Wünschenswert wäre jetzt noch, wenn einige der Beteiligten angemessene Lehren daraus ziehen würden.
Eine Woche geprägt von einem starken Signal und einem Zeichen an der Wand... Zunächst die Brüsseler Großkundgebung. 120.000 Teilnehmer waren gekommen, das ist die größte Demo seit dem Weißen Marsch, die größte Gewerkschaftskundgebung sogar seit 1986. Allein das sagt alles. Vor diesem Hintergrund sind jedenfalls Relativierungsversuche, nach dem Motto: "Die übergroße Mehrheit der Menschen hat gearbeitet", ist eine solche Argumentation unlauter. Die Rechnung der Gewerkschaften ist aufgegangen; die Regierung wäre jedenfalls gut beraten, das Signal ernst zu nehmen. Denn es ist eben ein starkes Signal...
Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die Gewerkschaften sollten jedenfalls nicht den Fehler machen, sich jetzt –betrunken von dem Erfolg- zu überschätzen. Erstritten haben sie sich nämlich allenfalls das, was sie eigentlich haben sollten: ein Mitspracherecht.
Alles andere wäre politisch unrealistisch. Oder glaubt jemand allen Ernstes, dass die Regierung ihre Entscheidungen nochmal rückgängig machen kann? Das käme schlicht und einfach einer Bankrotterklärung gleich. Die Anhebung des Rentenalters oder der Indexsprung, das sind zentrale Kapitel des Koalitionsvertrages. Eine Regierung, die solche Kernpunkte ihres Programms zurücknimmt, die kann einpacken, zurücktreten.
Ein Mitspracherecht eben... Es immer noch eine demokratisch legitimierte Regierung, die den zentralen Kurs festlegt. Die Gewerkschaften sollten akzeptieren, dass sie allenfalls auf die Umsetzung der Maßnahmen Einfluss nehmen, soziale Korrekturen anbringen dürfen. So läuft's nunmal. Oder Gegenfrage: Regieren etwa die Gewerkschaften in diesem Land? Sollten die Gewerkschaften das unter Mitspracherecht verstehen, dann muss man ihnen doch wieder die schweigende Mehrheit vor Augen halten: 120.000 das ist zwar viel, aber dann doch wieder gar nicht so viel.
Verallgemeinern gilt nicht! Genauso unehrlich wäre es doch, die Kundgebung pauschal als Gewaltorgie hinzustellen und damit 119.700 friedliche Kundgebungsteilnehmer unfairerweise auf 300 Hooligans zu reduzieren.
In diesem Zusammenhang nur so viel: Szenen wie an der Brüsseler "Porte de Hal", dafür gibt es in einer Demokratie keinen Platz. Umso schlimmer die Feststellung, dass die FGTB einen Moment lang versucht war, die Ausschreitungen zu rechtfertigen: FGBT-Chef Rudi De Leeuw erklärte zunächst, Auslöser sei die "Provokation durch die Ordnungskräfte" gewesen. Wer sich die Bilder anschaut, oder mit Leuten spricht, die vor Ort waren, der kann aber nur zu dem Schluss kommen, dass eine derartige Gewaltexplosion durch nichts zu entschuldigen oder zu rechtfertigen ist. Insofern sollten die Gewerkschaften denn auch so konsequent sein und Mitglieder vor die Türe setzen, die erwiesenermaßen an den Krawallen beteiligt waren...
Wo genau jedenfalls die Regierung nachbessern sollte, das hat ihr im Grunde nicht nur die Straße lautstark zugeflüstert. Ironie des Schicksals, aber noch viel lauter dröhnte am selben Tag die Enthüllung über die großherzogtümliche Steuervermeidung. Journalisten deckten auf, dass Luxemburg Großkonzernen und finanzkräftigen Privatleuten dabei geholfen hat, so gut wie keine Steuern zu zahlen - mit staatlichem Segen. Auf der Liste der Nutznießer stehen auch 26 der größten Einkommen in Belgien. Das war die Faust aufs Auge. Da mussten die 120.000 Demonstranten im Grunde gar nichts mehr sagen...
Zu allem Überfluss ist es auch noch so, dass offensichtlich Bock und Gärtner eine Person sind: Jean-Claude Juncker, der als Luxemburgischer Premier schwerlich nicht davon gewusst haben kann, der soll jetzt als EU-Kommissionspräsident ein "Soziales Europa" zimmern. Ein ganz schlechter Witz, wenn sich die Informationen bewahrheiten...
Ach ja, am selben Tag gab's noch eine Meldung aus diesem Register: Marc Coucke verkauft sein Unternehmen Omega-Pharma und sackt dabei 700 Millionen Euro ein - steuerfrei. Auf Börsenmehrwerten wird in Belgien keine Abgabe erhoben.
Hier liegt der wahre gesellschaftliche Sprengstoff. Diese Meldungen sind für die Regierungen mittelfristig viel bedrohlicher als 120.000 Demonstranten punktuell am Brüsseler Südbahnhof, sind sie doch die perfekte Illustration der berühmten Maxime aus Orwells "Farm der Tiere": "Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher". Eben diesen Vorwurf machen die Gewerkschaften ja auch der Regierung, nach dem Motto: "Der kleine Mann muss bluten, die Reichen kommen ungeschoren davon".
So lange dieser Eindruck im Raum steht, und er steht zu Recht im Raum, solange werden die Gewerkschaften keine Ruhe geben. "Der stärksten Schultern tragen die schwerste Last", so und nur so funktioniert es. Auf die Gefahr hin, dass am Ende mehr als 120.000 Demonstranten auf die Straße gehen - und auch mehr als 300 Hooligans.
Bild: BRF
Die Gewerkschaften haben recht, wenn sie die ungenügende Besteuerung leistungsloser Einnahmen, d.h. Zinsgewinne auf Bankguthaben, Börsengewinne oder Edelmetallgewinne anprangern. Solche Einkünfte müssten mindestens so hoch besteuert werden, wie die Einkünfte durch Arbeitsleistung. Nicht richtig ist allerdings, wenn die Gewerkschaften pauschal fordern, dass "Reichtum" hoch besteuert werden soll, denn oft steckt "Reichtum" in Unternehmensinfrastruktur. Wie man jetzt an den unmoralischen Manipulationen durch die Luxemburger Banken und Behörden sehen kann, ist ein Besteuern von "Reichtum" sowieso ineffektiv, weil der Staat hierbei immer hinterherläuft. Ganz anders sähe es aus, wenn der Staat finanziell wieder souverän würde durch die Rücknahme des Geldschöpfungsmonopols von den Banken! Diese Notwendigkeit, überhaupt das Wissen über unser "Fiat-Geld", haben Gewerkschafter, Arbeitgeber und Politiker aber leider noch nicht im Visier...