"Das war extrem schlimm, schrecklich", sagt ein Mann, der eigentlich von Hause aus abgebrüht sein muss. Olivier Vermylen ist Leiter der Notaufnahme des Brüsseler Brugman-Krankenhauses. Er war in der Metrostation Maelbeek im Einsatz, gehörte zu den ersten, die an den Ort kamen, wo eine Bombe den Metrozug buchstäblich zerfetzt hatte.
Als die Rettungskräfte an der Metrostation ankamen, war die erste Priorität, den Menschen zu helfen, die man dort an den Treppen vorgefunden hat. "Gleich wurde vor Ort eine Art provisorisches Notfall-Lazarett eingerichtet. Wir haben deren zwei aufgebaut, weil es zwei Ausgänge gibt", sagt Olivier Vermylen. Dann wurden die Verletzten auf die drei großen Krankenhäuser in Brüssel und Hospitäler im Umland verteilt. Kriterien waren dabei unter anderem die Art und die Schwere der Verletzungen.
Als die Lage überirdisch einmal stabilisiert war, machte sich eine erste Equipe von Notärzten auf zum eigentlichen Ort des Geschehens. Als sie an dem Metrozug ankamen, in dem die Bombe explodiert war, bot sich den Rettungskräften ein schreckliches Bild. "Ich war zwar noch nie in einem Kriegsgebiet", sagt Olivier Vermylen. "Was wir da gesehen haben, das kannten wir bis dahin nur aus dem Fernsehen."
"Alles lag in Trümmern, es gab keine Fensterscheiben mehr, keine Mauern. Vor einem steht der zerfetzte Metrowaggon, am Boden überall Verletzte, leblose Körper", beschreibt Vermylen. "Erstmal lässt man aber nichts an sich heran. Erstmal sieht man nur die Verletzten, die Menschen, die Hilfe brauchen. Darüber nachdenken, das Ganze verarbeiten, das kann man erst später", sagt der Notfallmediziner.
Lob für die Rettungskräfte
Viel Lob gab es gestern für die Rettungskräfte im Großraum Brüssel. Sofort nach Bekanntwerden der Attentate war der Katastrophenplan ausgerufen worden. Längst hatte man sich auf ein solches Ereignis - eine Katastrophe, die mehrere Orte gleichzeitig trifft - vorbereitet. Der Leiter der Notaufnahme des Brüsseler Erasme-Krankenhauses, Doktor Pierre Mols, zog eine positive Bilanz.
Auf die Verletzten angesprochen, redete Doktor Mols dann Klartext - so, dass es einem kalt den Rücken hinunter läuft. "Ja, wir haben eine Reihe von Schwerstverletzten. Und die sind in einem teilweise sehr schlechten Zustand." Mols stellt den Vergleich mit Paris an. "In Paris gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder man ist gleich tot, oder man überlebt. In Brüssel sieht das anders aus: Die Verletzungen sind so schwer, dass einige Menschen bleibende Schäden behalten werden. Andere werden es vielleicht gar nicht schaffen."
Nagelbomben verursachen schlimme Verletzungen
Das hat wohl unter anderem mit der Art der benutzten Sprengsätze zu tun. Es handelte sich um so genannte Nagelbomben. Der Sprengstoff wird mit Metallstücken vermengt, das sorgt für schreckliche Verletzungen. Einige Medien zeigten ein haarsträubendes Röntgenbild, das eine gut acht Zentimeter lange Schraube in der Lunge eines Patienten zeigt.
"Die Art und die Schwere der Verletzungen sind der Grund dafür, dass die Identifizierung der Opfer so schwierig ist", erklärt Alain Lefèvre, der Chef des Krisenzentrums. Und deswegen sei es leider immer noch unmöglich, eine definitive Opferbilanz zu erstellen.
Weil es immer noch so viele Menschen gibt, die sich nach ihren Angehörigen erkundigen wollen, hat man eigens dafür jetzt einen zentralen Dienst im Militärkrankenhaus von Needer-over-Hembeek eingerichtet. Alle, die Informationen über Opfer erfragen wollen, sollten dort vorstellig werden, und bitte nicht mehr in allen Krankenhäusern anrufen, sagt Lefèvre.
Allein das zeigt das Ausmaß des Leids: Der Blutzoll der Anschläge ist – zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg – ohne Beispiel.
Roger Pint - Bild: Thierry Roge/BELGA