheinlich. Und: Die Strahlendosis würde bei einer ungünstigen Wetterlage sogar den Grenzwert erreichen, der 1986 beim Reaktorunfall in Tschernobyl zur Evakuierung der Region dort führte.
Rechtzeitige Evakuierung unmöglich
Der Wiener Professor Wolfgang Renneberg, der die Ergebnisse der umfangreichen Untersuchungen am Donnerstag auf einer Sitzung des Städteregionstages in Aachen vorstellte, fasste die wichtigsten Erkenntnisse zusammen. "Wenn ein großer Unfall in Tihange geschieht - wenn der Reaktorbehälter kaputt geht -, dann wird die Region Aachen mit einer Wahrscheinlichkeit von zehn Prozent unbewohnbar werden. Es gibt natürlich auch weniger gravierende Szenarien, aber die Szenarien führen dazu, dass es eine radioaktive Belastung gibt, die man so weit wie möglich minimieren muss. Eine Vielzahl von Katastrophenschutzmaßnahmen würden notwendig werden."
Bei einer denkbar ungünstigen Wetterlage wäre die Region also mit einer zehnprozentigen Wahrscheinlichkeit unbewohnbar und auch bei weniger gravierenden Szenarien käme es zu einer nachhaltigen Kontaminierung. Sicher ist dabei nach Ansicht der Wissenschaftler von der Universität Wien, dass aufgrund der kurzen Vorwarnzeit keine rechtzeitige Evakuierung vor dem Eintreffen der radioaktiven Wolke möglich sein wird.
Betroffenheitsklage
Auf der Grundlage dieser besorgniserregenden Studie beschloss der Aachener Städteregionstag auf seiner Sitzung am Freitagabend einstimmig, eine sogenannte Betroffenheitsklage in Belgien einzureichen. Städteregionsrat Helmut Etschenberg, Initiator der Studie, kündigte außerdem eine weitere Klage gegen Tihange 2 an.
"Die erste Klage ist eine rein formal-juristische, um zu klären, ob die Genehmigung zum Wiederanfahren von Tihange 2 nach belgischen Recht korrekt erfolgt ist. Bei der zweiten Klage vor einem Zivilgericht in Brüssel geht es um Betroffenheit. Die persönliche Betroffenheit kann man nur nachweisen,wenn man auch belegen kann, dass diese Situation für Leib und Leben gefährdend ist. Dafür haben wir diese Studie in Auftrag gegeben, weil sie es einem Gericht ermöglicht, auf einer seriösen wissenschaftlichen Basis die Einschätzung nachvollziehen zu können, warum wir uns Sorgen machen und betroffen sind", erklärt er.
Im BRF-Interview bot Städteregionsrat Helmut Etschenberg außerdem an, die Ergebnisse des Gutachtens auch in Eupen vorzustellen.
rs/mg - Bild: Eric Lalmand/BELGA