Es ist eine Momentaufnahme. Was fühlt der Belgier jetzt, nachdem bei Anschlägen im Flughafen und in der Metro 32 Menschen ums Leben gekommen sind? Durchgeführt wurde die Befragung von der Organisation "Ceci n'est pas une crise", die sich selbst als Think Tank (Ideenschmiede) bezeichnet. Die Umfrage lässt in mehrfacher Hinsicht tief blicken.
Zu erkennen sei in erster Linie eine fortschreitende Polarisierung, eine Spaltung der Gesellschaft, sagt Benoit Scheuer, Soziologe und wissenschaftlicher Verantwortlicher der Umfrage. Erstmal in Bezug auf die Muslime. "Das Denkmuster sieht wie folgt aus: Es gibt uns und es gibt die anderen - die Muslime und eben uns, die Nicht-Muslime."
"Diese Bruchlinie zeigt sich in verschiedenen Antworten der Befragten", sagt Benoit Scheuer. "Zum Beispiel ist die Hälfte die Menschen der Ansicht, dass wir die Grenzen schließen müssen. Das aufgrund einer simplen Gleichung: Flüchtlinge = Muslime = potentielle Terroristen."
Anderes Beispiel: Vier von zehn Befragten seien der Ansicht, dass die muslimische Gemeinschaft in Belgien die Terrorakte gutheißt, quasi unterstützt. Ebenfalls vier von zehn glauben, dass es früher oder später zu einem Bürgerkrieg kommt zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen.
Nun hört man in diesen Tagen ja immer wieder, dass das ja genau das Ziel von IS ist, die verschiedenen Religionsgruppen gegeneinander aufzuhetzen. Und doch haben die Menschen nicht den Eindruck, den Terroristen auf den Leim zu gehen. "Natürlich sagen die meisten Leute, dass sie sich nicht von IS beeinflussen oder manipulieren lassen", sagt Benoit Scheuer. "Und doch tappen sie in die Falle - eben, indem sie ihre Wut auf Muslime lenken. Sie haben einfach nicht das Gefühl, dass sie beeinflusst werden. Sie glauben vielmehr, dass es in ihrem Alltag ausreichend Gründe dafür gibt, Muslimen zu misstrauen."
Wut übertrifft Angst
Andere interessante Erkenntnis: Das beherrschende Gefühl nach den Anschlägen ist nicht so sehr die Angst. Nur einer von fünf Befragten gibt an, dass er jetzt ängstlicher sei als vor den Anschlägen. Viel stärker ausgeprägt sei im Augenblick die Wut der Menschen, sagt Benoit Scheuer. "Wut natürlich in erster Linie auf die Terrororganisation IS, aber auch auf den Staat. Die Bürger werfen den politisch Verantwortlichen die gescheiterte Integrationspolitik vor, nicht nur den derzeitigen Amtsträgern, sondern der Politik insgesamt. Und natürlich auch Wut auf die Muslime."
Nun hat man also zwei Feststellungen: Zunächst das polarisierende Denkmuster, das die Gesellschaft aufspaltet in "uns und die anderen". Und dann eben zugleich das Gefühl, dass der Staat seine Bürger nur unzureichend schützt.
Das sei ein gefährlicher Cocktail, sagt der Soziologe Benoit Scheuer. "Immer mehr Menschen wünschen sich ein 'starkes' Regime; laut Umfrage sind es inzwischen acht von zehn. Und wenn eine Regierung immer nur auf repressive, sekuritäre Maßnahmen setzt, die sich dann doch wieder als unzureichend erweisen, dann wird dieser Wunsch weiter verstärkt."
"Und dann sind wir am Ende auch schnell bei einem Regime, das am Ende Menschen je nach ethnischem Hintergrund systematisch ausgrenzt. Politiker wie Marine Le Pen oder Donald Trump surfen längst auf dieser Welle", sagt der Soziologe.
Positiv sei allerdings, dass viele Menschen der Ansicht sind, dass man neben polizeilichen Maßnahmen auch pädagogische und kulturelle Arbeit leisten muss. Viele Menschen seien sich durchaus darüber im Klaren, dass eine rein repressive Herangehensweise nur die halbe Miete sei.
Roger Pint - Bild: Laurie Dieffembacq/BELGA