Ja, doch! Es kann einem schon Angst und Bange werden in diesem Herbst 2014. Krieg gegen IS, Ukraine-Konflikt, Terrorgefahr, Ebola: Die Welt scheint irgendwie aus den Fugen geraten zu sein.
Speziell im Mittleren Osten ist stellenweise das Licht ausgegangen. Alles, was man gemeinhin mit "Zivilisation" in Verbindung bringt, wird von den IS-Steinzeitislamisten ausgehebelt, jungen Männern, die auf den ersten Blick vielleicht noch wie präpubertäre Halbstarke anmuten, die stolz ihre Kirmesknarren vorführen, hinter denen sich aber Barbaren in Reinform verbergen, für die Religion allenfalls ein Mittel zum Zweck ist.
So aberwitzig ihr Traum eines Kalifats, so verstörend ist aber die Feststellung, dass dieser Traum auch von Menschen geträumt wird, die in unserer Mitte leben. Am Montag begann der Prozess gegen 46 Mitglieder der Islamistenorganisation Sharia4Belgium, die junge Männer in Belgien genau von dieser Vision eines Gottesstaats zu begeistern wussten. Jugendliche, der Inbegriff der Zukunft, Jugendliche engagieren sich für ein archaisches Gesellschaftsmodell, das seine Wurzeln weit in der Vergangenheit hat, im siebten Jahrhundert, ziehen dafür in den Krieg - welch ein tragischer Widersinn!
Ja, man hat Sharia4Belgium unterschätzt, hat sich vielleicht auch hier vom ersten Eindruck blenden lassen, der die Organisation von Fouad Belkacem wie eine Bande von armen Irren erscheinen ließ. Dass es ausgerechnet diese vermeintlichen Witzbolde waren, die offensichtlich in erheblichem Maße dazu beigetragen haben, dass Belgien überproportional viele Syrienkämpfer stellt, diese späte Erkenntnis hat buchstäblich für ein böses Erwachen gesorgt.
Und wie bei einer Rückkopplung wird der gellende Misston nur noch lauter und lauter. "IS und Al Kaida drohen Belgien mit Vergeltung"; "Dschihadisten arbeiteten am Brussels Airport"; "Dschihadisten-Camp in Ostbelgien", Schlagzeilen quasi im Minutentakt, die wie der Beginn einer Hysterie anmuten.
Da bleibt nur noch eins: die Notbremse!
Die Gefahr ist groß, dass wir alle zu Geiseln der Angst werden. Angst ist bekanntermaßen ein schlechter Ratgeber. Angst lähmt nicht nur Gesellschaften, sie bringt sie auf Dauer auf Abwege. Oft war in erster Linie Angst im Spiel, wenn sich Staaten auf verheerende politische Experimente eingelassen haben - Angst vor dem Unbekannten, Angst vor der Zukunft. Angst kann Menschen dazu bringen, für die Illusion von Sicherheit Freiheiten zu opfern. Angst kann Politiker dazu bringen, populistische Schnapsideen in die Welt zu setzen, wie etwa den Vorschlag, Dschihadisten die Staatsangehörigkeit abzuerkennen.
Und vor allem: Angst generiert auf Dauer zwangsläufig nur eins: Hass.
Vorsicht! Hier geht es bestimmt nicht darum, ein Risiko kleinzureden, das zweifelsohne besteht. Trauriger Beweis ist der Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel vom 24. Mai dieses Jahres. Man muss aber die Kirche im Dorf lassen.
Beispiel: Auf Belgiens Straßen starben im vergangenen Jahr 720 Menschen. Wer jetzt entgegnet, dass dies ein schamloser Vergleich sei, der noch dazu hinke, der sollte sich bitte mal vor Augen halten, dass ein Tod im Straßenverkehr eher selten mit Schicksal zu tun hat, sondern viel zu oft mit dem unverantwortlichen Verhalten eines Beteiligten.
Das alles nur um zu sagen, dass die Wahrheit eben doch in der Mitte liegt: Natürlich gilt es, wachsam zu sein, Radikalismus zu bekämpfen, Rattenfänger und potentielle Dschihadisten unschädlich zu machen. Natürlich müssen die politisch Verantwortlichen und die Sicherheitsdienste alles tun, was ein demokratischer Rechtstaat hergibt, um die Bürger zu schützen, wenn nötig auch mit der vollen Härte des Gesetzes.
Keine Angst der Welt darf aber dazu führen, dass wir uns unser Leben zur Hölle machen. Keine Angst der Welt darf uns am Ende dazu bringen, unsere Grundwerte aufzugeben, etwa ganze Bevölkerungsgruppen pauschal auszugrenzen und in moralische Sippenhaft zu nehmen.
Das würde nämlich letztlich nur dazu führen, dass sich auch die westlichen Gesellschaften von dem entfernen, was man Zivilisation nennt. Diesen Sieg sollte man einem Haufen wirrköpfiger Barbaren und gottloser Gotteskrieger nicht gönnen. Nicht umsonst heißt es schon in Max Frischs Drama "Biedermann und die Brandstifter": "Blinder als blind ist der Ängstliche."
So so - Dschihadisten die Staatsbürgerschaft abzuerkennen sei eine populistische Schnapsidee meint Roger Pint!
Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière ist bisher noch nicht als Populist aufgefallen, sondern eher ein Politiker der besonnenen Art. Und genau dieser Thomas de Maizière fordert jetzt genau das!
Das heisst nichts anderes als - die Hütte brennt! Willkommen in der Realität!
Ich bin froh wenn die Schnapsideen von den Journalisten mit der rosaroten Brille anstatt von den Politikern kommen und hoffe das auch der zukünfige belgische Innenminister dem Terrorismus eine klare Kante zeigt.
Das viele junge Muslime aus Belgien oder Deutschland zu IS Kämpfer werden liegt nicht an der Perspektivlosigkeit der hier lebenden Muslime, wie Herr Pint in einem anderen Kommentar schrieb. Es liegt doch daran, dass die Warnungen vor dem radikalen Islam jahrelang ignoriert wurden. Jahrelang konnten muslimische Hassprediger ungestört in westeuropäischen Moscheen ihr Unwesen treiben. Muslime waren hier immer Opfer, nie Täter. Leider lehnen die Vertreter der Muslime den IS zu spät und zu undeutig ab.
Das einzige "Glück", das wir haben, ist das die Islamisten in unzählige Gruppen und Konfessionen gespalten sind. Der Syrien-Konflikt ist in erster Linie ein Konflikt zwischen Moslems (Sunniten gegen Schiiten), eine Fortsetzung eines schon lange existierenden Konfliktes. Und von dieser Zersplitterung könnte man profitieren, indem man eine Teile-und-Herrsche-Politik betreibt. Man muss die Gemässigten, die vermutlich in der Überzahl sind, gegen die Radikalen unterstützen etwa nach den Motto "der Feind meines Feindes ist mein Freund".