Nach den "Bröckel-Reaktoren", wie man vor allem im benachbarten Deutschland die belgischen Atommeiler getauft hat, nun also die Bröckel-Tunnel. Die Brüsseler Autotunnel sind im Wesentlichen ein Produkt der 50er Jahre. Damals ging es darum, die Hauptstadt für die Weltausstellung von 1958 herauszuputzen.
Die sogenannte "petite ceinture", die stammt aus dieser Zeit, also die Ringstraße um das Brüsseler Stadtzentrum, die so ein bisschen an eine Achterbahn erinnert, weil es immer nur rauf und runter geht: in die Unterführung rein, wieder raus und dann der nächste Tunnel.
Der Stéphanie-Tunnel, das neuerliche Sorgenkind, dieses Bauwerk wurde 1957 fertiggestellt. Damals hieß es, das Ding sei "für die Ewigkeit", naja schonmal 100 Jahre. Wer es genau wissen will: der Stéphanie-Tunnel verbindet besagte "Ringstraße" mit der Avenue Louise, die den Verkehr dann Richtung Süden abführt. Wie wichtig dieser Stéphanie-Tunnel ist, das verrät eine Zahl: 53.000 Fahrzeuge nutzen diese Verbindung pro Tag.
Experten: Zustand des Stéphanie-Tunnels katastrophal
Und dieser Stéphanie-Tunnel, der fällt jetzt also aus. "Wir hatten keine andere Wahl, als die Unterführung zu schließen", sagte der Brüsseler Mobilitätsminister Pascal Smet in der RTBF. Der Zustand des Bauwerks sei einfach zu schlecht gewesen. Ein "Bröckel-Tunnel", eben. Die Betondecke des Stéphanie-Tunnels ist spröde. Immer wieder fällt auch mal ein Stück runter. "Katastophal" sei der Zustand, sagen Experten.
Die Schließung, das ist eine Sache. Viele Pendler dürften aber fast buchstäblich in Tränen ausgebrochen sein, als bekannt wurde, von welchen Zeitraum man hier ausgeht: ein Jahr, hieß es zunächst, was im Brüsseler Verkehrsdschungel unweigerlich heißt: Ein Jahr Chaos... Für Experten gibt es für das Fiasko eine simple Erklärung: mangelnder Unterhalt. Wer glaube, dass ein Tunnel quasi von alleine 100 Jahre alt wird, der irre sich gewaltig.
Auch Leopold-II-Tunnel ist ein Sorgenkind
Bester Beweis ist das zweite Sorgenkind der "petite ceinture": der "Leopold-II-Tunnel". Der ist stolze zweieinhalb Kilometer lang und "unterquert" quasi das komplette Stadtzentrum im Bereich des Nordbahnhofs. Dieses beeindruckende Bauwerk wurde 1986 eingeweiht. Schon acht Jahre später warnten Experten vor einem "beschleunigten" Alterungsprozess. Durch die Autoabgase wurde der Beton viel zu schnell spröde. Die Metallkonstruktionen darunter begannen zu rosten. "Wir haben regelmäßig davor gewarnt", sagte ein Ingenieur in der RTBF. Nur: passiert sei nichts...
Resultat: auch der Leopold-II-Tunnel musste zwischenzeitlich aus Sicherheitsgründen dicht gemacht werden. Im Moment heißt es, dass man die Probleme vielleicht noch lösen kann, indem man nachts Renovierungsarbeiten vornimmt; tagsüber wäre der Tunnel aber offen.
Probleme auf mangelnden Unterhalt zurückzuführen
Aber zurück zum Stéphanie-Tunnel: Auch hier machen Experten eindeutig mangelnden Unterhalt für die akuten Probleme verantwortlich. "Wer ist schuld?" Wer diese Frage stellt, der landet natürlich zunächst beim zuständigen Mobilitätsminister der Region Brüssel, Pascal Smet. Der verweist erstmal darauf, dass er ja in den letzten 30 Jahren nicht der einzige Zuständige war. Aber, abgesehen davon, sagt Smet: Er habe eigentlich gar keine Lust darauf, dem einen oder dem anderen jetzt den Schwarzen Peter zuzuschieben. "Wir müssen jetzt resolut nach vorne blicken, gucken, wie wir das Problem gelöst bekommen."
In zwei Phasen soll eine Renovierung vollzogen werden. Zunächst will man versuchen, eine Behelfslösung auszuarbeiten: eine Konstruktion, die den Tunnel erstmal absichert. Ob das technisch möglich ist, das entscheide sich in Kürze, sagt Pascal Smet.
Eine Milliarde Euro nötig, um alle Brüsseler Tunnel wieder auf Vordermann zu bringen
In der zweiten Phase steht dann die eigentliche Renovierung an. Da kursiert eine schwindelerregende Zahl: 1 Milliarde Euro. Das würde es anscheinend kosten, alle Brüsseler Tunnels wieder auf Vordermann zu bringen. Angesichts solcher Summen müsse man kreativ sein, sagt Pascal Smet. Man will sich um europäische Fördermittel bemühen, doch sei auch die Einführung einer Benutzungsgebühr kein tabu, sagt Smet. Und auch der Brüsseler Ministerpräsident Rudi Vervoort bestätigt, dass diese Option auf dem Tisch liegt.
Wenn es denn wenigstens eine Alternative gäbe... Viele Pendler sehen die nicht: Der Brüsseler Nahverkehr ist immer noch weit davon entfernt, wirklich effizient zu sein. Und die Brüsseler S-Bahn, der famose RER, der sollte eigentlich schon seit fünf Jahren verkehren, stattdessen wird er aber nach Zeitungsberichten womöglich nie wirklich fertig. Nicht umsonst sprach die Zeitung L'Echo schon von der belgischen "Immobilitätspolitik"...
Roger Pint - Bild: Thierry Roge (belga)
Da kann man doch wirklich nur von staatlichem Versagen sprechen. Genau wie bei der Stromversorgung hat die belgische Politik sich lieber um sich selber gekümmert, wichtiger waren Staatsstrukturen, Kompetenzverteilung, Pöstenschachereien, usw. Steuergeld wurde nicht sinnvoll investiert, sondern in einen aufgeblähten öffentlichen Dienst gesteckt.
Damit so etwas nicht noch mal passiert, wäre eine Privatisierung wirklich die beste Lösung. Besser man zahlt Maut anstatt höhrere Steuern, von denen man nicht weiss, ob sie zweckentfremdet werden.
(AdR: Beim Kommentarschreiber handelt es sich nicht um Marcel Scholzen aus Losheimergraben.)