Die mögliche vorzeitige Haftentlassung von Michelle Martin, der Ex-Frau und Komplizin von Marc Dutroux, sorgt nach wie vor für Empörung. Am Freitagmorgen versammelten sich etwa 500 Menschen in Malonne, um gegen die geplante Aufnahme von Martin in einem örtlichen Kloster zu protestieren. Es war die erste einer ganzen Reihe von Kundgebungen, die in Malonne angekündigt sind.
Diese Geschichte zeigt, wie ein Gericht richtig entscheiden, die Entscheidung dafür trotzdem falsch sein kann.
Erst die gute Neuigkeit: Die belgische Justiz ist unabhängig, neutral. Das Strafvollstreckungsgericht hat richtig entschieden, indem es eben keine Ausnahme gemacht hat. Eben auch nicht dann, als es um die Frage ging, ob Michelle Martin vorzeitig auf freien Fuß gesetzt werden kann. Wenn sämtliche Auflagen erfüllt sind, wenn juristisch gesehen nichts dagegen spricht, die Frau unter Auflagen freizulassen, dann ist es nur richtig, das Licht auf grün zu setzen. Alles andere wäre ein Freibrief hin zu einem Willkürstaat. Wenn Ausnahmen gemacht werden, wer entscheidet denn, für wen die wann gelten? Gerade im Fall Martin so zu urteilen, wie es das Strafvollstreckungsgericht von Mons getan hat, das zeugt von einer bedingungslosen Neutralität. Und für jeden Bürger, jeden Rechtssuchenden in diesem Land, ist das prinzipiell begrüßenswert. Gesetz ist eben Gesetz.
Was nicht heißt, dass das Gesetz gut ist - und das ist die schlechte Neuigkeit. So richtig das Gericht auch entschieden hat, so falsch ist letztlich die Entscheidung. Denn sie ist schlicht und einfach nicht nachvollziehbar, nicht zu verkaufen.
Mehrere Gründe. Erstens: die Schwere des Verbrechens
Erstens: Der Fall Dutroux, das war bekanntlich beileibe kein Kriminalfall wie jeder andere. Allein die tragischen Umstände des Todes von Julie und Melissa, und insbesondere die Rolle, die Michelle Martin hier gespielt hat, machen aus ihr in den Augen vieler Bürger ein Monster. In dem Sinne, dass bei Michelle Martin, die selbst Mutter ist, jegliche menschliche Regung offensichtlich ausgehebelt war, spätestens als sie die Kinder im Kellerverlies verhungern ließ. Nicht nur die Frau, sondern auch die Komplizin eines sadistischen, sexuell pervertierten Serienvergewaltigers und Kindermörders vom Schlage eines Marc Dutroux gewesen zu sein, das bedeutet die soziale Disqualifizierung. In diesem Fall das Wort Resozialisierung überhaupt in den Mund zu nehmen, ist für Viele ein Widerspruch in sich.
Und apropos Widerspruch: dass Michelle Martins Wiedereingliederung in die Gesellschaft ausgerechnet in einer Ordensgemeinschaft gelingen soll, die fernab von der Gesellschaft ihr Dasein pflegt, das ist fast schon ein schlechter Witz, allerdings ein ganz schlechter. Bei aller Barmherzigkeit, die die Klarissenschwestern wohl bewegen mag: Wundern dürfen sie sich nicht, wenn sie jetzt am Pranger stehen: ohne ihre Bereitschaft, Michelle Martin aufzunehmen, wäre diese nämlich schlichtweg nicht freigekommen...
Zweitens: der Zeitpunkt
Zweites Problem: der Zeitpunkt. Dass es in Belgien Jahre dauern muss, ehe eine Strafsache vor Gericht kommt, das rächt sich jetzt. Ans Licht kam die Dutroux-Affäre vor fast genau 16 Jahren, im August 1996. Der Prozess fand aber erst knapp acht Jahre später statt, im Frühjahr 2004. Quasi gestern also. Verständlich, dass man den Eindruck hat, dass Michelle Martin doch gerade erst verurteilt wurde. Dass sie schon die acht Jahre vorher im Gefängnis verbracht hat, also schon seit 16 Jahren einsitzt, ist da schnell verdrängt. Denn: allen voran in den Köpfen der Opfer und der Angehörigen der toten Kinder hat der Prozess des Verarbeitens eben erst vor acht Jahren begonnen, nach der Verurteilung der Mörder. Und nach 'gefühlten' acht Jahren eine Frau wie Michelle Martin schon wieder auf freiem Fuß zu wissen: kein Wunder, dass dieser Gedanke unerträglich ist.
Doch selbst, wenn man die gesamte Haftzeit von 16 Jahren vor Augen hat: Vielen erscheint das als zu wenig. "Warum wird man denn noch zu 30 Jahren verurteilt, wenn niemand diese Zeit absitzt", so eine viel gehörte Frage. Und gerade im Fall Michelle Martin ist sie nachvollziehbar.
Der Punkt ist: das Strafvollstreckungsgericht konnte nur das Gesetz anwenden. Und das unterscheidet nicht nach dem Verbrechen, für das ein Krimineller einsitzt. Grundlage sind einzig das Verhalten im Gefängnis und ein Resozialisierungs-Programm.
Systemfehler
Genau hier liegt der Systemfehler! Denn es ist die Kälte der hier erfolgten Rechtsprechung, die die Menschen auf die Palme bringt. Nur zur Erinnerung: Auch 1996 war es schon die Emotionslosigkeit, die den Familien der Dutroux-Opfer von Seiten der Justiz entgegengeschlagen war, die die Bürger von eben dieser, ihrer Justiz entfremdet hatte. Diese Entfremdung findet nun, da Michelle Martin womöglich bald in ein Kloster einziehen wird, einen neuen Höhepunkt.
Es ist ein schmaler Grat: Für die Justiz darf die öffentliche Meinung nicht zum Argument bei der Urteilsfindung werden. Das hat in der Vergangenheit mitunter nämlich zu spektakulären Justizirrtümern geführt. Volkes Stimme, urmenschliche Emotionen ausblenden, das darf man dafür aber auch nicht.
Da gibt es nur eine Lösung: Das Gesetz gehört angepasst. Um die Neutralität und Unparteilichkeit der Justiz zu wahren, bedarf es eines Katalogs: Einer Liste von Straftaten, die für 'gesellschaftlich – menschlich' so schlimm erachtet werden, dass andere Regeln für eine vorzeitige Haftentlassung gelten.
Das Tragische
Eigentlich ist eine Reform der Politik der vorzeitigen Haftentlassungen schon im Grundsatz beschlossen. So steht es zumindest im Regierungsabkommen. Darin enthalten unter anderem ein Punkt, der im Falle Michelle Martin zum Tragen gekommen wäre: Martin war trotz einer Verurteilung in den 1980er Jahren wegen Freiheitsberaubung nicht als Wiederholungstäterin eingestuft worden. Der Grund: Der erste Prozess fand auf einer anderen Rechtsebene statt. Wäre sie als Wiederholungstäterin betrachtet worden, könnte sie erst 2016 einen Antrag auf Haftentlassung stellen. Insbesondere diese unsinnige Klausel soll dann wegfallen. Hätte die Regierung also Gas gegeben, sie hätte den Angehörigen und Opfern der Dutroux-Bande –und im Übrigen auch den Bürgern- diesen emotionalen Fieberschub ersparen können.
Gesetz ist Gesetz. Aber Verbrechen ist nicht Verbrechen. Das muss das Leitmotiv in der künftigen Politik der vorzeitigen Haftentlassungen sein.
Denn: Am Prinzip selbst darf nicht gerüttelt werden. Grundsätzlich ist es richtig, Anreize zu schaffen, um die Wiedereingliederung in die Gesellschaft aktiv vorzubereiten. Unter der Voraussetzung, dass man sich auch die materiellen Möglichkeiten dafür gibt. Denn, eins ist sicher: Irgendwann kommt jeder raus. Einzige Alternative wäre die Todesstrafe, aber in einer Gesellschaft, die den Status "zivilisiert" für sich beansprucht, ist das keine Alternative.
Wo ein Wille dort ist auch ein Gebüsch.
Wen der Politische- und Juristische Wille da gewesen wäre, käme Frau Martin nicht frei.
André Veithen
Ich persönlich finde die Haftstrafen müßten um der Gerechtigkeit willen gänzlich abgesessen werden. Erst dann kann eventuell über eine Wiedereingliederung gesprochen werden. Dies im Hinblick der Opfer und deren Angehörigen das Gefühl von Gerechtigkeit zu geben.
Das Urteil lebenlänglich muß auch so vom Staat durchgesetzt werden (im Klartext nie mehr Freiheit). Es kann nicht angehen dass Herr DUTROUX und andere zu lebenslänglicher Haft verurteilte wieder irgendwann auf die Menschheit losgelassen werden. Besonders auf Grund der Tatsache dass eine Rückfallgefahr nicht auszuschließen ist!!!
Wenn der Staat keine finanziellen Mittel für den Neubau von Gefängnissen und deren Unterhalt ausgeben will, ist dies doch kein Argument, Mörder und im vorliegenden Fall mehrfache Mörder wieder auf die Menschheit loszulassen.
Bei Übertretungen im Strassenverkehr erhalte ich ja auch keinen Rabatt auf das Bußgeld wenn ich verspreche mich in Zukunft an die Verkehrsregeln zu halten.
Alle Politiker sind hiermit aufgefordert hier Stellung zu beziehen und dringend die Gesetze anzupassen damit die Gerechtigkeit wieder hergestellt wird.
Ja,Wiedereingliederung ist notwendig,aber bei solchen Personen erst recht nicht frühzeitig!!Diese gehören meines erachtens nach eingesperrt,bis das man Sie raustragen muß!!Das wäre eine gerechte Strafe!Den betroffenen Familien bringt schlussendlich ja auch nach 16 Jahren niemand ihre Kinder wieder!Oder sehe ich das falsch???
treffender kann man es nicht ausdrücken, Herr Brodel !
@Edgar Brodel
@Hermann Heinen
Absolut Ihrer Meinung !!
Als Beweis das der Staat am falschen Ende spart und der Justiz gar nicht die Nötigen Mittel zur Vollstreckung der Strafen zur Verfügung stellt, ist heute in der belgischen Presse zu lesen dass das Personal der Gefägnisse streikt weil die Gefängnisse hoffnungslos überbelegt sind.
Also folglich ist dies ein Armutszeugnis für Belgien. Denn für Prestigobjekte wie die Formel 1 wird jedes Jahr ohne zu zögern eine Menge Geld vom Staat zur Verfügung gestellt.
Die Sicherheit bleibt dadurch kurz oder lang auf der Strecke da Kriminalität nicht konsequent bekämpft werden kann. Komisch : für den Ankauf von Radarfallen zur Kontrolle der Autofahrer scheint der Staat unbegrenzt Mittel zur Verfügung zu stellen.
Die Justizministerin Turtelboom sollte, wenn Sie nur ein Fünkchen Anstand besitzt, den Anstand haben sofort zurück zu treten . Sie bekommt einfach die Gefängnisproblematik nicht in den Griff.
Mein Mitleid gilt in diesem Zusammenhang den Gefängniswärtern die unter unzumutbaren Umständen ihr täglich Brot für ihre Familien verdienen müssen ohne Aussicht auf Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen.