Mehr als zwei Wochen stehen die Streikposten mittlerweile vor den Gefängnissen in der Wallonie und in Brüssel. Seit Jahren trifft in den Haftanstalten Überbelegung in den Zellen auf fehlendes Personal und eine hoffnungslos veraltete Infrastruktur. Die Rationalisierung ist das Hauptproblem, aber nicht das Einzige.
Vielen Wärtern geht es auch darum, dass die schwierigen Bedingungen, unter denen das sie arbeiten, besser honoriert werden und sie sind sich einig, diesmal erst nachzugeben, wenn eine langfristige Lösung auf dem Verhandlungstisch liegt. "Jemand wird nachgeben müssen, und wir werden das nicht sein", sagt ein Streikposten. "Der Streik ist eine große, finanzielle Belastung. Auch wir müssen unsere Familien ernähren und unsere Rechnungen bezahlen."
Die Verhandlungen zwischen dem föderalen Justizminister Koen Geens und den Gewerkschaften sind derzeit in einer Sackgasse. Justizminister Koen Geens hat jetzt schon den budgetären Rahmen für die Gefängnisse überschritten. Dabei wird die Krise ohne zusätzliche Mittel wohl nicht zu lösen sein.
Rechtsanwalt Kittel: "Situation auf Dauer explosiv"
In den Gefängnissen selbst wird die Situation unterdessen immer prekärer. Sogar der Europarat macht sich inzwischen Sorgen um die Einhaltung der Menschenrechte, genau wie viele Anwälte und andere Organisationen im Land.
"Ich befürchte, dass diese Situation auf die Dauer explosiv wird, denn die Gefangenen haben natürlich nicht mehr die Möglichkeit selbst nach draußen zu gehen an die frische Luft oder dergleichen. Essen wird teilweise nur noch einmal am Tag geliefert, die Wäsche wird nicht gewechselt. Ich befürchte, dass sich da früher oder später etwas zusammenbraut und das außer Kontrolle gerät, wenn die Situation bleibt, wie sie jetzt ist - und die Sache ist für die Gefangenen natürlich unmenschlich", erklärt Rechtsanwalt Axel Kittel.
Die einzige Lösung, die man bisher gefunden hat, ist, Soldaten zum Dienst zu verpflichten. 120 Soldaten wurden am Mittwoch wieder in die französischsprachigen Gefängnisse entsandt. "Die Armee soll die Polizisten und Wärter unterstützen, die noch da sind. Im Moment ist jedes Mittel recht, um Sicherheit und Menschenwürde da innen wieder herzustellen", erklärt Vincent Spronck, Direktor des Gefängnisses von Forest.
Doch auch bei der Armee läuft das Personal langsam auf Grundeis. Auch hier fehlen Mittel, und auch hier ist man uneins, ob es überhaupt die Aufgabe der Soldaten ist, Dienst in den Gefängnissen zu verrichten. Ganz zu schweigen von den Protesten der Wärter, die ihren Standpunkt durch den Einsatz des Militärs bedroht sehen.
Justizsystem stockt: Rückstau bei Gericht zu erwarten
Unter der Situation leiden aber nicht nicht die Insassen, mittlerweile stockt das gesamte Justizsystem unter dem Streik der Gefängniswärter. Die föderale Polizei muss die Transporte der Gefangenen zu den Verhandlungen übernehmen, weshalb viele Prozesse vertagt werden müssen. Und auch die Verteidigungsrechte der Angeklagten werden nicht gewahrt.
"In Brüssel und Lüttich werden momentan massig Sitzungen abgesagt, weil die Gefangenen einfach nicht da sein können und weil die Anwälte sich teilweise auch weigern - was verständlich ist - ihre Mandanten vor dem Strafgericht zu vertreten. Denn beim Strafgericht ist es doch wichtig, dass die Mandanten selbst anwesend sind. Dass jetzt eine ganze Reihe von Angelegenheiten nicht geregelt werden können, führt natürlich auch wieder zu einem Rückstau bei Gericht", erklärt Rechtsanwalt Axel Kittel.
Sollte die Situation sich nicht entspannen, überlegt die Kammer der deutsch-und französischsprachigen Rechtsanwälte selbst Klage gegen den Belgischen Staat einzureichen.
Am Mittwochabend trifft Justizminister Geens erneut mit den Gefängnisdirektoren zusammen. Dann sollen konkrete Entscheidungen getroffen werden, um die Situation der Häftlinge zu verbessern. Rund 100 Gefängniswärter sind außerdem am Mittwochnachmittag vom Bürgermeister von Mons, Elio Di Rupo, empfangen worden, um ihre Forderungen vorzutragen. Di Rupo sagte ihnen seine Unterstützung zu.
ake/mg - Bild: Nicolas Lambert (belga)
Normal ist das nicht! Belgium = failed state?
Die dem Herrn Di Rupo seitens der Gefängniswärter vorgetragenen Probleme sind nicht neu. Vielleicht sollte dieser gescheiterte belgische Erstminister mal überlegen, was unter seiner Verantwortung in der vorherigen Regierung alles in diesem Bereich schief gelaufen ist. Er hätte z.B. zusätzliche Gefangnisse bauen können, zusätzliche Beamten einstellen können ... und noch so einiges mehr.
Wieso werden die Gefängniswärter und deren Gewerkschaften nicht auch als inhuman und unverantwortlich bezeichnet? Sie nehmen die Gefangenen als Geiseln und die Medien spielen das Drama "enthusiastisch" mit ! Und der Staat, dem Recht und Ordnung als wesentliche Aufgabe obliegt, hat wirklich sehr schlechte Karten. Ein Minimumdienst in solch einem wichtigen Sektor des öffentlichen Lebens wäre m.E. das mindeste. Selbst dann bliebe den Gewerkschaften noch genug Spielraum für ihre Forderungen.
All dies soll nichts von den teils gerechtfertigten Forderungen mindern, denn der Staat hat das gesamte Justizwesen ja seit Jahrzehnten fahrlässig "untergehen" lassen. Nun haben wir den Salat. Belgien macht sich z.Z. lächerlich auf sämtlichen Ebenen. Auch aber nicht nur mit der Streikfreudigkeit (heute wieder die Gepäckabfertigung in Zaventhem, als wenn man da nicht mal ein paar Monate Ruhe geben könnte) ! Scheußlicher Druck auf einen "Komapatienten".