"2015 war ein komplexes Jahr", sagte Premierminister Charles Michel, und produzierte damit vielleicht die Untertreibung des Jahres 2016. Das vergangene Jahr war geprägt von Terrorismus und das teilweise ganz in der Nähe, von der Griechenlandkrise und dann noch vom massiven Zustrom von Flüchtlingen. "Aber die Bürger haben Größe und Würde gezeigt, etwa im Zusammenhang mit der Terrorwarnung im letzten November oder beim Umgang mit der Flüchtlingskrise", betonte der föderale Regierungschef am Donnerstag.
Wir wollen hier aber nichts schönreden, scheint Michel zwischen den Zeilen zu sagen, wenn er betont, dass die Gleichheit von Mann und Frau nie zur Diskussion stehen werde. Dabei mache man auch keinerlei Ausnahmen. Die Ereignisse in Köln zum Jahreswechsel hätten ihn tief geschockt. "Deshalb gilt mehr denn je das Credo: Wer unsere Gastfreundschaft missbraucht, der bekommt keinen Schutz."
Rein innenpolitisch hob Michel zunächst naturgemäß die Arbeit seiner Regierung hervor. Belgien werde wieder zunehmend attraktiv, so der Premier sinngemäß. Bei der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ebenen, sei allerdings noch Luft nach oben, sagt Michel, und scheint da sich auch an die eigene Brust zu klopfen. Er plädiere mehr denn je für einen "Kooperations-", besser noch: einen "Lösungs-Föderalismus".
Arbeit "im Sinne der Bürger", predigt Michel. Und das gelte auch für die EU. "Wir sind nicht taub oder blind", sagt der Premier. "Natürlich sehen wir auch, dass viele Menschen zweifeln, nicht mehr an Europa glauben." Für diese Legitimitätskrise gibt es verschiedene Gründe, sagt Michel. Unter anderem sei es so, dass im Moment eben vieles zusammenfalle: Die Griechenlandkrise habe die Währungsunion bedroht, Terroristen attackierten unsere Werte, die Flüchtlingskrise lasse die Grenzzäune wieder auferstehen. In solchen Momenten müsse Europa wieder Effizienz zeigen und Lösungen präsentieren.
Mehr Europa
König Philippe nahm im Anschluss den Faden auf: Wir erleben beispiellose Veränderungen, sagte das Staatsoberhaupt. Der Klimawandel, die großen Flüchtlingsströme, die neuen Technologien, die eine neue Industrielle Revolution einläuten: All diese Dinge bergen Chancen, aber auch Risiken und sogar Spaltungspotential.
Apropos Flüchtlingskrise: Auch König Philippe fand lobende Worte für den belgischen Umgang mit der Problematik: Solidarität, allerdings mit Rücksicht auf die eigene Aufnahmefähigkeit. Dieses heikle Gleichgewicht muss man beibehalten, gepaart mit dem Willen, zu integrieren und sich selbst zu integrieren.
Angesichts all dieser Herausforderungen sei Zusammenarbeit wichtiger denn je, sagt König Philippe: innerbelgische Kooperation, aber auch auf internationaler Ebene. Und hier sei Europa immer noch unsere wichtigste Trumpfkarte. Insbesondere Belgien sollte alles daransetzen, dem Europäischen Gedanken neues Leben einzuhauchen.
Das Fazit von König Philippe: "Mit Hilfe der Stärke unserer Institutionen, mit mehr Koordination auf allen Ebenen und mit Hilfe der neuen Technologien wird es uns gelingen, die großen Herausforderungen zu meistern und werden wir die Chancen ergreifen können, die sich uns bieten. Die Königin und ich wünschen Ihnen und Ihren Angehörigen viel Glück für das neue Jahr."
Roger Pint - Bilder: Eric Lalmand/BELGA